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Wohnungsbau – ein Politikum

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Bundesministerin Hendricks kündigte an, dass in urbanen Quartieren der Lärmschutz gelockert und dichteres Bauen erlaubt werden solle. Das Problem, dass sich in vielen Städten Wohnungen kaum finden und wenn, dann kaum bezahlen lassen, muss allerdings gründlicher angegangen werden. Denn es bietet sich die einmalige Chance, den Motor des Sozialen Wohnungsbaus mit Verve wieder anzukurbeln und alten Ballast abzuwerfen.
Für den Katalog zum diesjähigen Biennale-Beitrag „Making Heimat“ verfasste Stefan
Rettich (*) einen Beitrag, den wir in leicht gekürzter Fassung wiedergeben.

 

Steuern. Entschlacken. Beschleunigen.

Nach Prognosen des für Wohnungsbau und Städtebauförderung zuständigen Bundesministeriums (BMUB) werden mindestens 350.000 neue Wohnungen pro Jahr benötigt. Das sind etwa 100.000 Wohnungen mehr als derzeit in Deutschland fertig gestellt werden. Als ein erster Anreiz wurde die Förderung des Sozialen Wohnungsbausfür den Zeitraum bis 2019 von bislang zwei auf vier Milliarden Euro angehoben. Darüberhinaus wurde vom BMUB zur kurzfristigen Lösung des Wohnungsmangels ein Förderprogramm für den Bau und die Nutzung kleiner modularer Wohneinheiten, sogenannter „Variowohnungen“ aufgelegt, das 2015 mit einem Volumen von 120 Mio. Euro startete und noch ausgeweitet werden soll. Offenbar führen gleiche Problemlagen auch zu gleichen Antworten und nebenbei zu einer neuen Sicht auf dieNachkriegsmoderne, die in ähnlicher Situation auf dieselben Konstruktionsmethoden setzte. Eingedenk der aktuellen Lage können wir uns besser vergegenwärtigen, was damals unter noch schwierigeren Bedingungen als heute zu leisten war. Daher der Aufruf an die Architekten: Sie können und sollten neue Typologien für die aktuelle Wohnungsfrage entwickeln und möglichst schnell modulare Lösungen und pragmatische Vorschläge zur Reduzierung von Standards entwickeln. Ob sie aufgegriffen werden, liegt an der Politik, ihren Förderprogrammen und besonders an den Banken, die diese co-finanzieren müssen. Die Wohnungsfrage bleibt daher das, was sie immer war: eine politische.

 

 

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Büroleerstand und Transformationspotenzial in deutschen Großstädten

Bauland- und Immobilienspekulation verhindern

Das deutsche Steuerrecht begünstigt Leerstände und Brachflächen. Eigentümer können Verluste abschreiben, die ihnen zum Beispiel durch die Grundsteuer entstehen – das fördert Spekulation und behindert die Innenentwicklung. Exemplarisch zeigt sich dies im Büroflächenleerstand in deutschen Großstädten, der gerade in angespannten Wohnungsmärkten besonders hoch ist. Allein in Frankfurt sind es 1,4 Mio. m².(1) Rein rechnerisch entspricht dies einem Potential von etwa 20.000 Wohnungen in städtebaulich integrierten Lagen.(2) Die Skelettbauweise von Bürobauten eignet sich für eine einfache und preiswerteUmnutzung gut. Denkbar ist, Teile der Gebäude als Übergangsunterkunft zu nutzen, während die anderen Teile zeitgleich in dauerhaften und sozial gemischten Wohnraum transformiert werden. Um dies zu fördern und um der Spekulation entgegenzuwirken müssen Verlustabschreibungen bei Leerstand zeitlich befristet und (Wohn-) Zwischennutzungen gesetzlich erlaubt werden. Auch Bauland sollte mobilisiert und gegen den Willen der Eigentümer seinen Zwecken zugeführt werden können. In Österreich wurde dazu das Instrument der „Vertragsraumordnung“ (3) eingeführt, mit der Grundeigentümer zu einer widmungskonformen Bebauung innerhalb einer bestimmten Frist verpflichtet werden können. Auf diese Weise könnten sowohl Potenziale im Bestand (Leerstand) wie auch städtebauliche Reserven der inneren Stadt (Baulücken und Brachflächen) aktiviert werden, damit sich ein Wachstum an den Rändern erübrigt.

