• Über Marlowes
  • Kontakt

Schöne Schalen in Kuba

Dass die Architekturgeschichte immer wieder neu geschrieben werden muss, wissen wir. Es macht auch ihren Reiz für Themen der Gegenwart aus. Architekturstudenten haben im Rahmen eines internationalen Projektes eine Entdeckung gemacht, die wir in diesem Beitrag und auch in einem Foto-Essay dokumentieren.

Ziegelschalen dominieren das Ensemble der Tanzschule in Havanna (Bild: Karina Abu Eshe)

Ziegelschalen dominieren das Ensemble der Tanzschule in Havanna (Bild: Karina Abu Eshe)

Vom Golfklub zum Klub der Schönen Künste

Wenn man sich Eines nicht vorstellen kann, dann zwei kommunistische Parteiführer in einem Golfklub der Reichen und Schönen. Doch genau dieses Bild ergab sich im April 1961, als Fidel Castro und Che Guevara ihre neu gewonnenen Gefilde erkunden und somit auch den exklusivsten Country Club Havannas im Südwesten der Stadt kennenlernen wollten.

Von der Utopie zur Wirklichkeit

Weil dieser Golfklub genau dem entsprach, gegen das die kubanischen Revolutionäre gekämpft hatten, beschlossen die beiden zum Unmut der aristokratischen Klubmitglieder, dass auf dem leicht hügeligen Gelände des Golfklubs Kubas Jugend die Kultur nähergebracht werden sollte. Bescheiden, wie Diktatoren sich gern darstellen, gab Fidel Castro noch am gleichen Abend die „beste Kunstschule der Welt“ bei dem jungen Architekten Ricardo Porro (1925-2014) in Auftrag. Er hatte gegen Ende des Battista-Regimes im Exil in Venezuela gelebt und war somit auch ideologisch für Castro die richtige Wahl. Porro traute sich eine Planung der Schulen innerhalb von zwei Monaten allerdings nicht zu – ursprünglich sollte im Juli 1961 mit dem Bau begonnen werden –, zumal er bis dato auch noch kein vergleichbar großes Projekt geleitet hatte. Deswegen bat seine beiden Freunde Roberto Gottardi (Schüler von Carlo Scarpa) und Vittorio Garatti (beide 1927 geboren) um Mithilfe. Gottardi und Garatti waren Italiener, die nach der Revolution nach Kuba gekommen waren, um die neugegründete Republik als Architekten zu unterstützen. Entstehen sollten eine Bildhauer-, eine Musik-, eine Ballett- und eine Theaterschule, sowie eine Schule für Modernen Tanz.

Das Gelände und die Bauten befinden sich in unterscheidlichen Zuständen (Foto: Karina Abu Eshe)

Das einstige Klubgelände und die Bauten befinden sich in unterschiedlichen Zuständen (Foto: Karina Abu Eshe)

Diese einzelnen Projekte waren verteilt auf dem weitläufigen Gelände, eingebettet in die Landschaft sollten sie die ideale Bildungsumgebung für heranwachsende, orientierungslose Kunststudenten bieten.Dazu musste freilich auch die Architektur passen, und die drei Architekten legten mithilfe ihrer eigenen Student/innen Gestaltungsprinzipien fest. Da alle drei Verfechter einer organischen Formensprache waren und man sich einig war, dass eine Stringenz à la Mies nicht der „cubanidad“ – dem kubanischen Lebensgefühl – gerecht werde, sollten auch die Kunstschulen in Havanna den musikalischen Klängen entsprechen, die bald auf dem Gelände zu hören sein sollten.

1720_AT_Kuba_2

Exzellent schmiegen sich die Räume in die hügelige Landschaft ein. (Foto: Karina Abu Eshe)

Wichtig war auch die bereits erwähnte Einbettung in die Natur. Denn zwischen den Gebäuden befinden sich gefühlt endlose Wiesen, riesige Banyan-Feigenbäume, kleine Waldabschnitte und ein Bach trennt die Ballettschule vom restlichen Gelände. Schließlich musste noch ein Problem gelöst werden: das der Materialknappheit seit dem amerikanischen Handelsembargo 1960. Es kam gelegen, dass einer der Bauarbeiter der Sohn eines katalanischen Maurers war. Der Vater hatte mit Antoni Gaudí (1852-1926) zusammengearbeitet und seine Gewölbebau-Fähigkeiten an den Sohn weitergegeben. Das Architektengespann witterte hier eine Möglichkeit, den Ressourcenmangel zu umgehen und die katalanische Schale als Konstruktionsart zu verwenden.


