©Alix Häfner. Aus der Serie „Covid Grenzen“
Seit die Pandemie unseren Alltag umkrempelt und vielen einiges zumutet, wird darüber nachgedacht, wie die Stadt verändert werden muss, welche Lehren aus der Pandemie für die Stadtentwicklung und die Stadtplanung zu ziehen sind. Der Begriff der Post-Corona-Stadt führt aber in die Irre. Denn die Pandemie hat nur deutlicher sichtbar gemacht, was vorher schon hätte verändert werden können und müssen.
Die Bilder dieses Beitrags sind Teil der Ausstellung „Fuck You Corona“, die bis zum 21. Januar 22 in Gelsenkirchen zu sehen ist. Sie zeigt, wie Fotografinnen und Fotografen mit ihren Mitteln auf die Corona-Krise reagiert haben und Arbeiten schufen, die unterschiedlichste Themen beleuchten. Sie stellen aber auch das eigene Befinden oder das im eigenen Umfeld auf eindrückliche Weise künstlerisch dar. Durch die Arbeiten erhält Corona ein Bild jenseits von Fallzahlen und Entwicklungskurven. Noch mitten in der Pandemie werden unsere Erfahrungen ergänzt durch Reflexionen unseres Umgangs mit einer nie dagewesenen gesellschaftlichen Herausforderung.
Dem Aufruf, Bilder für die geplante Ausstellung einzureichen, folgten 301 Fotograf*innen aus Deutschland, Österreich, Schweiz, Spanien, England, Frankreich, Slowenien, Tschechien, Israel, USA und Argentinien mit insgesamt 415 Fotoserien und etwa 10.000 Einzelbildern. Eine Jury wählte aus den Einreichungen 23 Fotoserien von 24 Fotograf*innen aus. Die Beiträge bereichern die Sicht auf die Stadt und deren Qualitäten wie Defizite auf eine Weise, wie sie kein anderes Medium leisten kann. Weitere Information zur Ausstellung >>>
„Hoffnung macht untätig und feige“, so die kürzlich verstorbene Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger. Frank Augustin, Chefredakteur von Agora42, einem philosophischen Wirtschaftsmagazin, fügt hinzu, „dass sich Untätigkeit und Feigheit auch im Aktivismus ausdrücken: Das ängstlich-arbeitsame Weiter-so in vielen Branchen steht de facto für geistigen Stillstand und die Furcht vor echter Veränderung.“
Wer sich von den vielen Ankündigungen, dass nichts mehr so bleiben werde, wie es war, blenden ließ, wer auf ein schnelles Umlenken in den vielen wichtigen Dingen, die uns herausfordern und bedrohen, muss die letzten Wochen einschließlich der Bundestagswahl als eine große Enttäuschung erlebt haben. Etwa Andreas Schlüter, der im Sommer eine Bilanz anhand des Beispiels Hamburg zog und nicht fassen konnte, was er zu sehen bekam – etwas das „Westfield Hamburg-Überseequartier“: „Ein gigantisches Einkaufszentrum mit 200 Geschäften auf 20.000 Quadratmetern, Kinos, Hotels, einem Kreuzfahrtterminal, zudem 650 Wohnungen und gut 4000 Büroarbeitsplätze; all dies – vor Corona projektiert – wird jetzt, als hätte es keinerlei Erkenntnis aus der Pandemie gegeben, schlicht weitergebaut.“ (1) Sinnbildlich kann die Überschrift über die Ahrtal-Flut und deren Folgen angesehen werden: „Fast alle zerstörten Häuser dürfen aufgebaut werden.“ Die Sehnsucht ist groß, es möge sich viel wieder in den alten Bahnen bewegen, in denen der Routine, die davon entlastet, Entscheidungen neu treffen zu müssen. Kritische Köpfe begriffen nicht, dass „es niemand ertragen könne, wenn er ständig Entscheidungen zu treffen hätte“, hatte der Philosoph Hans Blumenberg konstatiert. (2) Insofern ist es menschlich, wenn man sich erst einmal am Vertrauten orientiert.
