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Bild: Rahel Welsen
Der Sport- und Bildungscampus Bürstadt ist ein vielseitiges Projekt, das für die lokale Gesellschaft weit über das Bildungs- und Sportgebäude hinaus geht. Auf dem ehemaligen Gelände einer eingezäunten und zutrittsbeschränkten Großsportanlage findet sich heute ein neues Quartier, das allen Bürger*innen offen steht und gemeinsame Aktivitäten fördert. Sowohl die individuelle Gesundheit spielt dabei eine Rolle als auch das individuelle Engagement.

Gebäude Außenansicht | Foto: Rahel Welsen

Außenansicht. (Bild: Rahel Welsen)

Unter Einbeziehung von Vereinen, Jugendlichen, Lehrer*innen und Senior*innen wurden von Politik und Verwaltung Bedarfe und Bedürfnisse erarbeitet. Durch die Ausweitung auch auf soziale und gemeinschaftliche Nutzungen werden heute verschiedenste Gruppen angesprochen. Zäune und Öffnungszeiten sind dank sozialer Kontrolle und gemeinschaftlichen Verantwortungsbewusstseins unnötig.

Das Bildungs- und Sportgebäude bildet das Herzstück des Sportcampus. Ein vielfältiges Raumprogramm beinhaltet neben dem Funktionsbereich mit Umkleiden, Sanitär- und Duschbereichen für insgesamt vier Sportmannschaften, einen Fitnessbereich und Lagerflächen. Zusätzlich finden sich Seminarräume und flexibel zu nutzende Sportflächen, die zum Beispiel zu Tagesbetreuung, Sportbildung und für Seminare genutzt werden.

Der markante Turmbereich beherbergt einen Sportraum mit größerer Raumhöhe. Er ermöglicht den Überblick über alle Außensportflächen und erleichtert als Landmarke zudem die Orientierung auf dem Gelände.

Infografik Bürstadt Teil 2Materialstrategie

Ziel war es, ressourcenschonende Materialien zu verwenden und sie entsprechend ihrer Qualitäten optimal einzusetzen. Die Bodenplatte ist aus recyceltem Beton, so dass die prognostizierten CO2-Emissionen deutlich gesenkt werden konnten. Alle tragenden und aussteifenden Teile sind aus Brettsperrholz gefertigt. Vor den tragenden Außenwänden befindet sich eine hinterlüftete Holzschindelfassade. Die optimierte thermische Hülle mit Einblasdämmung aus recyceltem Altpapier sorgt für minimalen Wärmeverlust. Die Holzschindeln selbst sind komplett unbehandelt, langlebig und wartungsarm. Ihre Kleinteiligkeit lässt auf lange Sicht zu, einzelne Schindeln bei Bedarf auszutauschen ohne die vollständige Fassade zu sanieren, so dass das Gebäude in Würde altern kann.

Die Bauteile sind größtenteils ohne Klebe- und Verbundmittel montiert, so dass eine reversible Konstruktion entstanden ist. Ein gut nutzbares Rohstofflager für die Zukunft.

Foto: Rahel Welsen

Die Erschließungsachse vermittelt zwischen Innen und Außen. (Bild: Rahel Welsen)

Technik und Ausbau

Durch die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten werden zukünftig viele verschiedene Menschen das Gebäude bespielen, teilweise auch nur temporär und ohne vorher eine Einweisung in technische Systeme zu erhalten. Entsprechend ist das Gebäude so konzipiert, dass der Einsatz von haustechnischen Systemen minimiert wurde und vor allem fehlertolerant ist. Dabei spielen passive Methoden ohne Regeltechnik eine entscheidende Rolle.

Gebäude Innenansicht | Foto: Rahel Welsen

Stampflehm sorgt ohne aufwendige Technik für ein ausgeglichenes Raumklima. (Bild: Rahel Welsen)

Um die Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit möglichst konstant zu halten, wurde in zentraler Lage im Innern des Gebäudes eine sehr schwere Wand aus Stampflehm integriert. Sie liegt zwischen den Verkehrsflächen und Nutzräumen wie Umkleiden und Duschen und reguliert die wechselnden Bedingungen zwischen diesen Zonen. Ihre große thermische Speichermasse speichert im Winter Wärme, die sie über Strahlung an den Raum abgeben kann, wenn bei offener Tür die Raumlufttemperatur absinkt. Ihre große Trägheit kann kurzzeitige Schwankungen sehr gut ausgleichen. Über Flächenheizungen in Form von Fußbodenheizung wird die nötige Wärme wieder langsam zugeführt.

Auch im Sommer ist die Speichermasse der Lehmwand hilfreich. Sie dient dazu, Überhitzung im Gebäude zu vermeiden – ganz ohne aktive Klimatisierung. Die Masse erzeugt eine Phasenverschiebung der Spitzentemperaturen in die Nacht, so kann die kühlere Nachtluft Wärme abtransportieren. Die Wand gibt zudem tagsüber die gespeicherte Kühle an den Raum ab. In den Flurbereichen sind Öffnungsflügel angeordnet, die diese Nachtauskühlung möglich machen. Gegenüberliegende Eingangstüren ermöglichen zudem eine gezielte und sehr effiziente Querlüftung der Flurzonen.

