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Groko ohne Öko, Wachstumswahn und Börsen-Hausse, komische Männer an den Atombomben-Knöpfen – da rütteln uns nicht einmal mehr Nachrichten über den Start der privatisierten Weltraumfahrt auf. 2018 loten die ersten Privatiers aus, ob und wie sie sich vom Erdacker machen können. Immobilienanbieter informieren über Wohnungen auf dem Mars.

Vor uns die Dunkelheit – sie animiert zur Weltraumforschung. (Bild: Ursula Baus)

Die Lasten des Bruttosozialprodukts

Die Wirtschaft boomt und bejubelt jedes halbe Prozent Wachstum als „Erfolg“. Nun wissen wir, dass das Allermeiste von dem, was das Wirtschaftswachstum an „Gütern“ produziert, Ressourcenverschwendung und Müll von morgen ist. Nachhaltigkeitsrhetorik hin oder her. Wachstumswahn trägt maßgeblich dazu bei, den Globus als intaktes Ökosystem zu zerstören – dazu gehören die Konsequenzen eines von Menschen mitverursachten Klimawandels. Ein schlüssiges Wirtschaftssystem, das die Abkehr vom erd- und menschenschädigenden Konsum konsequent und zugleich politisch durchsetzbar und mit neuen Lebenszwecken als Ziel verfolgen würde, ist kaum in Sicht. Gerade schreckt die Meldung auf, dass der Wohnungsbauboom einen Knick bekommen könnte. Und wieder wird nur der Ruf nach mehr auszuweisendem Bauland laut. Ein anders strukturiertes Wirtschaftssystem litte – existierte es – unter dem Vorwurf der Naivität und Weldfremdheit. Wer beklagt aber Weltfremdheit, wenn es die Welt nicht mehr gibt? Weil Raubbau an der Natur, vergiftete Landwirtschaftsflächen, verödete Stadtlandschaften und vieles mehr als Wetterleuchten eines kollabierenden Ökosystems zu deuten wären? Wir wissen seit Jahrzehnten um die Bedrohlichkeiten, richten uns im postfaktischen Zeitalter ein – und handeln wider besseres Wissen.
Und so deuten Nachrichten, die um den Jahreswechsel über Agenturen in Print und Online verbreitet worden sind, darauf, dass sich ein paar Superreiche von der Erde auf andere Planeten absetzen möchten. Die privatisierte Weltraumfahrt macht’s möglich.

Wohnen auf dem Mars: Wohnzimmer eines auf 2050 datierten Bauprojektes im Portal Immoscout (Bild: Spaceloft, Immoscout)

Wohnen auf dem Mars: Wohnzimmer eines auf 2050 datierten Bauprojektes, angepriesen als „Top-Location mit fantastischer Aussicht“, dazu gehören 3 Stellplätze (Bild und Bild oben: Spaceloft)

Weltfluchten

Zurück auf den Boden unseres (Bau-)Alltags. Die Bauwirtschaft freut sich in „guten“ Zeiten wie diesen über die Segnungen des Wirtschaftswachstums. Jedoch: „Das gesamte Abfallaufkommen Deutschlands wird vor allem von Bauabfällen dominiert, die rund 60 % am Aufkommen ausmachen. (Es) bildet somit vor allem die Konjunktur der Bauindustrie ab“. (Quelle: https://www.umweltbundesamt.de/). Das wiederum freut die Abfallwirtschaft, deren Branche natürlich Wachstumsprozente in die Öffentlichkeit posaunen will. Dumm nur, dass beispielsweise unser Plastikmüll zum Problem wird, weil die Chinesen ihn nicht mehr abnehmen, hierzulande aber zu wenig Verbrennungsanlagen zur Verfügung stehen und Recycling nicht adäquat vorangetrieben wird (siehe dazu DIE ZEIT, 6.1.2018, worin die Autorin die Müllvermeidung nicht einmal erwähnt). Exportieren wir den Plastikmüll also auf den Mars?

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(Bild: Umweltbundesamt)

Noch immer werden in Deutschland Tag für Tag über 60 Hektar zugebaut beziehungsweise versiegelt, immerhin ist die Tendenz fallend. All das ist nicht neu, vielmehr sind es gut beleumundete Wissenschaftler, die seit Jahrzehnten auf diesen zerstörerischen Irrsinn hinweisen. Und weil dieser Irrsinn nicht mehr nur in Industrie- oder Wohlstandsländern, sondern in einem global etablierten Wirtschaftswachstumssystem um sich greift, wiegt er um so schwerer.

Es ist nur konsequent, dass es manchen Menschen etwas zu ungemütlich, weil zu eng und dreckig auf Erden wird. Auswanderungen aus dem Lebensraum der Erde werden jetzt aber konkreter als jene, die wir aus den fantastischen, idealistischen und romantischen Szenarien in Literatur und Kino, von Thomas Morus über Ernst Bloch über die Sandmännchen-Episoden bis zu weltweit die Jugend begeisternden Phantasy-Parallelwelten seit der Antike bis in die Gegenwart kennen.

Der Sandmann des DDR-Fernsehens war seit 1959 im Weltraum unterwegs – Kolonialismus in medialer Variante (Bild: wikipedia free)

Der Sandmann des DDR-Fernsehens war seit 1959 im Weltraum unterwegs – Kolonialismus in medialer Variante (Bild: wikipedia free)

Weltaufteilung

In Zeiten des Kalten Krieges gab es, um in einen politischen Alltag zurückzublicken, eine beschauliche, wenngleich politische Welten teilende Perspektive in den Weltraum. Dem Kinderschlaf fördernden Sandmännchen des Westens – seit 1. Dezember 1959 auf Sendung – hatte die DDR neun Tage zuvor ein ähnliches Comic-Figürchen vorangestellt. Und dieses, in einen Raumfahrtanzug gesteckt, dem Kosmonauten Sigmund Jähn (*1937) mitgegeben. Jähn flog am 26. August 1978 mit den Russen zur Raumstation Saljut 6. Interesse an einer Kolonialisierung des Weltraums hatten alle. Warum wohl? Hierzulande sendete man später die Abenteuergeschichten vom „Raumschiff Enterprise“, um die Jugend für die Raumfahrt zu begeistern.