Routiniert entschieden
Aber einige Entscheidungen werden ja doch getroffen. Und trotz der Verunsicherung, die die Sehnsucht nach dem vermeintlich guten Vergangenen verständlich erscheinen lässt, wurde eine Erkenntnis drastisch erlebt: „Dass die Gefährdungen, die in der Risikogesellschaft von heute jede einzelne Person in ihrem eigenen Leben betreffen, mit den üblichen Mitteln der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung nicht zu bewältigen sind“, so Heinz Bude. Für den erfahrenen kritischen Geist Bude mögen Enttäuschungen wie die, dass Menschen nicht so gerne Entscheidungen treffen, keine Überraschung sein. Im Interview, dem das obige Zitat entnommen ist, öffnet er aber immerhin die Perspektive auf das, was Menschen dann doch dazu verleiten könne, zumindest ungewohnte Entscheidungen zu akzeptieren. Mit einer deutlich wirkungsvolleren Klimapolitik den Menschen zu versprechen, dass alle etwas hinzubekommen sei nicht glaubhaft. Aber: „Die Rechnung lautet doch anders: Individueller Wohlstandsverlust kann kollektiven Wohlfahrtsgewinn mit sich bringen. Klima für alle! Das leuchtet aber nur dann ein, wenn man einen Begriff gesellschaftlichen Reichtums hat, der über rein ökonomischen Reichtum hinausgeht. Aber was ist gesellschaftlicher Reichtum? Gehört die soziale Marktwirtschaft zu unserem gesellschaftlichen Reichtum? Gehören die Genossenschaften dazu? Das Leben auf dem Lande? Die Innenstädte?“
Damit ist wäre zur Frage übergeleitet, was sich denn auf dem Gebiet der Stadtplanung getan hat. Auch hier sind erst einmal routinierte Entscheidungen getroffen worden. Dazu gehört es, Förderung für das jeweils aktuelle Thema auszuschütten: Jetzt also für die Post-Corona-Stadt. Mit 3,5 Millionen fördert das BMI 13 Projekte, 13 Projekte in denen in sich in Reallaboren, Akademien und Co-Working-Galerien engagierte Menschen um einen anderen Umgang mit dem Bestand, über gemeinschaftsfördernde Initiativen, über neue Nutzungsstrategien abseits der üblichen starren Belegungen bemühen. Man muss festhalten: 3,5 Millionen für 13 Projekte, das sind schüttere 270.000 Euro je Projekt. Die Frage, die sich irgendwann einmal stellen muss, ist, wie weit diese Initiativen und Projekte tragen können, wenn die Mechanismen, die dazu geführt haben, dass sie nötig werden, unangetastet bleiben. Denn für diese Förderung gilt, auch wenn es auf Länderebene weitere Programme gibt, die die zu den 3,5 Mio aufstocken, wie etwa die 27 Mio Euro im hessischen Programm Zukunft Innenstadt: „Ohne flankierende Politiken der Länder und Kommunen, mit denen Klimaschutz, Mobilitätswende, Armutsbekämpfung und soziale Segregation adressiert werden, bliebe die Sätdtebauförderung der buchstäblich Tropfen auf den heißen Stein.“ (3) Man muss sich nur einmal die Dimensionen der Verteilungen von Geldmitteln vor Augen führen: Seit 1971 – also in 50 Jahren (!) wurden in Baden-Württemberg für die Städtebauförderung 8 Milliarden Euro ausgegeben. (4) Das ist noch mal eine Milliarde weniger als das, was 2020 allein für die Unterstützung der Lufthansa ausgegeben wurde. (5) Gesellschaftlicher Reichtum erschöpft sich sicher nicht im Monetären, aber wie Geld verteilt wird macht doch deutlich, wo man ihn sich erhofft.
Deswegen ist es durchaus sinnvoll, etwas deutlicher zu formulieren, was absehbar ist und wo man sich keine träge machenden Hoffnungen machen sollte, es werde schon wieder so werden wie vorher, und wenn nicht dann doch irgendwie anders gut. In der Zeitschrift der ARL hatte sich Klaus R. Kunzmann Gedanken darüber gemacht, was anders werden könnte, wenn die Corona-Pandemie überwunden sein wird. Dass es eine Wende zum dringend notwendigen ökologischen Umbau geben wird, beurteilt er skeptisch, wenn er sie auch nicht ausschließen mag: „Die EU wird ihre liberale Wirtschaftspolitik fortsetzen und sich bemühen, ihre sozialen Anliegen dabei nicht zu vernachlässigen. Sie wird ihre Umweltziele durchsetzen und ihre Grenzen sichern. Oder: Die EU verständigt sich mit ihren Mitgliedsländern darauf, sich als europäisches Laboratorium für nachhaltiges Wirtschaften über kleinräumige regionale Wirtschaftskreisläufe und Nahrungsmittelketten von globalen Konsumgüterströmen und Versorgungsketten unabhängig zu machen.“ Ein Blick in das Ergebnis der Sondierung für eine neue Bundesregierung zeigt, dass zumindest in Deutschland von einem Laboratorium für nachhaltiges Wirtschaften nicht die Rede sein kann. Mit wenigen Millionen geförderte Einzelprojekte werden daran nichts ändern, wenn kein fruchtbarer Boden bereitet wird, auf den sie fallen könnten – „das ängstlich-arbeitsame Weiter-so in vielen Branchen,“ das für geistigen Stillstand steht, gilt auch für die routinierte Ökopolitik.
