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Sakrales Dreieck

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Als der Autor am 10. Oktober 2019 nach Regensburg kam, um dort die neue Synagoge anzuschauen, stand vis-à-vis vom Eingang ein Streifenwagen. Wenige Tage nach dem Anschlag eines Rechtsextremen auf die Synagoge in Halle lagen die Nerven blank. Dabei bietet der Neubau viele Gründe zu ungeteilter Freude. Und: Erst, wenn weder Synagogen, noch Moscheen, Kirchen oder andere Häuser von Menschen jedwelchen Glaubens geschützt werden müssen, kann man von einem Deutschland reden, in dem Rassismus keine alltägliche Gefährdung ist.

oben: Polizeischutz für die Regensburger Synagoge (Bild: Wilfried Dechau)

Architekten: Staab Architekten, Berlin


Die 1938 in Brand gesetzte Synagoge

Die 1938 in Brand gesetzte Synagoge (Bild: Wikipedia)

Beschämter Blick zurück

Bevor man nach Regensburg fährt, um die neue Synagoge anzuschauen, lohnt ein virtueller Besuch bei Google Maps (abgerufen am 15. Oktober 2019, 10:47): Gegenwärtig bietet sich hier noch ein Blick in die Geschichte, denn die Luftansicht des Grundstücks Am Brixener Hof 2 wurde noch nicht aktualisiert. Mauerreste entlang der Straße lassen erahnen, dass hier einmal die alte Synagoge stand – gebaut 1912 von Joseph Koch und Franz Spiegel, in Brand gesteckt am 9. November 1938 von NSKK-Leuten. Der damalige Bürgermeister Otto Schottenheim hatte die Feuerwehr ausdrücklich angewiesen, nicht die Synagoge, sondern nur die Umgebungsbauten vor den Flammen zu schützen. So blieb wenigstens das ebenfalls 1912 errichtete, jüdische Gemeindehaus verschont, das jetzt behutsam saniert wurde. Im Wettlauf mit Google ist die Wirklichkeit immer ein Stück voraus. Die Baulücke wurde jetzt mit der neuen Synagoge geschlossen, die als Ergebnis eines 2015 ausgelobten Wettbewerbs entstand. Aber die Geschichte bleibt schmerzlich präsent – daran erinnert auch die Erinnerungstafel. Das „Sakrale Dreieck“ aus katholischem Dom, protestantischer Neupfarrkirche und jüdischer Synagoge, das bis 1938 existierte, gewinnt wieder sein Gleichgewicht.

Im OG des vom Feuer verschonten Gemeindehauses war nach dem Krieg diese provisorische Synagoge eingerichtet worden. (Bild: Wilfried Dechau)


Erdgeschoss

Erdgeschoss; das Gemeindezentrum ist von zwei Straßen aus erschlossen, jeweils über einen Hof.

Neuanfang

Der Baukörper ist klar gegliedert. Die von nur wenigen, aber großformatigen Fensteröffnungen durchbrochenen Wände wirken aus größerer Distanz wie Putzflächen. Dieser Effekt ist durchaus gewollt. Nicht nur in dieser Straße, in Regensburg überhaupt sind die meisten Häuser verputzt und in Pastelltönen gestrichen. Die Synagoge trumpft nicht durch ungewöhnliche oder teure Materialien auf, sie macht eher durch ungewöhnliche Verwendung herkömmlicher, bekannter Materialien auf sich aufmerksam. Was man zunächst für Putz halten konnte, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als schlanker, bündig verfugter, cremefarbener Ziegel – allerdings auf sehr ungewöhnliche Weise vermauert: eine Grenadierschicht über der anderen. Ein solches, nicht normgerechtes Mauerwerk bedurfte der Zustimmung im Einzelfall. An der RWTH Aachen sind Klinker und Mörtel anhand von Musterwänden nicht auf Herz und Nieren, wohl aber auf Biegezug- und Druckfestigkeit geprüft worden – erfolgreich, wie man sieht.

Spirale über dem Vorhof. Der Text stammt von der Lyrikerin Rose Ausländer (1901-1988), Idee und Konzept entwickelte der Künstler Tom Kristen. (Bild: Wilfried Dechau)

Gemeinsam

Ein Mauerausschnitt markiert den Eingang. Hier gelangt man in einen kleinen Vorhof, der von einer goldfarbenen Metallspirale gekrönt wird. An der Schnittstelle zwischen Jüdischer Gemeinde und Regensburger Stadtgesellschaft hängt Rose Ausländers nachdenklich stimmendes Gedicht »Gemeinsam« in ihrer Handschrift: »Vergesset nicht Freunde, wir reisen gemeinsam, besteigen Berge, pflücken Himbeeren, lassen uns tragen von den vier Winden. Vergesset nicht, es ist unsre gemeinsame Welt, die ungeteilte, ach die geteilte, die uns aufblühen läßt, die uns vernichtet, diese zerrissene, ungeteilte Erde, auf der wir gemeinsam reisen«.

Aufgang vom Erdgeschoss – im Hintergrund der Gemeindesaal – zur Ebene der Synagoge (Bild: Wilfried Dechau)

Aufgang vom Erdgeschoss – unten im Hintergrund der Gemeindesaal – zur Ebene der Synagoge (Bild: Wilfried Dechau)

Der Eingang selbst ist – nicht ohne Grund, siehe oben – als Sicherheitsschleuse ausgebildet. Die innere Tür kann erst geöffnet werden, wenn die äußere geschlossen wurde. Ist man erst einmal drinnen, geht das Herz auf: Sanft creme-grau-farbener Travertin sowohl auf dem Boden als auch auf der Treppe. Die Wände weiß und glatt. Zur rechten das Treppenhaus, licht und klar. Die Handläufe nicht aus dem Katalog. Nein, das sind hölzerne Handschmeichler.

