Am 24. April 2015 verstarb in Bernbeuren der Architekturhistoriker Dieter Kimpel, der von 1989 bis 2007 das Institut für Architekturgeschichte der Universität Stuttgart leitete und international für seine Forschungen zur mittelalterlichen Architektur hoch geschätzt war.
Bauforschung | Architekturhistoriker an Architekturfakultäten stehen unter einem gewissen Recht-fertigungszwang, insbesondere wenn sie sich – wie Dieter Kimpel – mit mittelalterlicher Geschichte beschäftigen. Nun hatte Dieter Kimpel zwar Kunstgeschichte, klassische Archäologie und romanische Literaturwissenschaft in Bonn und Paris studiert, aber er war nicht nur ein ausgezeichneter Kunsthistoriker und eine humanistisch gebildete Persönlichkeit, sondern er war auch Bauforscher. Ein Fugenkratzer, der ein Bauwerk nicht aus Plänen beurteilte, sondern vor Ort mit den Händen berühren musste, um es verstehen zu lernen.
Der Marxist – Soziogenese und Sozioökonomie | Zunächst hatte er sich mit gotischer Skulptur beschäftigt, und auch Architektur verstand er letztlich als plastischen Körper, der sich nicht allein optisch, sondern nur haptisch und in Bewegung erschließt. Als historischer Marxist beschäftigte er sich mit den mittelalterlichen Baustellen, erforschte Vorfertigung und die Versatztechniken der gotischen Architektur an den avanciertesten Bauwerken des 13. Jahrhunderts, um eine Korrelation von Bautechnik und Formgebung zu entwickeln. Am mittelalterli-chen Beispiel beschäftigte er sich auch mit der Soziogenese des modernen Architek-ten, den er schon im 13. Jahrhundert auf den Baustellen der großen Kathedralen als Dirigenten aller am Bau beteiligten Gewerke dingfest machen konnte. Mit seinen For-schungen hat Kimpel viele Tabus gebrochen, indem er keiner dogmatischen Stilge-schichte verpflichtet war, sondern gleichsam einen „material turn“ vollzogen hat, der methodisch größte Zukunft besaß. Seine Gotikforschungen fasste er 1985 zusammen mit Robert Suckale in dem bis heute als Standardwerk zu dieser Epoche geltenden und in mehrere Sprachen übersetzten Buch „Die gotische Architektur in Frankreich 1130–1270“ zusammen. Später folgten seine Forschungen zur Kathedrale von Auxerre, für die er ein DFG-Projekt einwarb, und das Institut zu einem international beachte-ten Zentrum der Gotikforschung machte.
1996 bis 1998 war Dieter Kimpel Dekan der Fakultät Architektur und Stadtplanung der Universität Stuttgart, also genau in der Zeit, in die der erste sogenannte Solidarpakt der Universität mit dem Land Baden-Württemberg fiel, was den politisch aktiven und streitbaren Professor zu argumentativen Höchstleistungen gegen die damalige Bildungspolitik reizte und der Fakultät die nun anstehende Sparpolitik zumindest etwas erleichterte. Kimpels Forschungsinteressen waren vielfältig und er ließ seinen Assistenten und Doktoranden freie Wahl in ihren Forschungsthemen. Es entstanden Arbeiten zu unterschiedlichsten Themen, natürlich zur mittelalterlichen Architektur (Bronnbach, Saint-Gilles-du-Gard, Auxerre), aber auch zur nationalsozialistischen Architektur und Stadtplanung, zu Architekturzeichnungen- und fotographie, zum Gewölbebau mit selbsttragenden Mauerschichten oder zur Industriearchitektur.
sous les pavés, la plage | Alle seine Doktorandinnen und Doktoranden waren ihm nah und erfuhren seine Aufrichtigkeit, sein Vertrauen und seine Menschlichkeit. Kimpel war ehrlich, aber auch stur und impulsiv. Ein Charakterkopf, der manchmal auch umwer-fend charmant sein konnte. Seine große Liebe galt dem Jazz und der Malerei Caravaggios; er war ein Kenner Frankreichs und speziell der Stadt Paris, wo er in seinen Studientagen an der 1968er Revolution aktiv teilnahm. Er wusste wun-derbare Geschichten von „sous les pavés, la plage!“ zu erzählen. Sein Paris-Archi-tekturführer ist bis heute ein guter Begleiter durch die Stadt. Seine Muße fand er auf dem Auerberg bei Bernbeuren, wo er – auf 900 Meter Höhe – Heidschnucken, die er aus Oldenburg mitgebracht hatte, züchtete.