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draw, love, build

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Sauerbruch Hutton bauten in Mestre das Museo M9. Wer also zur Biennale nach Venedig fährt und dort von den digital über Bildschirme vermittelten Botschaften frustriert ist, kann in Mestre handfest Gebautes ins Programm aufnehmen – und prüfen, ob ein ambitioniertes Museum wie weiland in Bilbao ein städtebauliches Umfeld nachhaltig aufwertet.


Modell des Museums, Ausstellung 2014 (Bild: Ursula Baus)

Modell des Museums, Ausstellung 2014 (Bild: Ursula Baus)

Beginnen wir in Venedig. Beginnen wir mit seinen Farben, mit dem Blau der Lagune und dem lichteren Blau des Himmels, mit dem Grün der Giardini und den kleinen Gartenoasen in der engen Stadt, mit den vielfältigen Rot- und Ockertönen der bröckelnden Fassaden. Auf dem Weg durch die Stadt leuchteten sie immer wieder auf, wenn sich am Ende einer dunklen, engen Gasse überraschend einer der lichten Campi weitet bis hin zur geschäftigen Piazzale Roma. Von dort dauert die Fahrt nach Mestre mit der Straßenbahnlinie T1 nur zwanzig schnell vergehende Minuten. Zeit, um in eine völlig andere Welt einzutauchen. Mestre, das klingt nach grauer Hässlichkeit. Nach jener dienenden Stadt, die das touristisch durchgetaktete, so überteuerte und zugleich so großartige Welterbe Venedig erst möglich macht.

Lageplan des Museumsgeländes in Mestre (© Sauerbruch Hutton)

Lageplan des Museumsgeländes in Mestre (© Sauerbruch Hutton)

Nur fünf Minuten von der Tram-Station Mestre-Centro entfernt liegt das M9, das 2018 fertiggestellte Museo ‘900 der Berliner Sauerbruch Hutton. Fünf Minuten Fußweg, die mit dem Klischee aufräumen, Mestre sei bloß hässlich. Es ist eine kleine Stadt, ein bisschen hoch, ein bisschen flach bebaut, eher grün. Ziemlich entspannt wirkt das alles, zumindest an diesem Donnerstagvormittag. Was jedoch auffällt, das sind die zahlreichen leerstehenden Geschäfte. Corona und die Innenstädte – das ist ein schwieriges Thema für sich.

(Foto: Jan Bitter)

(Foto: Jan Bitter)

Reparatur und Impuls

Nur ein paar Meter noch, da liegt das neue Museum. Und schon sind die Farben wieder da: Rot in allen Tönen und Schattierungen von Rosa über Orange bis Rost, dazwischen helleres Colorit, im heiteren Wechsel der glasierten Terracotta Baguettes der Fassade. Unverkennbar Sauerbruch Hutton. Städte, das haben wir ja schon am Morgen in Venedig erlebt, besitzen ihre eigenen Farben. Und Städte werden dann reizvoll, wenn sie den starren Rastern entfliehen. Wenn sie sich zu spannungsvollen Räumen weiten und verdichten, den Dialog des Neuen mit der historischen Umgebung suchen. All das bietet das Museum M 9. Mit seinen einzelnen Bausteinen, dem Museum, der Verwaltung sowie kleineren Technikbauten, die von einem Wegenetz erschlossen werden. Ein einst abgeriegeltes innerstädtisches Areal wurde so zu einem feinen öffentlichen Ensemble umgewandelt. Das mächtige Volumen des eigentlichen Museumsbaukörpers erfasst man dadurch erst aus der Vogelschau.