Der Bund, so scheint es, geht hier als leuchtendes Beispiel voran und wirft Teile seiner Immobilien in die Waagschale. Zur weiteren Unterstützung des Sozialen Wohnungsbaus sowie der Flüchtlingsunterbringung hat der Haushaltsauschuss des Bundestages im November 2015 die verbilligte Abgabe von Konversionsflächen an Kommunen gewährt.(4) Danach können Kommunen Konversionsflächen mit einem Abschlag von bis zu 80 Prozent auf den Verkehrswert erwerben. Das ist immens. Allerdings ist das gesamte Programm auf vier Jahre und auf ein Maximalvolumen von 100 Mio. Euro begrenzt. Bedenkt man, dass der Bund über 35.000 ha Konversionsflächen verfügt, wirkt die Konversionsförderung doch recht bescheiden, und es stellt sich die Frage, ob einer Politik der offenen Grenzen nicht auch eine Bereitstellung von Bundesimmobilien und -flächen ohne Obergrenzen folgen müsste. Zumindest die Grundstücke in städtebaulich integrierter Lage müssten vom Bund offenherziger zur Verfügung gestellt werden. Sonst werden immer mehr Kommunen größere Flächen an den Stadträndern ausweisen müssen, was zum einen das Primat der Innenentwicklung und damit die Ziele der Klimapolitik (5) gefährdet, zum anderen bergen randstädtische Siedlungen in nicht integrierten Lagen Gefahren: Gettoisierung, Scheitern sozialer Integration und der Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Ein Grund, weshalb dies nicht erkannt wird, liegt an der Zuständigkeit. Die Liegenschaften des Bundes sind beim Finanzministerium angesiedelt und werden dort von der Bundesanstalt für Immobilien-
aufgaben (BImA) verwaltet – mit der Maßgabe, nicht benötigte Immobilien meistbietend zu veräußern. Diese rein monetäre Bewertung der Liegenschaften müsste dringend durch einen strategischen Blick auf deren planerische Bedeutung in den Kommunen ergänzt werden. Am Beispiel des Berliner Dragoner Areals wird ein Umdenken bereits sichtbar (6). Idealerweise sollte die BImA beim BMUB angesiedelt werden, wo entsprechende Fachkenntnis vorhanden ist.

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Das sozialräumliche Gefüge der Urban Areas

Neue Stadtviertel mit erschwinglichen Mieten bauen

Das sozial-räumliche Gefüge in unseren Städten hat sich umgestülpt. Nach mehreren Jahr- zehnten Suburbanisierung ist die Mittelschicht zurückgekehrt in die Großstädte – und mit ihr die Spekulation. In der Summe deutet nun vieles auf die Entwicklung von neuen, größeren Quartieren auf kommunalen Flächen in Stadtrandlage hin. Der Hamburger Senat hat beispielsweise im Oktober 2015 alle sieben Bezirke der Stadt zum Ausweis von 8 ha großen Flächen verpflichtet, um darauf Sozialwohnungen zu errichten, die bis Dezember 2016 bezugsfertig sein sollen.(7)

Auch Berlin hat ein ähnliches Vorhaben unter dem Schlagwort „Pionierwohnungsbau“ ange- kündigt, bei dem Flüchtlinge als Pioniere der Erstbesiedelung wirken sollen.(8) Das bleibt nicht ohne Gegenreaktion. In Hamburg haben sich bereits mehrere Bürgerinitiativen gegründet, die im Zusammenschluss ein Volksbegehren planen. Nicht nur deshalb gilt es bei der Neuauflage von Quartieren in Stadtrandlage alte Fehler zu vermeiden. Vernetzung und Anschluss an den Siedlungskörper, wie auch eine hochwertige Anbindung an den ÖPNV müssen Voraussetzung sein. Die ideale Korngröße dieser Quartiere muss definiert werden. Sie sollten so klein wie möglich, aber so groß wie nötig sein, damit sich eine Mindestausstattung mit KiTa, Grundschule und Nahversorgung lohnt. Die Analyse von stadtteilspezifischen Altersgruppen kann einen Anhalt dafür geben, wie viele Wohnungen in welcher Stadt dafür erforderlich sind.