Innenhof. Links Altbau, rechts Neubau. Geradeaus: Verbindungsgänge zwischen Neu- und Altbau (Bild: Wilfried Dechau)

Innenhof. Links Altbau, rechts Neubau. Geradeaus: Verbindungsgänge zwischen Neu- und Altbau (Bild: Wilfried Dechau)

Kulturelles Welterbe

Geradeaus der Blick in den internen Innenhof und zum alten Gemeindehaus, das vom Foyer durch einen Verbindungsgang an den Neubau angebunden wurde. Zur Linken geht es in den Gemeindesaal. Die Synagoge ist im Obergeschoss darüber. Dieser Stapelung ist es einerseits geschuldet, dass der Gemeindesaal sehr niedrig ausgefallen ist, andererseits konnte durch diese kompakte Lösung Raum für den großen Innenhof geschaffen werden. Sie fügt sich gut in die Regensburger Altstadt, die in ihrer historisch gewachsenen, mit verschiedenen Glaubensrichtungen geschaffenen Eigenart Unesco Welterbe der Kultur ist.

 

Gemeindesaal im Neubau. Blick in den Innenhof und zum gegenüberliegenden alten Gemeindehaus (Bild: Wilfried Dechau)

Gemeindesaal im Neubau. Blick in den Innenhof und zum gegenüberliegenden alten Gemeindehaus (Bild: Wilfried Dechau)

Grundriss Obergeschoss; die leichte Verdrehung des Synagogenraums ergibt sich aus dessen Ausrichtung nach Osten.

Grundriss Obergeschoss; die leichte Verdrehung des Synagogenraums ergibt sich aus dessen Ausrichtung nach Osten.

Die Synagoge mit flcher Holzkuppel (Bild: Wilfried Dechau)

Die Synagoge mit flcher Holzkuppel (Bild: Wilfried Dechau)

In der Synagoge wiederholt sich das von den Fassaden bekannte Spiel mit Grenadierschichten. Hier allerdings mit Holzleisten. In der Sockelzone stehen sie noch dicht an dicht. Mit jeder weiteren Grenadierschicht werden die Leisten nach oben hin immer schmaler und die Abstände größer. In den Lünetten unterhalb der Kuppel ist die Lattenschar zum transluzenten »Schleier« ausgedünnt. Das Licht sickert hindurch, Konturen verschwimmen. Wie und wodurch die Kuppel gehalten wird, bleibt rätselhaft. Die Illusion ist perfekt. Natürlich schwebt die Kuppel nicht – aber es sieht so aus.

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Gehalten wird die Kuppel durch vier kreisförmig gewalzte Stahlbögen, die an den Ecken in Stahl-Rundrohr-Stützen eingespannt sind. Bei der Kuppel selbst wurden völlig neue Wege beschritten. Die Kuppelschale überspannt ein Quadrat von 13,10 mal 13,10 Meter. Sie ist das Segment einer Kugel mit dem Radius 25 Meter. Sie besteht aus zwanzig zweiachsig gekrümmten, verschieden geformten BSP-Segmenten (Brettsperrholzplatten). Es gibt fünf unterschiedliche Segment-Typen. Auf den BSP-Segmenten wurden zwei Lagen Aussteifungsschalung überkreuz vernagelt, darüber radial und quer Brettschichtholz-Sparren mit Dämmung. Als Wetterhaut dient eine Metalldeckung aus Aluminium-Stehfalz-Profiltafeln.

Blick von der Frauenempore (Bild: Wilfried Dechau)

Blick von der Frauenempore (Bild: Wilfried Dechau)

Am Abend kehren sich die Licht-Verhältnisse um. Dann dringt das Licht aus der Synagoge durch die Lünetten nach aussen: »Vergesset nicht, es ist unsre gemeinsame Welt, die ungeteilte, ach, die geteilte.«


(Bild: Wilfried Dechau)

Hauptzugang zum Hof vor dem Gemeindezentrum von der Straße Am Brixener Hof

Bauherr
Jüdische Gemeinde, Regensburg

Architekten
Staab Architekten, Berlin
– Team Wettbewerb (2015)
Petra Wäldle, Jacob Steinfelder, Sönke Reteike,
Paulin Sensmeier
– Team Realisierung (2019)
Projektkoordination: Per Pedersen
Projektleitung: Florian Nusser
Mitarbeiter: Jacob Steinfelder, Dirk Wischnewski, Claudia Trott,
Dirk Brändlin, Dirk Richter, Sabine Zoske, Alexander
Braunsdorf, Daniel Unterberg, Roger van Well,
Manuela Jochheim

Eingang von der **_Straße (Bilder: Wilfried Dechau)

Eingang von der Luzengasse in den Hof zwischen Alt- und Neubau (Bilder: Wilfried Dechau)

Bauleitung
ERNST2 Architekten AG, Stuttgart

Tragwerksplaner
IB Drexler + Baumruck, Straubing

Tragwerksplaner Holz-Dachschale
Dr. Gollwitzer – Dr. Linse Ingenieure, München

Lichtplaner
Licht Kunst Licht AG, Bonn