Mit einigen wenigen, fast chirurgischen Einschnitten wird eine Ikone der Nachkriegszeit nach dem Entwurf von kister scheithauer gross architekten in ein modernes Mixed-Use-Quartier entwickelt. Das ehemalige Versandhaus Quelle in Nürnberg wird mit unterschiedlichsten Nutzungen, von Wohnen über Büros und Verwaltung bis zu kleinen Läden, Cafés und Restaurants, zu neuem Leben erweckt. Öffentlicher Raum entsteht in Innenhöfen unterschiedlicher Größe. Wege durch den Komplex schaffen Verbindungen zwischen den benachbarten Stadtteilen. Und ein Behördenzentrum der Stadt Nürnberg wird Publikumsverkehr ziehen.
Das Versand- und Kaufhaus der Firma Quelle in Nürnberg ist ein beeindruckend großer Gewerbebau, der in verschiedenen Bauabschnitten in den 1950er-Jahren nach der Planung von Ernst Neufert errichtet wurde. Von seiner Größe und Bedeutung steht die Unternehmensarchitektur in einer Reihe mit Egon Eiermanns Neckermann-Gebäude oder dem Gerling Areal in Köln. Historisch ist Quelle als Versandhaus nach dem Krieg ein wichtiger Motor für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands gewesen und steht als ein Symbol für das Wirtschaftswunder. Als Protagonist der „Moderne“ schuf Neufert eine Architektur, die ihrer beeindruckenden Maschinerie im Innern eine Bühne bereitete und Anlass bot, die Unternehmensphilosophie des Bauherrn Gustav Schickedanz zum Gegenstand einer signifikanten Unternehmensarchitektur zu machen.

© Neufert-Stiftung, Archiv der Moderne (AdM)
Dazu orientierte Neufert die Höhe der Fensterbänder nicht wie üblich am Menschen und gab den Arbeitern Ausblick, sondern kreierte mit einem Fensterband in 1,5m Höhe ein Entwurfsdetail, das den Transport der Waren über Laufbänder an der Decke inszenierte und von außen erlebbar machte. Schwebende Pakete, die sich ihren Weg durch die Logistik bahnten, demonstrierten eindrucksvoll, wie jedes einzelne Teil des riesigen Sortiments schnell und reibungslos für den Kunden zusammengestellt wurde.

© kister scheithauer gross / rendertaxi
Seit dem Verkauf 2018 an die GERCHGROUP ist die weitere Existenz der ehemaligen Versandmaschine gesichert. Die Ikone der Nachkriegszeit wird nun in ein modernes mixed-use-Quartier transformiert. Zentrales Element wird das „Quelle Forum“ sein, ein überdeckter Innenraum, in dem über drei Geschosse die Konstruktion sichtbar bleibt. Es kann öffentlich vielfältig genutzt werden.
Die markante Fassade wird mit ihren Fensterbändern zwar an die geänderte Nutzung angepasst, aber in ihrer Erscheinung erhalten. „Wir haben mit dem Quelle-Bau eine homogene Fassadenhülle, die die Identität des Hauses darstellt“, sagt Johannes Kister. Nicht ohne Grund steht also die Hülle, genau wie die Treppenhäuser und der Versammlungssaal, unter Denkmalschutz. Mit der Transformation wird das Neufert-Gebäude seine ursprüngliche Nutzung überdauern und als Architekturdenkmal bestehen bleiben. Es wird sowohl als Zeichen erhalten, als auch neues Leben aufnehmen.
Wohnen
Das Gebäude war in seiner ursprünglichen Bestimmung auf eine technische Nutzung ausgelegt, für die es nicht notwendig war, Licht und Luft ins Innere zu bringen – keine guten Voraussetzungen für die Umnutzung zu Wohnzwecken. Nach der Schließung des Quelle-Konzerns gab es deswegen auch Stimmen, die den Abriss des augenscheinlich unentwickelbaren Koloss‘ ins Spiel brachten.
Im Auftrag der Neufert-Stiftung entwickelt Johannes Kister seit der 38. Auflage die Bauentwurfslehre weiter und steckt mit großer Passion tief im Thema des Projekts. Arbeiten im Bestand versteht er als einen Forschungsauftrag, die ganz besondere baukünstlerische Bedeutung eines Projektes zu erfassen und mit neuen Elementen fortzuschreiben – ohne mutwillige Überformung. Das ist schon beim Gerling-Quartier in Köln mit seinen ca. 140.000 m² gelungen. In enger Absprache mit dem Denkmalschutz schlägt Kisters Entwurf vor, Innenhöfe aus dem Bestand auszuschneiden, die das Erdgeschoss unberührt lassen. Hier können private Gärten entstehen und neue Fassaden, die mit großen Fensterflächen Licht in die dahinterliegenden Wohnungen bringen.
- EG
- 1. OG
- 2. OG
Ob hier Familienwohnungen, Studentenapartments oder hochwertige Lofts entstehen, ist bewusst offengehalten. ksg bereiten den Bestand mit offenen Grundrissen so vor, dass hier vieles vorstellbar und größtmögliche Flexibilität für diverse Nutzervorstellungen möglich werden.
Wohnen mit garantiert niedriger Miete wird es in den Neubauten auf dem ehemaligen Mitarbeiterparkplatz geben. Hier entsteht auf 15.000 m² Sozialer Wohnungsbau.
Gewerbe
Im Quelle-Gebäude wird keine Shopping-Mall entstehen. Das Angebot ist kleinteiliger strukturiert und zielt auf die Nahversorgung des neuen Stadtquartiers. Es wird auf den Bedarf im Quartier und die direkt angrenzenden Nachbarschaften abgestimmt sein und nicht zum Rivalen für die Nürnberger Innenstadt werden. Der Handel bleibt im Erdgeschoss. Die Gastronomie orientiert sich um das Quelle-Forum.
Büros
Anker und Antriebsmotor für das Projekt ist der Mietvertrag der Stadt Nürnberg über rund 42.000 m², auf denen ein Behördenzentrum entstehen wird. Ziel ist es, ab 2024 die Einweihung der Bauabschnitte hintereinander folgen zu lassen.
Zuerst sollen die Mitarbeiter der Stadt einziehen. Für sie entsteht, gebündelt in zwei der fünf Bauteile, ein zukunftsweisendes Verwaltungsgebäude. Der öffentlich zugängliche Publikumsbereich umfasst neben kleineren geschlossenen Beratungszimmern auch Service-, Beratungs- und Wartezonen. Die intern genutzten Bereiche mit Besprechungsräumen und Arbeitsplätzen können mit verschiedenen Bürotypen und Arbeitskonzepten bespielt werden und auch in Zukunft flexibel auf sich ändernde Arbeitsumstände reagieren. Einige der Servicebereiche und Besprechungsräume sind um das Quelle-Forum gruppiert, wodurch Offenheit und Öffentlichkeit unterstrichen und sowohl Ein- als auch Ausblicke ermöglicht werden.
- © Neufert-Stiftung, Archiv der Moderne (AdM)
- © Neufert-Stiftung, Archiv der Moderne (AdM)
- © Neufert-Stiftung, Archiv der Moderne (AdM)
Quelle ging 2009 insolvent und mehr als 250.000 m² Fläche standen leer. Etliche Anläufe für den Versuch einer Umnutzung liefen ins Leere und zwischenzeitlich sah es aus, als wäre der Abriss die einzige Möglichkeit, dem riesigen Areal Herr zu werden. „Wenn alles reibungslos verläuft“, so Johannes Kister, „wird das neue Quartier 2026 fertig gestellt sein.“