Zu diesem Zeitpunkt war der 1925 in Erfurt geborene Joedicke bereits seit sechzehn Jahren an der Architekturfakultät der Stuttgarter Universität tätig, die sich damals noch Technische Hochschule nannte. Zunächst hatte er als Assistent bei Curt Siegel Tragwerkslehre unterrichtet und später, nach seiner Habilitation, die Fächer Architekturtheorie und Entwicklungslinien der modernen Architektur.

„Theorie in der Architektur ist nur dann sinnvoll, wenn sie am praktischen Beispiel überprüft wird.“ Jürgen Joedicke
Joedicke war 1950, gleich nach seinem Architekturstudium in Weimar, in den Westen gewechselt und in Stuttgart gestrandet, wo er sich in der von ihm selbst vorgelebten Einheit von Theorie und Praxis für eine undogmatische Architekturlehre einsetzte. Im Rückblick will es scheinen, als sei er der letzte Hochschullehrer gewesen, der in Personalunion bauender Architekt und hoch qualifizierter Wissenschaftler war. Wohl überwogen bei ihm, der seit 1957 als freier Architekt arbeitete und das Klinikum Süd in Nürnberg (1986–1994) entwarf, die wissenschaftlichen Interessen, aber vielleicht ja nur deshalb, weil auf theoretischem Gebiet so viel zu tun war! Ganz besonders im Gründungsjahr des Igma, als die Studenten auf die Barrikaden gingen und nicht bloß die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, sondern auch die Architektur in die Pflicht einer kritischen Selbstbesinnung genommen sehen wollten.
Während viele seiner Kollegen die Flucht ergriffen, hielt der kriegsverletzte Joedicke in seiner Hochschule die Stellung, widmete sich der strengen Analyse des Gebauten, außerdem der Frage, wie es auf den Menschen wirkt, und vertrat mit Vorliebe Positionen, die sich dem Mainstream widersetzen. Dies, dann aber auch sein Bestreben, die Theoretisierung der Architektur zu internationalisieren, und seine Toleranz, die dazu führte, dass es für ihn keine Rolle spielte, zu welcher “Richtung“ ein Student tendiert, sondern ob und wie er seine gewählte Position zu begründen weiß – das alles zusammen sicherte ihm die Sympathie kommender Generationen. Sie lernten es in einer Zeit des ewigen Streitens und