Ziegelschichten orthogo9nal und diagonal (Foto:Karina Abu Eshe)

Ziegelschichten orthogonal und diagonal

Denn das Prinzip dieser Ziegelschalen ist sehr simpel: Terrakottafliesen werden mit einem sehr schnell aushärtenden Zement in je orthogonalen und diagonalen Schichten miteinander verbunden. Durch den schnelltrocknenden Zement sind die Gewölbe ohne Gerüst zu errichten und steifen sich durch die einzelnen Schichten gut aus. Da die Schale von außen nach innen gemauert wird, ist eine Aussparung in der Mitte möglich.

 

 

Ziegelmauerkunst vom feinsten – die Bauweise fasziniert in ihrer effizienten Tragwirkung und schönen Gestalt (Foto: )

Ziegelmauerkunst vom feinsten – die Bauweise fasziniert in ihrer effizienten Tragwirkung und schönen Gestalt. (Bilder: Karina Abu Eshe)

Das katalanische Gewölbe war im amerikanischen Raum nicht unbekannt. Schon Rafael Guastavino (1842-1908) – ein katalanischer Ziegelbauer – hatte mit dieser Konstruktionsform mehrere Gebäude in New York realisieren können und sogar auf einige der Konstruktionsprinzipien Patent angemeldet. Und auch der uruguayische Architekt Eladio Dieste (1917-2000) nutzte die katalanischen Schalen in Verbindung mit bewehrten Betonteilen zur Realisierung einiger seiner Projekte.

 

 


Der Anfang und das schnelle Ende

Nach vier Monaten der Planung setzte man den ersten Spatenstich und die Bauarbeiten begannen. Alle Beteiligten waren vom Optimismus gepackt, der nach der Revolution fast ganz Kuba beflügelt hatte und zu versprechen schien, dass jeder mit noch so wenig Geld “es zu Etwas bringen“ könne. Nicht nur geschulte Bauarbeiter wurden Teil des Bauprozesses, auch Studierende der Architektur und die Architekten selbst packten tatkräftig mit an. Jeder konnte vom jeweils anderen lernen. Nach einer Bauzeit von vier Jahren – der Unterricht fand schon seit drei Jahren auf der Baustelle statt – wurden die Schulen offiziell eröffnet und als fertig erklärt. Doch lediglich an zwei der fünf Gebäuden waren die Arbeiten abgeschlossen: die Bildhauer- und die Modern Dance-Schule Ricardo Porros. Die Projekte der beiden Italiener allerdings blieben genau das: Projekte. Während Gottardis Theaterschule zumindest einigermaßen nutzbar war, wurde Garattis Ballettschule nach dem vernichtenden Urteil der Ballettschuldirektorin Alicia Alonso zur Ruine verdammt. Ihre Aussage „No me gusta“ führte dazu, dass das Gebäude entgegen ihrer Bestimmung in den ersten Jahren nach der Eröffnung als Zirkusschule genutzt wurde und der Betrieb letzten Endes ganz eingestellt wurde. Die Kuppeln verrotten bis heute langsam aber sicher vor sich hin.

(Bild: Karina Abu Eshe)

(Bild: Karina Abu Eshe)

Lag es wirklich einzig und allein am Urteil der Ballettschuldirektorin, dass die Kunstschulen nicht mehr fertiggestellt wurden? Nein, mit Sicherheit nicht! Um die Teilaspekte verständlich zu machen, die zur Aufgabe des Instituto Superior de Arte führten, muss der Blick aus Kuba heraus geworfen werden: Weltweit dominierte in den 1960er-Jahren vor allem der Funktionalismus, besonders relevant war für Kuba jedoch die Architektur in der Sowjetunion. Dort hatte seit dem Aufstieg Chruschtschows 1953 eine höchst anonymisierte, dadurch standardisierte Architektur Fuß gefasst. Diese wurde durch die effizienten Vorfertigungsmöglichkeiten im Stahlbetonbau gefördert. Individualisierte Architektur wurde der Eitelkeit der Architekten angelastet, die sich nur selbst ein Denkmal setzen wollten. Mit der Wirtschaftsblockade durch die USA näherte sich Kuba der Sowjetunion immer mehr an und deklinierte so aus dem sowjetischen Stil die vermeintlich optimale Architektur für die Revolution: funktional, standardisiert und nicht möglichst preiswert.
Die Schulen im Südwesten Havannas leben allerdings vor allem durch ihre Formen, die an römische Thermen, indische Tempel und maurische Paläste erinnern und die Studenten so inspirieren sollten. Sie sind insofern das genaue Gegenteil der vom MICONS vorgegebenen Architektur.