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Großwohnsiedlung, unter der Lupe die Erdgeschosse

Bestehende Großwohnsiedlungen urbanisieren

Erfolgreiche Ankunftsquartiere zeichnen sich durch preiswerten Wohnraum und Aneignungs-potenziale aus, durch Stadt- und Gebäudestrukturen, die den Aufbau von Mikroökonomien ermöglichen. Vor der Rückkehr der Mittelschicht in die Kernstädte waren diese „Übergangszonen“ (Zones in Transition, (9) in erster Linie in den ehemaligen gründerzeitlichen Arbeitervierteln zu finden, die nach ihrer Gentrifizierung keinen kostengünstigen Wohnraum mehr bieten. Die neuen Ankunftsorte sind jetzt monostrukturelle Großwohnsiedlungen der Spätmoderne, weil anerkannte Flüchtlinge vor allem dort freie und erschwingliche Wohnungen finden. Die Siedlungen müssen umgebaut und urbanisiert werden, ihre Strukturen bieten keine adäquaten Räume für Integration und Selbstorganisation. In den Erdgeschosszonen muss Raum für Aneignung, Begegnung und informelle Mikroökonomien geschaffen werden. Großwohnsiedlungen bieten enorme Chancen, denn ihre Flächenressourcen haben auch das Potenzial zur Nachverdichtung mit ergänzenden Typologien und damit zur stärkeren sozialen Durchmischung. Gelingt dies nicht, sinken auch die Aufstiegschancen der Neuankömmlinge erheblich. Als gelungenes Beispiel darf die Nachverdichtung der Hamburger Siedlung am Altenhagener Weg von Heidenreich & Springer gelten. Urbanität ist hier zwar weder geplant noch gewollt, aber die respektvolle Fortschreibung der Siedlung mit hochwertigem Wohnungsbau im modernen Raumbild dient der Stabilität des Quartiers und fördert die soziale Mischung.

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Neuer Standard im Wohnungsbau

Standards neu denken

Die „aufgepumpten“ EnEV- und Passivhäuser sind keine Antwort auf die Wohnungsfrage. Einen Beitrag zum Klimaschutz kann man auch durch reduzierte Wohnflächen und einer Pufferzone leisten, die nur in wärmeren Jahreszeiten ein großzügiges Wohnzimmer bietet. Zudem bedürfen nicht alle Menschen derselben Standards, benötigen barriere- freie Wohnungen, haben dasselbe Lärmempfinden oder dieselben Heizgewohnheiten. Viele können auf einen Keller oder einen teuren Bodenbelag verzichten, aber immer mehr Menschen benötigen günstige Mieten. So sollte ein gewisser Anteil an Gebäuden in einem neuen Quartier mit geringeren Standards gebaut und ausgestattet werden, um über einen Mix an Mieten auch ein gemischtes Milieu zu gewährleisten. Auch das BMUB arbeitet an der Überprüfung von Baustandards und Normen, um das Bauen bezahlbarer zu machen und hat im „Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen“ im Juli 2015 eine „Baukostensenkungskommission“ eingesetzt – beispielhaft sei die Flexibilität beim Stellplatznachweis genannt. In Hamburg und Berlin ist dieser gänzlich abgeschafft, in Bremen wird für intelligente Mobilitätskonzepte eine Reduzierung der Stellplatzverpflichtung auf bis zu 20 Prozent in Aussichtgestellt. Es ist sicherlich kein Zufall, dass es gerade die Stadtstaaten sind, die hier eine Vorreiterrolle spielen. Denn hier kommen Landeskompetenz und kommunale Erfordernis zusammen. Die Überprüfung unserer Überregulierung darf aber nicht zu einer Deregulierung und zu Substandards führen. Vielmehr sollte im Vordergrund stehen, wie mit reduzierten Standards auch neue Spielräume für soziale Innovationen her- vorgebracht werden können. Das Berliner Baugruppenprojekt in der Ritterstraße 50 (von ifau, Jesko Fezer und Heide & von Beckerath) zeigt, wie das gelingen kann: Hier gibt es ein ausgefachtes Betonskelett mit Sonnendeck auf dem Dach, einen Gemeinschaftsraum im Souterrain, der das Haus in der Nachbarschaft verankert, und eine platzsparende, innenliegende Treppe, die das Haus zusammenhält. Mehr braucht es nicht. Umlaufende, vorge- hängte Balkone bilden eine ästhetische Klammer und sind Zeichen gebauter Gemeinschaft, denn die Bewohner haben sich bewusst für den Austausch und gegen den Bauvon Balkontrennwänden entschieden. Auch André Kempe und Oliver Thill, zwei deutsche Architekten mit Büro in Rotterdam, drehen seit Jahren an der Standardschraube im Wohnungsbau. Sie sparenam ganzen Haus, nur um sich an einer Stelle richtig auszutoben, um sich beispielsweise eine schmucke Eingangstür, eine geschosshohe Verglasung oder einen Luftraum im beengten Reihenhaus leisten zu können.