(Foto: Jan Bitter)

Innenhof der sanierten Abtei, die jetzt zum Museum gehört. (Foto: Jan Bitter)

Mit einbezogen in das Ensemble ist eine angrenzende ehemalige Abtei, die aufwändig saniert wurde. In ihrem Innenhof, der von einer luftigen Schirmkonstruktion überfangen wird, findet trotz Corona-Pandemie gerade eine öffentliche Veranstaltung statt. Dort im Hof steht auch das „Oxymeron“, ein Pavillon, der als Vorgeschmack auf das neue Museum für die Biennale 2018 entstanden war. Das alles fügt sich zu einem städtebaulichen Impuls für Mestre zusammen, dessen kulturelle und wirtschaftliche Kraft jedoch durch die Corona-Pandemie bis in die Finanzierung des Unterhalts scharf ausgebremst wurde. Daher kann erst jetzt mit der Werkschau „draw, love, build“ zu Sauerbruch Huttons Werk das dritte Obergeschoss des Museums eröffnet werden. Die Ausstellung wirkt weniger als eine reine Bilanz, sondern vielmehr als ein guter Anlass für einen Blick zurück zum Aufbruch, eine Art Selbstvergewisserung, da das Büro nach durchaus mühsamen Jahren etliche, gerade auch internationale Erfolge feiert.

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Sichtbeton und Holz dominieren die Übergänge. (Bild: Jan Bitter)

Über den gläsernen Zugang geht es in das Foyer, mit viel Sichtbeton und hellem Holz, dem sich hinter einer Glaswand der unvermeidliche Buchladen anschließt sowie ein abgesenktes Auditorium. Von der Fußgängerebene der Straße aus lässt sich durch große Scheiben in den schönen Raum schauen. Öffnung und Durchdringung als gestalterisches wie inhaltliches Prinzip. Wie schön. Über das zauberhaft betonierte Treppenhaus geht es in gemessenen Schritten empor, der Handlauf in der Treppenmitte unterstreicht die skulpturale Note des Bauwerks mit seinen wohlinszenierten Durch- und Aussichten. Während wir an den beiden in einem medialen Overkill bespielten Geschossen der ständigen Ausstellung zur italienischen Geschichte im 20. Jahrhundert emporschreiten, also dem namensgebenden „Novecento“ der „‘900“, ist vielleicht der richtige Zeitpunkt um zu gestehen, dass ich ein wenig befangen bin, was die Architektur von Sauerbruch Hutton betrifft. Das liegt einerseits darin begründet, dass sie mit ihren „frühen“ Berliner Bauten, dem Photonikzentrum (1998) in Adlershof und dem GSW-Hochhaus (1999) gezeigt haben, wie sich Berlin nach der Wiedervereinigung großzügig organisch hätte entwickeln können, wäre man in der Stadt mutiger und gewesen und nicht so rasterdogmatisch blockrändlich. Das andere was mich für sie einnimmt ist die Schönheit ihrer Bauten, mit der sie zugleich aufgezeigt haben, wie sich Nachhaltigkeit, Materialverwendung und gelungene Gestaltung einander bedingend durchdringen.

Die Vorgelschau zeigt das dicht bebaute, komlex gefügte Quartier in Mestre. (© Sauerbruch Hutton)

Die Vogelschau zeigt das dicht bebaute, komlex gefügte Quartier in Mestre. (© Sauerbruch Hutton)

Farben und Holz

All das lässt sich auch auf der weiten Ausstellungsfläche im Obergeschoss des M 9 erleben. Und natürlich, da sind sie wieder, die Farben der Städte, die sich nicht nur an den Modellen auf ihren feingliedrigen Podesten zeigen, sondern auch an den Wänden, an denen die nicht minder farbigen Zeichnungen und Gemälde hängen. Dass Bau-Kunst so vieles mehr seien kann als reine Zweck- und Funktionserfüllung wird hier auf unterschiedlichen Ebenen erlebbar.
Die Ausstellung ist selbst eine kleine Stadt, bietet ein sinnliches Erleben, dass sich über die QR-Codes in digitale Erläuterungen vertiefen ließe. Doch viel schöner ist es, dem Film über Sauerbruch Hutton zu folgen, den Harun Faroqhi aufgenommen hat, und mit offenen Augen zwischen den Modellen unterschiedlicher Maßstäbe umherzustreifen, alte Bekannte wiederzusehen, wie die Münchner Sammlung Brandhorst (2009) oder die aus Holz errichtete Kölner Immanuelkirche (2013) mit ihrer transzendenten – farbigen – Altarwand. Das Thema Holzbau, das beim Woodie (2017) in Hamburg-Harburg ebenso interpretiert wurde, wie bei der Aufstockung der Metropolitan Schule (2020) in Berlin beweist, dass Holz überhaupt nicht hölzern daherkommen muss.