Die Mars-Wohnungsküche (Bild: Immoscout)

Die Mars-Wohnungsküche (Bild: Spaceloft)

Nichts wie weg

Manche Menschen, die es sich leisten können, möchten nun akut die Erde verlassen wie sprichwörtlich die Ratten das sinkende Schiff. Besorgniserregenden Anlass dafür liefert die Tatsache, dass die Weltraumfahrt in rasantem Tempo privatisiert wird. Tesla-Chef Elon Musk ist einer der drei Milliardäre, die 2018 im Weltraum schon mal nach neuen Bauplätzen schauen möchten. Die FAS zitierte ihn am 31. Dezember 2017 so: „Entweder wir werden eine multiplanetare Spezies und eine raumfahrende Zivilisation, oder wir bleiben auf diesem Planeten stecken, bis uns die Ressourcen ausgehen“. Man könnte zwar auf die Idee kommen, vernünftiger und dabei sparsamer mit den Ressourcen umzugehen und Weltrettungsszenarien nicht auf Nischenproduktionen des herkömmlichen Weltmarkts zu beschränken. Aber das scheint Musks Sache – à la longue – nicht zu sein. Sind Erde und Menschheit also nicht mehr ohne Auswanderungen zum Mars zu retten? Die Erd-Flüchtlinge fürchten es.

Mars-Feeling

Nun hält ein Immobilienanbieter bereits ein entsprechendes Angebot bereit: Für schlappe 890 Mio Euro gibt es hier ein > Mars-Eigenheim als Zuflucht für der Erde überdrüssige Mitbewohner. Spontan erinnert man sich an die fantasievollen Gebilde von Archigram oder Haus Rucker, die schon in den 1960er-Jahren fantasievoll ans Werk gingen und heute gern als Fantasten, sogar Faschisten beschimpft werden, wo Fantasie als Realpolitik missverstanden wird. Allein: Was hier angeboten wird, enttäuscht in einer Banalität, die aussagekräftig ist. Architektonisch belanglos, wird das „Spaceloft“ als „Top-Location mit fantastischem Ausblick“ angepriesen, gleicht in der Einrichtung jedoch einem miefigen Campingbus mit beigefarbiger Kunstleder-Couch, und in sinnfälliger Grundriss-Organisation sind im Architekturstudium Zweitsemestler in der Regel auch schon weiter.

Klicken Sie in der Foto-Galerie auf das 360°-Symbol oder gleich auf den 2060-Button rechts oben und lassen Sie sich von uns für das richtige Mars-Feeling gleich in Ihr neues Heim und den neuen Kiez versetzen. Baujahr: 2060

„Klicken Sie in der Foto-Galerie auf das 360°-Symbol oder gleich auf den 2060-Button rechts oben und lassen Sie sich von uns für das richtige Mars-Feeling gleich in Ihr neues Heim und den neuen Kiez versetzen.“ Baujahr: 2060 (Bild: Spaceloft)

Die Süddeutsche Zeitung titelte in ihrer Jahreswechsel-Ausgabe, dass bereits in diesem Jahr – 2018 – private Firmen einige Raumschiff-Reisen ins All anbieten. Amazon-Chef Jeff Bezos, Eigentümer der Raumfahrtfirma „Blue Origin“, ist dabei, außerdem Virgin Galactic-Gründer Richard Bransons, der allen Ernstes glaubt, „Exploring space makes life better on Earth“. Es darf in so einer Runde der Tausendsassa Elon Musk natürlich nicht fehlen.

Technik und Utopien

War die Weltraumfahrt ursprünglich ein Projektionsraum für ethisch bessere Welten, droht sie in apokalyptischen Gruselszenarien zu enden. Denn begeisternde und im Ursprung steuerfinanzierte Technik wendet sich analog zur Waffenproduktion mehr und mehr gegen Erde und Erdbewohner, die in ihrem symbiotischen Zusammenwirken zum Wohle der Menschheit mir nichts, dir nichts aufgegeben werden. Kein Überleben auf Erden, geschweige denn ein besseres Leben, das sich nicht auf Wohlstandswachstum bezöge, gehört in solchen Szenarien mehr zum Technik-Zweck. Weltraumfahrt mutiert mit ihrer Privatisierung vom allgemeinen Erkenntnisdrang hin zur Expansion der Menschheit in Richtung Weltraum – ein (reicher) Teil der Menschheit will sich aus dem Staube machen und langfristig dabei wohl Renditen erwirtschaften.

Die Finanzierung

Der Mars gehört niemandem – das legt der Weltraumvertrag von 1967 fest (siehe > hier). So könnte man sich überlegen, die schlimmsten Erdzerstörer und frevelhaften Wegläufer sprichwörtlich auf den Mond zu schießen oder real auf den Mars zu fliegen. Ihr Vermögen bliebe erdgebunden, eine Rückreise käme nicht infrage. Leider wäre zunächst wenig für das Überleben der Menschheit auf dem Planet Erde gewonnen. Aber die Grenzen des Irrsinns wären auch für die Augenmenschen, als die sich gestalterisch ausgebildete Architekten gern definieren, erkennbar. 2018 geht das Geschäft los.