Volkwin Marg ist 85! Und Bücher sind gmp nicht fremd. Wer allein ihre solide gebundenen Werkberichte regelmäßig erhalten hat, braucht dafür ein eigenes Bord. Auch die beiden Gründungspartner haben sich immer wieder fachkundig geäußert, vor fünf Jahren erschienen Volkwin Margs „Gespräche wegen Architektur“ 1), zu seinem 85. Geburtstag am 15. Oktober hat Gert Kähler ihn zu den „Grauganseffekten“ 2) befragt.
Das Vorwort von Hark Bohm beginnt mit der Leidenschaft des Jubilars, alte Segelboote wieder flott zu kriegen. Und das namensgebende Schlusskapitel schließt an diese emotionale maritime Orientierung zu Schiffen und Hafenstädten an, der „Grauganseffekt“ (wie es Verhaltensforscher nennen), der Marg nach seiner Heimatstadt Danzig in Hamburg wieder Fuß fassen ließ. Er macht das gut, wie er seine Kindheit und Jugend erzählt, so könnte die Geschichte gerne weitergehen, aber Marg ist dann ziemlich rasch bei seiner aufreibenden Berufspraxis, erinnert sich eilig, was ihm gelang mit “Museumshafen Oevelgönne, Kühlhaus, Altonaer Fischerei-Hafen, Fischauktionshalle, Fischmarkt Altona bis zur Kehrwiederspitze – und schließlich mit dem ,Geheimprojekt Hafen-City’ und den Elbbrücken“. Dabei hätte man ihn gerne einmal privater kennengelernt, schon wegen dieser seltsamen Hausmeister-Anzüge, mit denen sich die Bürochefs seit Jahrzehnten ausstaffieren. Marg war im Gegensatz zu Meinhard von Gerkan für uns Architekturschreiber immer der links stehende Partner, unvergessen sein Engagement in den 1980er Jahren gegen den Bau von Atomschutzbunkern.3) In diesem Buch geht es nur um ihn und Hamburg. Die Asymmetrie, dass der andere Partner wohl auch etwas dazu beigetragen und sich nicht umgehend nach China verabschiedet hat, nimmt Gert Kähler, der Marg und die Stadt seit Jahrzehnten publizistisch begleitet, in Kauf.

Gert Kähler: Grauganseffekte. Hamburg und der Architekt Volkwin Marg. 360 Seiten, 210 Abbildungen, Format 17 x 24 cm, Hamburg 2021, 28 €, ISBN 978-3-86218-148-3
Das Buch ist in Kapitel gegliedert, die sich an bestimmten Bauaufgaben orientieren. Vielleicht ist es mehr ein literarischer als chronologischer oder typologischer Aufhänger (“Kühle Lagerung von Senioren“ heißt ein Kapitel). Bei den ersten zwei Abschnitten schickt Kähler eine knappe Hintergrundinformation zum politischen Zeitgeist und zur Baugeschichte voraus, das liest sich gut, vor allem, da sich Marg eben nicht auf den technokratischen Bauästheten reduzieren lässt. In den weiteren Kapiteln wird dieses Prinzip aufgegeben. Man hat das Gefühl, dass sich so ein ereignisreiches Architektenleben von internationalem Business bis zum bürgerschaftlichen Engagement kaum systematisch zwischen zwei Buchdeckel klemmen lässt. Sagen wir, es ist eher ein gut und mit einer Spur Ironie geschriebenes, sehr informatives Handbuch zum Herumlesen geworden, kein sprödes Bulletin. Es stört auch nicht, dass sich die wörtlichen Passagen des Architekten mit der Berichterstattung des Autors überschneiden. Kähler hat mit Bienenfleiß zusammengetragen, was sich zur Vorgeschichte und Planung einzelner Bauten finden ließ, und man muss kleinlaut zugeben, dass man als flüchtiger Zeitschriftenreporter immer nur eines Bruchteils dieser Informationen habhaft werden konnte. (Und gerne war man etwas ungerecht mit gmp, weil man glaubte, deren glänzende Erfolge besonders kritisch betrachten zu müssen.) Allerdings strotzt das Buch mit „Hamburgensien“. Man bräuchte wenigstens einen Stadtplan dazu, um die Tour durch die Beke, Fleete und Häfen, vorbei an Anlegern, über Wälle und Brücken, in unbekannte Speicher und Kontore wenigstens räumlich nachvollziehen zu können. Wasser und alte Fundamente ringsum!
Volkwin Marg ist eben nicht nur der Patron eines umsatzträchtigen Architekturbüros. Für ihn gibt es immer etwas zu retten: „Rettet die alten Straßenlaternen, rettet Finkenwerder, die alte Nähmaschine, einen Trabbi, die alte Padua, einen Antonow-Doppeldecker…“ Ich habe ihn einmal in Leipzig getroffen, wir spazierten durch die noch kaum westlich umbrochene Stadt. Bei einem Trödler hatte er eine alte Schulbank entdeckt, die er im Vorübergehen für seinen Enkel Julius kaufte. Das freute ihn augenblicklich mehr als seine neue Messehalle.
1) Volkwin Marg: Der Verstand so schnell, die Seele so langsam. Zürich 2016
2) Gert Kähler: Grauganseffekte. Hamburg und der Architekt Volkwin Marg. Hamburg 2021
3) Volkwin Marg: Architektur ist – natürlich nicht unpolitisch. München 2009