Es muss einmal über VgV-Verfahren geredet werden und dies deutlich und beherzt. Diese zweistufigen Verfahren, die einem Preisgericht herkömmlicher Prägung eine zweite Jurierung mit einem weitgehend anderen Personenkreis folgen lassen, sollten ersatzlos abgeschafft werden. Nicht nur das, man sollte zu dem Architektenwettbewerb zurückkommen als alleiniges und entscheidendes Qualifizierungsverfahren. Warum das?
Eine Jury aus Fach- und Sachpreisrichtern mit zusätzlichen Fachleuten aus vielen Disziplinen von Kosten bis Nachhaltigkeit in gewohntem Prozedere ist in der Lage, ein vollumfängliches, unanfechtbares und abschließendes Votum dafür zu geben, welches Architekturbüro den am besten qualifizierten Ansatz zur Lösung der Aufgabe anbietet. Ein weiteres prozentuales Gewichten von Überarbeitungen, Aussagen zum Kosten- und Terminmanagement sowie Personalien in einem weiteren Verfahren, das die architektonische Qualifizierung in die gleiche Reihe stellt, ist unangemessen und hat keinen anderen Sinn, als Preisgerichtsentscheidungen nachträglich in Frage zu stellen.
Wie käme man darauf, Usain Bolt den Sieg im Rennen in einem VgV-Verfahren zu nehmen durch einen prozentualen Schlüssel, indem man die Trainingshäufigkeit der Kontrahenten – weil möglicherweise weniger talentiert oder länger im Sportgeschäft – höher bewertet, als einen einmaligen Sieg? Wie absurd wäre hier ein Verfahren, das ebenso das fachliche Können des Trainers und der Mitarbeiter des Kontrahenten mit einbeziehend zum Ergebnis kommt, dass ein Konkurrent z. B. der 2. Preis zum Thema 100-Meterlaufen „in Zukunft ein besseres Ergebnis erwarten lässt“?
Das ist dann der Satz, der in einem Absageschreiben steht: “In Zukunft ein besseres Ergebnis erwarten lässt“, als ob der 1. Preisträger im Wettbewerb die Platzierung unberechtigt erschlichen hätte.
Ein Beispiel: In der Stadt B haben wir einen 1. Preis gewonnen. Der Projektleiter des Senats hat dann beim Kolloquium des Verhandlungsverfahrens erklärt, dass jetzt Schluss mit lustig wäre und hat Erklärungen über Erklärungen verlangt – mehrere Dutzend Rückfragen, die zu beantworten waren. Man wurde „ausgerollt wie ein Pizzateig“, ein finanzieller Aufwand, der die Wettbewerbskosten bei Weitem übersteigt.
Diesmal ging es gut, wir haben den Auftrag erhalten und nach 4 Monaten war klar, dass an der Auslobung so gut wie nichts gestimmt hatte, weil Nutzer übergangen wurden und wir von vorne starten mussten. Das einzige, was bleibt, ist die im Wettbewerb gemachte städtebauliche Aussage. Deren Qualität hatte die Jury erkannt und prämiert. Alles Weitere hätte man sich sparen können.
In einer anderen der Stadt mit B war ich Mitglied in einem Preisgericht, bei dem sich ein hartes Ringen von Architekten und Nutzern abzeichnete. Es wurde eine Arbeit prämiert, die ein starkes städtebauliches Argument hatte, welches der Jury wichtiger war als das funktional Richtige, denn das lässt sich korrigieren. Wir Architekten wissen das. In B besteht kein Zweifel, dass das folgende Verhandlungsverfahren das Juryvotum akzeptiert und die 1. Preisträger die Chance erhalten, das Konzept mit den Nutzern zu optimieren. Vorbildlich! Vorbildlich aber, weil der Auslober das zweistufige Verfahren zwar durchführt, aber quasi unterläuft.
Richtigerweise müsste allein schon aus der notwendigen Präqualifizierung der Bewerbung zur Teilnahme am Wettbewerb der 2. Teil des Verhandlungsgespräches entfallen, da dies nur zum Nachkarten von partikularen Interessen führt, ohne architektonischen Abwägungsprozess. So geschehen in der Stadt H bei S, wo wir einen 1. Preis gewonnen haben, den sogar ein Minister öffentlich übergeben hat, sichtlich peinlich berührt, als er erfuhr, dass er vielleicht den Falschen ausgerufen hat. Und letztlich war es tatsächlich der Falsche: weil in das folgende Verfahren der Preisrang mit 30% und die Überarbeitung mit 50% in die Bewertung einging. Überarbeitung 50% (??) – und wer hat das dann bewertet, wo kein einziger Fachpreisrichter mehr in dem Gremium war? Da wurde nachzensiert von einem Personenkreis, der Einzelinteressen vertritt – deshalb ist man in das Gremium berufen – ohne Kompetenz zur architektonischen Qualifizierung durch eine Hierarchisierung von Entscheidungen zur räumlichen Struktur. Die im Teil 2 abgefragten „Qualitäten“ sind nicht prüfbar und basieren lediglich auf hypothetischen Behauptungen, da jedes Projekt neue und einzigartige Fragen im Prozess generiert. Auf diese Art der „Bestechung“ durch Beschwörung des von den Büros bisher Erreichten verzichten wir und sagen schlichtweg ab, wenn kein 1. Preis errungen wurde. Nicht, dass etwas falsch verstanden wird: Bauherr und Nutzer kommen zu ihrem Recht während des Planungsprozesses, der nach der Juryentscheidung beginnen kann und sie können ihn abbrechen, wenn kein Erfolg möglich ist. ABER: Die Selbstverpflichtung des Auslobers, eine Juryentscheidung zu akzeptieren, muss wieder gelten und verbindlich werden. Darüber muss nicht nur geredet, sondern auch gehandelt werden, sonst droht langfristig schwerer Schaden an einem Qualifizierungsverfahren, was unfraglich grundlegend für die Baukultur unseres Landes ist.
Johannes Kister