Um auch den Sonnenschutz möglichst robust auszuführen, wurden alle großen Fensterflächen nur an zurückliegenden Fassadenteilen ausgeführt. So ist immer eine Grundverschattung durch das darüber liegende Dach gewährleistet.

Neben den Auswirkungen auf eine stabile Raumtemperatur reguliert die Lehmwand auch die Luftfeuchtigkeit. Der Lehm kann sie in der enorm feinen Struktur der Tonminerale zwischenspeichern. Dadurch reguliert sich die relative Luftfeuchtigkeit in der Regel ohne jede zusätzliche Technik auf angenehme 40-60%.

Infografik Bürstadt Teil 1Ein weiterer positiver Nebeneffekt der Lehmwand entsteht durch die große Oberfläche der offenen, gestampften Lehmstruktur. Die vielen verschieden großen Zwischenräume zwischen den Zuschlägen wirken wie ein Diffusor für Schall und reduzieren damit Halleffekte. Gerade im Flurbereich, in dem auch mal lautstark Fußballmannschaften entlang stürmen, eine willkommene Eigenschaft. Dadurch sind im Flur keine weiteren schallabsorbierenden Maßnahmen notwendig.

Aktive Elemente

Natürlich kommt das Gebäude nicht ganz ohne Technik aus. Die Umkleiden und Duschen sind mechanisch be- und entlüftet. Über eine Wärmerückgewinnung werden Wärmeverluste und Energiebedarf minimiert. Heizenergie wird über eine zweistufige Wärmepumpenlösung erzeugt. Außerhalb des Gebäudes wird in der Energiezentrale im nahegelegenen Freibad eine große Grundwasserwärmepumpe betrieben. Diese versorgt nicht nur das Bildungszentrum, sondern auch die umliegenden Gebäude mit Wärme. Über ein kaltes Nahwärmenetz wird die Wärme verlustarm im gesamten Campusareal verteilt. Im Gebäude selbst erzeugt eine zweite Wärmepumpe das nötige Temperaturniveau für Fußbodenheizung und Warmwasser der Duschen.

Die nötige Betriebsenergie dafür wird von einer ca. 250qm großen PV-Anlage auf dem Dach des Gebäudes erzeugt.


Sichtbare Technik, Wirtschaftlichkeit

Das Budget war überschaubar und so wurde bewusst auf aufwendige Lösungen zur Kaschierung der technischen Anlagen verzichtet. Lediglich in den Verkehrszonen wurden abgehängte Decken aus Lehmbauplatten zur optischen Beruhigung eingesetzt.

Im Fitnessbereich liegt die Technik offen sichtbar, wer hier Gewichte stemmt oder seine Ausdauer trainiert benötigt keine optisch aufwendige Deckenansicht. Zudem ist die Revisionierbarkeit denkbar einfach.

Im großen Mehrzweckraum bleiben die Rohbauholzoberflächen größtenteils unbehandelt. Auch für die Deckenleuchten sind alle Installationen sichtbar verlegt.

Das Gebäude nutzt mit den Massivholz- und Lehmflächen größtenteils Materialien, die nach dem Rohbau nicht mehr verkleidet oder verputzt wurden. Dennoch lässt sich auch hier notwendige Technik, insbesondere die Elektroverkabelung, gut integrieren. Die Brettsperrholzwände wurden bereits im Werk ausgefräst und genutet, um Kabelwege zu integrieren. Elektrodosen wurden bereits im Rohbau gesetzt. Nachträgliches Schlitzen und Verputzen ist nicht machbar, entsprechend sorgfältig wurde im Vorfeld geplant.

Auch die Lehmwand ermöglicht interne Verlegung. Leerrohre wurden während des Baus in die Wand mit eingestampft, die Einbaudosen in die Schalung gesetzt. Im Anschluss kann die Feinmontage direkt in der Lehmwand erfolgen. So entstehen erstaunliche Kontraste zwischen dem archaischen Lehm und den technischen Ausbauteilen.



Projektdaten

Sport- und Bildungscampus Bürstadt
Eröffnung: September 2023
Auftraggeber*in: Magistrat der Stadt Bürstadt
Architektur: prosa | Architektur und Stadtplanung BDA, Darmstadt
Bauweise: Massivholzbau und Lehmbau
Brandschutz: prosa | Architektur + Stadtplanung BDA
Elektro: bhp Planung GmbH für Elektro- und Fördertechnik, Friedberger Landstraße 108, 60316 Frankfurt/Main
HLS: Tiede Ingenieurunternehmung GmbH, Darmstädterstr. 34, 68647 Biblis
Energietechnik: Team für Technik GmbH, Zielstattstraße 11, 81379 München
Tragwerk: KREBS+KIEFER Ingenieure GmbH, Heinrich-Hertz-Str.2, 64295 Darmstadt
Landschaftsarchitekten: LS2 , Palisadenstraße 12, 64297, Darmstadt
Bauphysik: Werner Sobek Frankfurt GmbH & Co.KG, Darmstädter Landstraße 125, 60598 Frankfurt/Main
BGF: 1.300 m²
Preise und Auszeichnungen:
Auszeichnung mit dem Staatspreis „Vorbildliche Bauten im Land Hessen 2023
Auszeichnung des Campus mit dem Hessischen Landespreis Baukultur 2022/2023
Auszeichnung mit dem Heinrich-und-Georg-Metzendorf-Preis für Baukultur 2024