(Foto: Jan Bitter)

(Foto: Jan Bitter)

Gerade bei diesem Schulbau knüpft die Frage nach dem Umgang mit dem Bestand an, den Sauerbruch Hutton weit früher als manch andere Architekturbüros auf ihrer gebauten Agenda hatten. Gleichwohl entspinnt sich gerade ein Streit um das Zürcher Maaglive-Areal, auf dem Sauerbruch Hutton den Abbruch der Maaghalle vorsehen, im Gegensatz zu Lacaton Vassal, die mit deren Erhalt planen. Das alles lässt sich schwerlich auf Abriss = böse und Erhalt = gut hinunterbrechen. Hubertus Adam hat das Problem im Baunetz klug skizziert, während Matthias Sauerbruch und Tom Geister, ebenfalls im Baunetz, eine differenzierte Diskussion anmahnten, die unter anderem die entstehenden Grünflächen auf dem dicht bebauten Areal in den Blick nehmen und das langfristige Umnutzbarkeitspotential ihres Beitrags.

In memoria Gregotti und Scarpa

Gemütlich in einem der von Sauerbruch Hutton entworfenen Stühle sitzend, wandert mein Blick von dem großen, verglasten Stadtbalkon, der die Ausstellungsfläche abrundet, über Mestre. Da also sind sie noch einmal, die Farben der Stadt. Ihre Rot- und Sandtöne. Darüber ein himmlisches Blau. Beim Abstieg von dieser eindrucksvollen Werkschau, die für eine andere, kunstvoll künstlerische und zugleich organisch nachhaltig wie funktionale Architektur steht, fällt mein Blick auf eine weitere kleine Ausstellung, zur Architektur in Venedig in der Moderne, die schon im Foyer des Museums beginnt. Arbeiten von Vittorio Gregotti sind dort zu sehen, der zu Beginn des vergangenen Jahres an Corona starb, aber auch von Carlo Scarpa, der mehrfach und in unterschiedlichem Maßstab in Venedig gearbeitet hat. Gibt es, schießt es mir durch den Kopf, bei allen offensichtlichen Unterschieden, nicht doch geheime Bezüge zu dem, was Sauerbruch Hutton entwerfen? Während sich Venedigs Silhouette bei der Rückfahrt mit der Straßenbahn aus dem sommerdunstigen Blau der Lagune erhebt, denke ich an jenen Moment der sinnlichen, ja körperlich spürbaren Erlösung zurück, den mir Scarpas kleiner, japanisch angehauchter Garten auf der Biennale bedeutete, nach dem unerträglich überwirbelnden Lärm des diesjährigen Hauptpavillons. Warum aber haben es gerade diese sinnlichen Räume und Kompositionen jenseits ihrer wenigen Liebhaber (ohne festen Wohnsitz) schwerer, sich im lärmenden Mainstream des Architekturgeschäfts durchzusetzen? Dabei bleiben doch gerade sie in der Seele haften, richten sich mit einem Lächeln in der Erinnerung ein. Fast ließe sich, ersetzte man einzig das Wort „Liebe“ durch „Architektur“ (oder setzte es gar gleich) sagen, was Carlo Fruttero und Franco Lucentini in ihrem bemerkenswerten Venedigroman 1986 schrieben: „..vor zweitausendfünfhundert oder selbst vor dreitausend Jahren war die Liebe/Architektur schon mehr oder weniger wie jetzt. Die gleichen Situationen, die gleichen Gefühle….“

(Foto: Jan Bitter)

(Foto: Jan Bitter)

– Sauerbruch Hutton, draw love build, bis 9. Januar 2022 (Begleitpublikation bei Lars Müller, https://www.lars-mueller-publishers.com/turn-century)
– Le sfide di Venezia. L’architettura e la Città nel Novecento, bis 9.1.2002