Eine weitere Strategie, die in diese Richtung zielt, ist die des „wachsenden Hauses“, wie es der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner bereits in den 1930er Jahren im Rahmen eines großen Wettbewerbs erprobte. 24 Prototypen von Anbauhäusern, entworfen von den prominentesten Vertretern des Neuen Bauens, konnten danach in der Schau „Sonne, Luft und Haus für Alle“ im Jahr 1932 in Berlin gezeigt werden. Es waren minimale Grundmodule, die durch Addition bedarfsgerecht wachsen konnten. (10)

 

Alternativen gibt es!

Es ist zu hoffen, dass mit dem Druck, den die Zuwanderung auf die Wohnungslage erhöht, solche Strategien und Prototypen eines „New Standard“ endlich aus ihrem Nischendasein herausgelöst werden und in Serie gehen. Dann wird das Bauen für die Arrival City tatsächlich erschwinglich und unsere Quartiere lebendiger und lebenswerter. Denn sonst könnte die Reduzierung von Standards auch einen neuen, wiederum staatlich geförderten Bauwirtschaftsfunktionalismus hervorbringen, der bessere Barackenbauten produziert. Es hängt von der Politik ab, wie sie ihre Förderinstrumenteprogrammiert. Die pauschale Förderung des Wohnungsbaus mit einerSonder-AfA in angespannten Wohnungslagen zielt dabei definitiv in eine falsche Richtung. Weder städtebauliche Lage, Bautypologie, soziale Innovation, noch funktionale Mischung werden als Förderkriterien verbindlich festgeschrieben. Gefragt wird lediglich nach Quantität, wo es um Qualitäten gehen müsste. Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Sonder-Afa heißt es unter Punkt C: „Alternativen: Keine.“ So klingt es, wenn ein Finanzministerium Stadtentwicklung betreibt.

 

Der Beitrag wurde in dieser Form zuerst auf frei04-publizistik.de veröffentlicht >>>

(*) Mitgründer des Architekturbüros KARO* und Professor für Städtebau in Kassel

Fußnoten

(1) Quelle: Wirtschaftsförderung Frankfurt, Büromarkt Frankfurt a.M. Überblick, 2014

(2) Die Wohnungszahl entspricht dem Ansatz einer durchschnittlichen 2-3 Zimmer Wohnung mit 70 m²

(3) Sie wurde 1992 im Bundesland Salzburg eingeführt, um dem Phänomen der Bodenhortung zu begegnen und um innerstädtische Flächen für die Bebauung zu mobilisieren.

(4) Im November 2015 wurde vom Haushaltsausschuss des Bundestages einer Richtlinie der BImA zur verbilligten Abgabe von Konversionsgrundstücken (VerbRKonv) zugestimmt.

(5) 2010 betrug der Flächenverbrauch in Deutschland 77 ha pro Tag. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, ihn bis 2020 auf 30 ha zu reduzieren. Das sogenannte 30-ha-Ziel ist Bestandteil der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die 2002 von der Bundesregierung festgelegt wurde.

(6) Das Dragoner Areal ist eine 4,7 ha große, ehemalige Kaserne in Berlin Kreuzberg, die seit 1923 als Finanzamt genutzt wurde.

(7) Auf jeder Fläche wird der Bau von ca. 800 Sozialwohnungen angestrebt, die zunächst in engerBelegung je 4.000 Flüchtlinge aufnehmen sollen. Die Sozialbindung ist auf 15 Jahre angelegt. Danach wird mit einem Rückgang der Bewohnerdichte auf ca. 2.000 Bewohner gerechnet. (Quelle: Pressemitteilung BSW Hamburg vom 6.10.2015)

(8) Berlin will kurzfristig zehn neue Siedlungen mit insgesamt 50.000 Wohnungen errichten. Unter dem Schlagwort Pionierwohnungsbau sind an zehn Standorten zunächst Wohnungen für Flüchtlinge nach vereinfachtem Planungsrecht (§ 246 BauGB) geplant, die dann durch Wohnungen für alle gesellschaftliche Schichten in einem geregelten Verfahren ergänzt werden sollen. (Quelle: Entwurf eines Masterplans Integration und Sicherheit durch den Berliner Senat)

(9) In Anlehnung an das Zonenmodell der Stadtentwicklung von Ernest W. Burgess 1925

(10) Martin Wagner: Das wachsende Haus, kommentierte Neuauflage, Leipzig 2015. Die Publikation von Martin Wagner wurde im Rahmen des Ausstellungsprojekts Wohnungsfrage von Jesko Fezer, Christian Hiller, Nikolaus Hirsch, Wilfried Kühn und Hila Peleg neu herausgegeben.