Zirkuläres Bauen ist in aller Munde, doch die gebaute Realität spricht im Moment noch eine andere Sprache. Warum das so ist, beleuchtet die Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis“. Im Gespräch mit 17 Expert:innen aus der (Bau-)Wirtschaft werden Herausforderungen und Potenziale erörtert und konkrete Handlungsempfehlungen formuliert, wie das Zirkuläre Bauen zum Standard werden kann.
Seit der Gründung des Büros in den 50er-Jahren beschäftigen sich asp Architekten mit dem Bauen im Bestand und verfügen dadurch über eine große Expertise in diesem Bereich. Die Weiternutzung des Bestands steht heute jedoch nicht mehr für sich, sondern ist Teil einer immer weiter an Bedeutung gewinnenden Disziplin: dem Zirkulären Bauen. Mit dem Zirkulären Bauen formt sich in der (Bau-)Wirtschaft eine Disziplin, die in ihren Grundsätzen keine neue ist. Jedoch eine, der angesichts des Klimawandels eine völlig neue Bedeutung zukommt. Diese Disziplin beginnt zwar mit der Weiternutzung des Bestands, doch sie ist weit mehr als das: Zirkuläres Bauen betrifft den Neubau, Umbau und Weiterbau. So sind in den vergangenen Jahren auch bei asp Architekten immer mehr Projekte umgesetzt worden, die neben dem Bauen im Bestand sämtliche Aspekte des Zirkulären Bauens abdecken. Die Bandbreite reicht dabei von der Entwicklung von Rahmenplänen für neue Stadtteile über die Modernisierung von Sportstätten oder den Umbau von Industriebauten bis hin zu neuen Wohnbauprojekten oder Arbeitswelten.
Projekte dieser Art lassen sich nur durch einen maßstabsübergreifenden und interdisziplinären Ansatz verfolgen, davon sind asp Architekten überzeugt. Das Büro versteht sich daher als Planungsbüro für Architektur, Stadtplanung und Prozesse. Dabei geht es nicht nur um die praktische Umsetzung von Projekten, sondern auch darum, auf einer Metaebene Wissen zu generieren und dieses sowohl nach innen als auch nach außen zu tragen. So ist in der internen Forschungsabteilung nun die Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis. Ein Status Quo“ entstanden, die gemeinsam mit dem Nachhaltigkeitsexperten Marcus Herget im Auftrag der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart verfasst wurde. Darin wird die eigene praktische Erfahrung aus zirkulären Projekten mit den Erfahrungen anderer BranchenteilnehmerInnen abgeglichen und ein Status Quo gefasst, wo das Zirkuläre Bauen innerhalb der (Bau-)Wirtschaft aktuell steht.
Der Status Quo
Das Ergebnis, zu dem die Publikation kommt, ist so einfach wie komplex: Zirkuläres Bauen hat in den vergangenen Jahren zwar eine große Dynamik entwickelt. Es gibt immer mehr Pionier:innen, die sich auf planerischer, aber auch auf wirtschaftlicher Ebene dafür einsetzen. Doch um Zirkuläres Bauen zum Standard machen und die Wende auf allen Ebenen der (Bau-)Wirtschaft vorantreiben zu können, bedarf es vor allem eines verbindlichen politischen Handelns, dass diese Wende notwendig ist für eine nachhaltige Zukunft. Weichenstellungen, wie zum Beispiel die EU Taxonomy for Sustainable Activities gibt es zwar bereits. So wurde mit der Taxonomie wurde vor dem Hintergrund des Pariser Klimaschutzabeinkommens von der EU-Kommission ein Instrument zur einheitlichen Kategorisierung von Wirtschaftsaktivitäten[1] hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit entwickelt. Um allerdings die Kriterien und Anforderungen, die die Taxonomie mit sich bringt, umsetzen zu können, bedarf es nun weiterer Schritte – auf sämtlichen Ebenen der (Bau-)Wirtschaft. Welche Schritte das sind, geht aus den folgenden Thesen hervor, die als Ergebnis der Publikation formuliert wurden. Sie sollen sich als Anleitung und Handlungsempfehlung lesen, um schnell ins Machen zu kommen.
Die 9 Thesen
1. Zirkuläres Bauen benötigt geschlossene Materialkreisläufe
Entwürfe von Bauprojekten müssen so angepasst werden, dass bei Herstellung, Betrieb, Umnutzung oder Rückbau möglichst wenige Abfälle entstehen. Die einmal gewonnenen Ressourcen sollen dafür möglichst lange im Kreislauf gehalten bleiben, wie zum Beispiel bei der Verwendung von ressourcenschonendem Beton oder Holz.
2. Zirkuläres Bauen beginnt mit der Weiternutzung des Bestands
Angesichts des enormen Gebäudebestands und der darin gebundenen Grauen Energie, scheint die effektivste und am schnellsten wirksame Maßnahme auf dem Weg zur Klimaneutralität, einen Umgang mit dem Bestand zu finden. Dabei gilt: Je mehr des Bestands erhalten wird, desto geringer die CO2-Emissionen.