Die Pandemie als Argument
Die Städte und Regionen bieten gleichzeitig Anschauungsmaterial für all das, was angegangen werden könnte. Die Pandemie hat bereits in den wenigen Wochen des ersten Lockdowns eindrucksvoll gezeigt, dass unsere Städte uns nicht so dicht erscheinen müssten, wenn die Dominanz des Automobils weniger erdrückend ist.
Gleichzeitig wurde deutlich, wie wenig unser öffentlicher Raum ausgestattet ist dafür, wirklich als Aufenthaltsort eine Alternative zu privaten Freiräumen zu bieten. Jugendliche waren die großen Verlierer der Pandemie, und das lag nicht nur daran, dass Schulen und Universitäten geschlossen waren. Ihnen wurde zu oft mit Misstrauen, mit vorsorglichem Polizeiaufgebot begegnet, sie hatten zu wenig Raum, in dem sie sich ohne konsumieren zu müssen aufhalten konnten. (6)
Das Szenario einer weiteren Zersiedlung aus Skepsis vor der dichten Stadt, verbunden mit Zunahmen an Autoverkehr wurde gestärkt – die möglichen Gewinne der Home-office-Tage – weniger Verkehr – würden dabei als Rebound-Effekt gleich wieder aufgefressen. Dazu kommt, dass es Branchen gibt, deren Tätigkeiten sich nicht durch eine dezentrales Arbeiten erledigen lassen. Das betrifft in der Regel die weniger gut bezahlten Jobs – was de facto nichts anderes heißt, als dass soziale Segregation und gesellschaftliche Spannungen verstärkt zu werden drohen. Es gilt also, die Region als Verflechtungsraum in den Blick zunehmen.
Die temporäre Aktivierung des Raums in den Quartieren – wie etwa durch den Kulturlieferdienst in München – steht dem institutionellen und verfestigten Misstrauen gegenüber jungen und ungewohnten Ansätzen gegenüber. Aufgabenstellungen in Wettbewerben – städtebaulichen wie anderen – werden von vorneherein so eingehegt, dass Überraschendes vermieden wird. (7) Vergabeverfahren sind von vorneherein so mit Ansprüchen überhäuft, dass junge Büros nicht zum Zuge kommen. Das prägt die Praxis auch jenseits der Wettbewerbe. Wo sind die Formate, mit denen der städtische Aufbruch eingeleitet wird? Mit jungen Stimmen, ohne Denkverbote, als öffentliche Diskursplattform? Die Experimente, aus denen mehr werden darf als die Bemäntelung der Misere?
In „Organisiert euch! Zusammen die Stadt verändern“ warnen die Verfasser all die, die genau das tun wollen, nämlich die Stadt verändern: „Achtet aber darauf, dass ihr nicht nur Versuchskaninchen seid, sondern euch die Möglichkeit aushandelt, eine gelungene, funktionierende Nutzung langfristig zu verstetigen.“ (8) Solche Verstetigung gelingt leider vielfach eben nicht, und auch hier gilt: weil die Voraussetzungen dafür viel zu selten gegeben sind. Sie müssen aber nicht als Ausnahme, sondern als Dauerzustand eingeführt und strukturell verankert werden. Wie etwa in Paris, wo nicht nur ein flächendeckendes Tempo 30 eingeführt wurde, sondern auch beispielsweise seit 2004 die Gesellschaft Semaest im Auftrag der Stadt freiwerdende Ladenflächen aufkauft und sie vergünstigt an kleine lokale Händler und Dienstleister, die sich keine teure Miete leisten können. (9)
Fünf Regeln
Um tatsächlich weiter zu kommen, als es die verzagte Aktivismus andeutet, ist an viele Schrauben zu drehen. Wesentlich ist aber, dass dem Handeln ein Umdenken vorausgehen müsste. Das mag anstrengend sein, aber vielleicht helfen ein paar Regeln, wenn man sie immer wieder ins Gedächtnis ruft.
