Buchempfehlungen: Neuerscheinungen über die Stadt als unbestimmtes Wesen, Suburbia und den öffentlichen Raum. Und eine Liebeserklärung
“Stadt gibt es nicht!”
Die Aussage des Titels, dem man den Wunsch nach Provokation zu unterstellen versucht ist, erweist sich nicht nur nach kurzem Nachdenken eher als Selbstverständlichkeit. Auch in der Einleitung der Herausgeber heißt es: “Die Stadt erweist sich jedoch nicht erst heute als Beschreibungsproblem. Dieses bestand eigentlich schon immer.” Offensichtlich aber wird dennoch zu starr daran festgehalten, dass es die Stadt, die ideale, schöne, perfekte dennoch geben müsse und könne, und so wird allenthalben von der Krise der Stadtentwicklung und des Städte- baus geredet. Dass diese Krise nicht dadurch zu bewältigen ist, dass man den Grund für diese Krise ignoriert und weiter an starren Vorstellungen von Stadt festhält, ist der Tenor des Buchs. Die insgesamt 16 Autoren ermuntern dazu, entsprechend auch das Bild des Planers als beweglich zu verstehen und es in einer permanenten Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen, unter denen geplant wird, immer wieder neu zu bestimmen. Das ist weder Kapitulation noch Marginalisierung – im Gegenteil: gerade dadurch erst werden auch die klassischen Instrumente des Planers, das Setzen von Regeln, das Erstellen des Plans, als Mittel der Gestaltung wieder wirksam. Die Bandbreite der Perspektiven ist dabei bewusst breit gewählt, sie schließt die geschichtliche, die praxisnahe wie die theoretische ein.
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Andri Gerber, Stefan Kurath (Hg.): Stadt gibt es nicht!
Unbestimmtheit als Programm in Architektur und
Städtebau. Band 44 der Reihe Grundlagen
Dom Publishers, Berlin, 2016, 28 €
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Gebietstypen, an denen die begrenzte Wirksamkeit von Planung gerne illustriert wird …
… finden sich an den Randbereichen der Städte. Einen Beitrag zu einer qualifizierten Diskussion über die Peripherie wollen die Herausgeber von “Refitting Suburbia” leisten. Sie stellen dazu dem Stand der Diskussion in Deutschland jenen aus den USA gegenüber. Weniger, um eine direkte Übertragung von Strategien nahezulegen, dazu sind die Unterschiede zu groß. Aber gerade weil die Diskussion in den USA sich als “lange und immer wieder um neue Facetten erweiterte Debatte” darstellt, wie die Herausgeber schreiben, ist es sinnvoll, sie zur Kenntnis zu nehmen und sich von strategischen Ansätzen anregen zu lassen, gehe es um den Umgang mit Armut in Suburbia oder um den Umbau von Gewerbestand- orten zu durchmischten Strukturen. Eine der wesentlichen Intentionen des Buchs ist es, pauschalen Sichtweisen entgegenzuarbeiten “ nicht nur ist unsere Sicht auf die USA oftmals von Vorurteilen geprägt, auch die Vielfalt der Gebietstypen, die in Deutschland auszumachen sind, lässt es nicht zu, generalisierend zu urteilen. Dafür sind die Herausforderungen zu grundsätzlich – die Zukunft der europäischen Stadt entscheidet sich in Suburbia. In einigen Nachbarländern ist man da schon weiter, auch das ein Grund, die Debatte weiter zu qualifizieren: Innenentwicklung heißt schon lange nicht mehr, sich auf das Stadtzentrum zu fokussieren. Konkrete Strategien der Städte Frankfurt und München zeigen, wie es möglich sein kann, die Konzepte der Innenentwicklung auf die Peripherie auszudehnen.
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Johann Jessen, Frank Roost (Hg.): Refitting Suburbia.
