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Zur Finissage der Ausstellung „Stage_0 Travelogue“ in der Architekturgalerie München am 10. November gab es noch eine bahnbrechende Meldung aus Istanbul. Murat Tabanlıoğlu ist es nach jahrelangen und zähen Verhandlungen mit der türkischen Staatsregierung gelungen, den Erhalt des Atatürk Kulturzentrums (Atatürk Kültür Merkezi, AKM) am Taksimplatz zu vereinbaren.


Das Kulturzentrum im Jahr 1977 (Bild: Olaf Bartels)

Das Kulturzentrum von Hayati Tabanlıoğlu am Taksimplatz im Jahr 1977 (Bild: Architekten)

Wenige Tage vor Ausstellungsende stellte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan das Projekt persönlich vor und bezeichnete es als einen „Meilenstein für Istanbul“. Allerdings soll das derzeit arg in Mitleidenschaft gezogene Gebäude grundlegend umgebaut und erweitert werden. Das von Hayati Tabanlıoğlu, dem Vater von Murat Tabanlıoğlu, entworfene Kulturzentrum wird nach den Plänen seines Sohnes in ein Opernhaus verwandelt. Die im Haus zusätzlich noch vorhandenen Theater- und Aufführungssäle, die Kunstgalerie, Restaurants und Cafés werden in einem Anbau untergebracht. Die Erweiterung soll sich hinter der benachbarten Bebauung nach Norden bis zur Atatürk Bibliothek (von dem Architekten Sedad Hakkı Eldem 1973-1975 erbaut) erstrecken, die hier ein wenig abseits des Taksimplatzes am Bosporushang liegt.

Der Entwurf von Tabamlioglu Architects (Bild: Architekten)

Der Entwurf von Tabamlioglu Architects (Bild: Architekten)

Das ist ein mutiger und radikaler Umgang mit dem architektonischen Erbe, aber er ist nicht respektlos.  Im Gegenteil: Die Umbaupläne von Murat Tabanlıoğlu lenken die Aufmerksamkeit auf die Türkische Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre. Das gewohnte Bild des markanten, kubischen Baus am Taksimplatz wird sich nach seinen Plänen nur wenig verändern: Das Gebäude behält seine Kubatur und auch seine Fassade mit ihrem charakteristischem Fensterraster. Sie wird aber sehr viel tranparenter wirken und das neues Innenleben zeigen oder – so sieht es eine Variante vor – als digitaler Screen fungieren.

Architektur und Politik

Das große Interesse an den Plänen von Murat Tabanlıoğlu hat aber in der Türkei wie in Deutschland weniger städtebauliche oder architektonische Hintergründe, sondern politische: Die Stadtumbaupläne des französischen Stadtplaners Henri Prost sahen in den 1930er-Jahren die Einrichtungen des Gezi-Parks vor, der in jüngerer Zeit zum Symbol des Widerstandes gegen die Regierung von Recep Tayip Erdoğan avancierte und sich mit dem Taksimplatz und dem Atatürk Kulturzentrum bis in die 1970er-Jahre zu einer wichtigen Repräsentanz der Türkischen Republik in der Bevölkerung entwickelt hatte. Seit 1939 planten zunächst Auguste Perret und dann Paul Bonatz den Bau einer Oper an der Stelle des AKM. Während sich Perrets Pläne in einem Betonrohbau manifestierten, blieb Bonatz mit seinem Ansatz erfolglos.

Foyer des Kulturzentrums in den späten 1960er-Jahren (Bild: Archiv)

Foyer des Kulturzentrums in den späten 1960er-Jahren (Bild: Archiv)

Hayati Tabanlıoğlu übernahm 1957 zwar nicht deren Ideen, aber den bestehenden Rohbau, um daraus ein Kulturzentrum im Sinne des Kulturhuset in Stockholm oder später des Centre Pompidou in Paris zu machen – in kleineren Abmessungen versteht sich. 1969 wurde das Haus eröffnet, aber schon 1970 durch ein Feuer nahezu komplett zerstört. Der modernisierte Wiederaufbau dauerte bis 1977. Seit dem avancierte das Gebäude zu einem Symbolbau der modernen Türkei, zu einem „Palast der Türkischen Republik“, wenn man so will. Recep Tayyip Erdoğan und seine Partei, die AKP, haben dieses Gebäude nie wirklich geliebt. Es repräsentierte zu sehr jene Türkei, die sie „erneuern“ wollten. 2005 war der Abriss vorgesehen, mit dem sich der damalige Kulturminister aber nicht durchsetzen konnte. Stattdessen wurde mit der Renovierung begonnen. 2013 wurde sie eingestellt. Zum einen waren erhebliche Mängel an der Bausubstanz festgestellt worden. Zum anderen wurde das Gebäude ein Nebenschauplatz der Proteste um den Gezi–Park und in deren Zusammenhang besetzt. Es drohte abermals ein Abriss, der aber nicht erfolgte. Die Renovierung wurde allerdings auch nicht fortgesetzt. Das Haus steht leer, was seiner Substanz nicht förderlich ist. Umso erstaunlicher ist die neuerliche politische Wende, mit der Staatspräsident Erdoğan jetzt überraschte und Murat Tabanlıoğlu eine Chance gibt, sein Projekt umzusetzen.

Der hat allerdings nicht viel Zeit, um sein ambitioniertes Ziel zu erreichen. Schon 2019 soll das neue „Atatürk Kulturzentrum“ fertig sein, und es weht ihm scharfer Wind entgegen. Die Istanbuler Architektenkammer kritisiert einen zu rüden Umgang mit dem Denkmal, und die westliche Presse (zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung am 10. November 2027) sieht das „Symbol der Gezi-Proteste“ in Gefahr. Dem Gedenken des Gründers der Türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk hilft es aber – das Gebäude trägt weiter seinen Namen und es behält seine Form. Außerdem fördert es die Wertschätzung der Türkischen Architektur aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Ihre Substanz wird in Istanbul wie auch in anderen Ländern der Welt (zum Beispiel in Deutschland) sonst gerne klammheimlich entsorgt.

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Entwurf für das Foyer des Kulturenzentrum nach dem Umbau (Bild: Murat Tabanlıoğlu Architekten)