Das Wichtigste ist wahrscheinlich, Privilegien zu erkennen und zu benennen. Der blinde Fleck in vielen Diskussionen lag genau hier: dass Privilegien nicht als solche behandelt wurden, sondern als eine Form der Normalität, die sich wie ein schwerer Teppich über das Gesamte legte und so Ausschlussmechanismen verstärkte. Das betrifft die Frage des Home-Office ebenso wie die Frage der Mobilität. So steigt die Nutzung des ÖPNV, je weniger die Menschen verdienen. Solidarität – die „einzige Medizin, die in der Corona-Krise geholfen hat“ (10) setzt aber genau das voraus: Privilegien nicht als selbstverständlich hinzunehmen. Vielleicht hat die Corona-Pandemie außerdem gezeigt, dass die Menschen in manchen Dingen einen realistischeren Blick auf die Dinge haben, als es die Politiker ihnen zutrauen – zweite Regel: traut den Menschen etwas zu – vielleicht zeigen sie ja sogar, was der gesellschaftliche Reichtum sein kann, der ihnen Veränderung leichter mach. Ebenso wie laut Politbarometer selbst die FDP Wähler glauben, dass es sinnvoll ist, hohe Einkommen stärker zu besteuern, sind möglicherweise Menschen weniger veränderungsresistent sind als angenommen – so hat das Forschungsprojekt MOBICOR gezeigt, dass viele auch nach Abschwächung der Restriktionen das durch die Einschränkungen der Pandemie zwangsweise veränderte Verhalten in vielen Bereichen freiwillig beibehalten: „Die Füße und das Fahrrad bleiben in den Städten weiter hoch im Kurs, der Bewegungsradius wird kompakter angelegt und das Fliegen ist für über 40 Prozent der Befragten kaum noch eine Option.“
Eine dritte Regel könnte lauten: lasst Spielräume! Stefan Rettich nannte dies in einem Beitrag für die Zeitschrift Planerin Redundanzen: „Auch in der Stadtentwicklung brauchen wir dringend eine Lagerhaltung, die uns die Spielräume zurückgibt, die wir benötigen, für die sogenannten „Known Unknowns“, also die Herausforderungen, die wir kennen, von denen wir aber nicht wissen, wann und in welchem Umfang sie wieder auf den Plan treten werden.“ (11)
Eine vierte Regel wäre, sich von den Entweder-Oder-Konfrontationen zu befreien, die Diskussionen möglicherweise plakativer machen, der Realität aber weniger gerecht werden. Es ist auch eine Schwierigkeit der aktuellen Städtebaupolitik, die auf Corona reagiert, dass vorwiegend Innenstädte im Fokus stehen. Die Prozesse, in deren Rahmen sie die besondere Stellung bekommen, sind aber nicht auf die Innenstadt beschränkt. So wäre eine aktivere Bodenpolitik nur in einem Zusammenhang sinnvoll, der das Thema des Bodens generell behandelt, auch wenn es gerade in den Innenstädten zu den Entwicklungen führt, die wir beklagen. Auch die Frage nach der Qualität der öffentlichen Räume und der Gestaltung von Quartieren wird oft dadurch blockiert, dass die regionalen Verflechtungen und Infrastrukturen nicht als ausreichend relevant für die Gestaltung wahrgenommen werden und vom antagonistischen Stadt-Land-Zustand ausgehen, der an der Realität der komplexen Verflechtungen vorbeigeht (12) Und eine letzte Regel könnte sein: Versteht Technik als Politik. Und nicht als Politikersatz. So wird die Smart City im Sinne seit der Pandemie noch entschiedener in einer von den großen Playern bevorzugten Variante vorangetrieben. Je mehr man sie gewähren lässt, desto schwerer wird es werden, Nachteilen für die Freiheit des Individuums wie für die Stadtgesellschaft zu begegnen. (13)
Die Post-Corona-Stadt, so könnte man es vielleicht zusammenfassen, sollte keine Post-Corona-Stadt sein – keine, die die Pandemie wie ein einmaliges Ereignis versteht, auf das man irgendwann einmal wieder vorbereitet sein müsste. Die Post-Corona- Stadt müsste vielmehr die sein, die schon vor der Pandemie das Leitbild hätte sein sollen. Umso wichtiger, dass sie es jetzt wird.