Erneuerung der Stadt des 20. Jahrhunderts in Deutschland und in den USA
Jovis Verlag Berlin, 2015, 32 €
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Die Publikation “Demo:polis” rückt in den Mittelpunkt, was jenseits aller Unterschiede zwischen Städten, Gebietstypen und Quartieren als konstituierend für städtische Qualität gilt: der öffentliche Raum.
Dem wird dadurch Ausdruck verliehen, dass der öffentliche Raum als ein Recht postuliert wird. Die Publikation ist der Katalog der Ausstellung, die bis Ende Mai in Berlin zu sehen war. Unabhängig davon, ob man die sie gesehen hat oder nicht, ist das Buch zu empfehlen. Zum einen, weil die Mischung aus groß- und kleinmaßstäblichen Projekten, aus Gestaltung und strategischen Ansätzen, aus Kunstaktionen und Protestbewegungen Potenziale und Bedeutung dessen illustriert, was behauptet wird: dass der öffentliche Raum zu wichtig ist, als dass man ihn auf eine abgeschlossene Sammlung von Szenarien reduzieren und die Methoden, ihn zu nutzen und zu aktivieren, begrenzen könnte. Zum anderen, weil es eine gut ausgewählte Serie von Essays erlaubt, die Auseinandersetzung mit dem Thema zu vertiefen. Bestätigt wird so, was die beiden oben vorgestellten Publikationen bereits nahegelegt haben: dass die sorgfältige Beobachtung zur Voraussetzung gelingender Planung gehören muss, dass diese Planung sich stets neu auf ihr Umfeld und die Bedingungen einstellen muss, unter denen sie agiert – und dass zu diesen Bedingungen gehört, dass Stadt von all ihren Bewohnern und Nutzern gestaltet wird.
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Barbara Hoidn (Hg.): Demo:polis.
Das Recht auf Öffentlichen Raum.
Park Books, Zürich, 2016, 48 €
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Unser Bild von Kairo ist geprägt von den Protesten des Tahrir-Platzes, die eine Diktatur beendeten, um dann in eine neue zu münden.
Wir stellen uns eine der wuchernden Megastädte vor, mit Verkehrschaos, Dichte, Armut, Segregation. Eher unwahrscheinlich, dass uns unwillkürlich ein Stadtzentrum mit einem wertvollen architektonischen Erbe aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Sinn kommt. Doch es gibt es – und genau diesem Erbe ist “Descovering Downtown Cairo” gewidmet. Gemeinsam mit Studierenden, unterstützt von Forschern mit Spezialkenntnissen, haben Vittoria Capresi und Barbara Pampe 38 Gebäude der Innenstadt untersucht. Sie werden dem Leser vorgestellt: in Plänen, Fotos, in Beschreibungen sowie in Zitaten von Bewohnern und Nutzern. Ihre Entstehung, ihre Geschichte, ihr heutiger Zustand werden dokumentiert, ergänzt durch allgemeine Texte zu Geschichte, Baupolitik und Haustypen. Das älteste der 38 vorgestellten Häuser ist von 1900, das jüngste von 1961, Leitbilder des Historismus, des Expressionismus und des International Style prägen sie, mitunter finden sich an ihnen Motive regionalspezifischer Architektur – dass dem europäischen Reisenden die Innenstadt Kairos sehr vertraut vorkomme, wie die Herausgeberinnen meinen, ist nachvollziehbar. Vier Rundgänge schlagen sie dem Besucher vor, um dieses Kairo zu entdecken. Zwar stehen manche der untersuchten Häuser leer, andere sind heruntergekommen, aber sie sind durchdrungen von einer Mischung von Vitalität, Pragmatismus und Vielfalt. Das Buch sei eine Liebeserklärung an die Stadt, so die Herausgeberinnen. Man fühlt, dass das Buch nur ein Abglanz dessen sein kann, was diese Stadt ausmacht. Aber der Abglanz lässt ahnen, was den eigentlichen Glanz ausmacht.
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Vittoria Capresi, Barbara Pampe (Hg.): Discovering Downtown Cairo.
Architecture and Stories
Jovis Verlag, Berlin, 2015, 32 €
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