3. Zirkuläres Bauen benötigt Dokumentation
Ohne Datengrundlage, was in einem Gebäude verbaut wurde, lässt sich nur schwer die Rückbaufähigkeit bewerten und bewerkstelligen. Darum ist es essenziell für alle Gebäude eine Dokumentation anzulegen. Der Gebäuderessourcenpass ist dabei ein wichtiges Tool. Er fungiert als Informationsgrundlage für den gesamten Lebenszyklus und gibt Auskunft über die verbauten Materialien, die CO2-Emissionen sowie die Kreislauffähigkeit. Über die Dokumentation der verbauten Materialien und Bauteile lässt sich deren finanzieller Wert ermitteln. Ein weiteres wichtiges Tool ist das Building Information Modeling (BIM). Bereits in frühen Leistungsphasen können Gebäudematerialien darüber digital dokumentiert und die Informationen für alle am Bau Beteiligten zur Verfügung gestellt werden.
4. Zirkuläres Bauen benötigt lokale Strukturen
Aktuell gibt es kaum lokale Infrastrukturen, um Material- und Stoffströme zu schließen. Hierfür bedarf es umfassende, strukturelle Angebote, wie bspw. intelligente Transportlösungen, lokale Aufbereitungs- und Lagerungsplätze, Vernetzungen zwischen den beteiligten Unternehmen sowie Plattformen, die die Nachfrage und das Angebot verknüpfen. Durch die lokale Infrastruktur werden Ressourcen geschont sowie Transportwege und damit CO2-Emissionen eingespart. Ein positiver Nebeneffekt: Die lokale Wirtschaft wird gestärkt.
5. Zirkuläres Bauen muss in Gesetzen und Normung verankert werden
Sowohl die Normung als auch die Gesetze sind bislang in vielerlei Hinsicht auf Neubauen ausgerichtet. Die Verwendung von gebrauchten Materialien und Bauteilen erfordert jedoch andere Rahmenbedingungen. Eine Erweiterung der bisherigen Normen und Gesetze für gebrauchte Materialien und Bauteile ist daher unerlässlich.
6. Zirkuläres Bauen benötigt eigene Förderprogramme
Die EU hat mit der Taxonomy for Sustainable Activities ein Instrument geschaffen, um die Nachhaltigkeit des wirtschaftlichen Handelns eines Unternehmens zu bewerten. Was es bislang aber kaum gibt, sind Förderprogramme zum Zirkulären Bauen. Um den auf EU-Ebene formulierten Kriterien, wie dem Übergang in eine Kreislaufwirtschaft, gerecht werden zu können, braucht es deshalb auch Programme, die die Forschung sowie die Umsetzung fördern.
7. Zirkuläres Bauen benötigt Zirkuläres Planen
Zirkulär zu bauen bedeutet auch zirkulär zu planen. Grundsätzlich müssen alle Bauvorhaben rückbaubar konstruiert werden. Während bei der Verwendung neuer Materialien und Bauteile der Prozess gleich bleibt, ändert sich bei der Verwendung von gebrauchten Materialien und Bauteilen neben dem Design auch der Prozess. Je nach Verfügbarkeit, wird der Entwurf im Laufe des Projekts immer wieder angepasst. Bei der Weiternutzung des Bestands wiederum geht eine Analyse voran, über die herausgefunden wird, welche Teile des Bestands wie erhalten werden können. Auf Ebene der Zusammenarbeit ergeben sich neue Aufgabenfelder, die z.B. von einer zusätzlichen Disziplin (z.B. Bauteiljäger:in) übernommen werden. Außerdem gewinnen Kooperationen mit PlanungspartnerInnen an großer Bedeutung.
8. Zirkuläres Bauen erfordert eine neue Form der Gewährleistung
Gebrauchte Bauteile haben in der Regel keine Gewährleistung beim Wiedereinbau. Ihre Weiterverwendung hängt daher davon ab, ob die BauherrInnen bereit sind, auf eine Gewährleistung zu verzichten. Das ist jedoch keine Lösung, die für alle Bauteile anwendbar ist. Denkbar wäre z.B. eine Gewährleistung, die sich nicht auf das Produkt, sondern auf den Einbau bezieht. Eine weitere Möglichkeit wäre eine herstellergebundene Gewährleistung. Das heißt, die HerstellerInnen nehmen das Produkt zurück, überarbeiten es, bieten eine neue Gewährleistung und führen es zurück in den Kreislauf.
9. Zirkuläres Bauen erfordert Zirkuläres Wissen in der Breite
Es gibt bereits viel Wissen zum Zirkulären Bauen. Um dieses Wissen in die Breite zu bekommen, ist es wichtig, dieses zu vernetzen und verfügbar zu machen. Nicht nur bedarf es lokaler Anlaufstellen, wie NGOs oder Kompetenzzentren. Wichtig ist vor allem Zirkuläres Bauen in (neue) Studiengänge zu integrieren und Lehrstühle zu schaffen, Erwachsenenfortbildung anzubieten, Forschungsprojekte zu betreiben und das Wissen in die Handwerksausbildung einzubinden. Es geht nicht darum, eine neue Disziplin zu schaffen. Zirkuläres Bauen kann nur dann skaliert werden, wenn das Wissen branchenübergreifend integriert und zu einem Standard gemacht wird.
Hier geht’s zum Download der Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis. Ein Status Quo“