1720_AT_Kuba_6

Ricardo Porros Bildhauerschule (Bild: Karina Abu Eshe)

Da zwei der Architekten keine „echten“ Kubaner waren, warf man ihnen vor, dass ihre politische Einstellung nicht der Revolution entspräche, sie nicht für die Revolution, sondern zur eigenen Selbstdarstellung gebaut hätten. Außerdem wurden die sinnlichen Formen kritisiert. Vor allem in Ricardo Porros Entwurf gibt es viele Verweise auf Sexualität, die für ihn das kubanische Lebensgefühl ausmacht. Er selbst sagte in verschiedenen Interviews (mit dem Buchautor Loomis und den Filmemachern Nahmias und Murray, siehe Literaturhinweise) von den Kuppeln der Bildhauerschule, sie seien wie Brüste und der Brunnen auf dem Platz zwischen den Gebäuden eine Vagina. Das war den konservativen Köpfen im Ministerium für Konstruktion, die darin eine klare Provokation sahen, zuwider. Denn hatten sie nicht genau gegen diese Unzucht durch die vielen Amerikaner in Kuba gekämpft? Die jungen Hoffnungsträger der neugegründeten Republik sollten nicht direkt wieder verunreinigt werden durch solch schmutziges Gedankengut.
Durch die einflussreichsten Architekturkritiker Kubas wie Roberto Segre (1934-2013) und Hugo Consuegra (1929-2003) wurden die Gebäude ganzheitlich verrissen. Dies führte dazu, dass man die Schulen nicht mehr pflegte. Zwar wurde und wird dort immer noch unterrichtet, doch die Zustände sind teilweise beklagenswert.
Grund zur Hoffnung?


 

(Bild: Karina Abu Eshe)

Zu spärlich renoviert: Ricardo Porros Bauten (Bild: Karina Abu Eshe)

Glücklicherweise bekamen die Art Schools durch das Buch „Revolution of Forms“ von John A. Loomis 1999 und den Film „Unfinished Spaces“ von Benjamin Murray und Alysa Nahmias 2011 auch international wieder mehr Aufmerksamkeit. Sie wurden 2000 sogar auf die Watch List des World Monuments Fund gesetzt. Schließlich entschloss sich auch die kubanische Regierung im Jahr 2007 die Schulen zu renovieren, denn Fidel Castro hatte sehr an dem Projekt gehangen (wie man einem von ihm geschriebenen Text in den „Noticias de Hoy“ vom 30. Juni 1961 entnehmen kann). Doch da das Geld knapp war – der World Monuments Fund durfte aufgrund der Wirtschaftsblockade keine Mittel beisteuern – mussten die Arbeiten schon nach der dürftigen Renovierung der zwei Porro-Gebäude wieder abgebrochen werden.
Dass diese architektonischen Schmuckstücke, die wichtiges kubanisches Kulturgut sind, sich in einem so schlechten Zustand befinden, vor sich hingammeln und nicht mehr genutzt werden (können), ist eine Schmach. Da sich die politische Situation in Kuba mittlerweile durch den Amtsantritt Raúl Castros gelockert hat, sollten Denkmalschutzbeauftragte nicht mehr zögern! Eine Sanierung mit Mitteln der kubanischen Regierung ist, vor allem jetzt nach dem Tod Fidel Castros, nicht mehr zu erhoffen. Wenn eine amerikanische Organisation dies aufgrund der politischen Interessen Donald Trumps nicht leisten kann – denn eine Annäherung zwischen den USA und Kuba ist seit dem Präsidentenwechsel wieder im Unklaren –, sollten sich andere Organisationen für die Erhaltung dieser großartigen, verwunschenen Kulturstätte einsetzen.

Literatur

Zu den Kunstschulen
John A. Loomis: Revolution of Forms. Cuba’s Forgotten Art Schools. 232 Seiten, Princeton Architectural Press, New York 1999. ISBN 978-1-568-98988-4 | ca. 25 Euro
Film: Alysa Nahmias, Benjamin Murray: Unfinished Spaces. 86 Min. 2011 | 28 Euro
Zu katalanischen Kuppeln
Karl-Ludwig Diehl: Die katalanischen Wölbungen der Guastavinos in den USA. In: Bautechnik 83 (2006), Heft 4, S. 290-296.
José L. Moro (Hrsg.): Antoni Gaudi (1852-1926). Sinnliche Konstruktion. 288 Seiten, Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2003. ISBN: 978-3-421-03457-1 | 29,90 Euro
Rainer Barthel (Hrsg.): Eladio Dieste. Form und Konstruktion. 112 Seiten, Verlag Das Beispiel GmbH, Darmstadt 2001. ISBN: 978-3-935-24309-4