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Andreas Winkler (1955-2023)

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Andreas Winkler (1955-2023)

Architekt, Designer, Reisender und Schreibender: Andreas Winkler gehört zu den wenigen seiner „Zunft“, die ein beruflich umfassendes Interesse und Engagement mit menschlicher Wärme und Fürsorge verband. Wolfgang Bachmann erinnert nicht nur an den Architekt und Designer, sondern auch an einen guten Freund.


Journalisten entwickeln im Laufe ihres Berufslebens beim Schreiben Routine, selbst Nachrufe sind davon nicht ausgenommen. Es sei denn, bei dem Verstorbenen handelt es sich um einen Freund. Dann hadern Erinnerung und Professionalität miteinander. In diesem Fall betrifft es den Architekten und Designer Andreas Winkler.

Wohnhaus, gebaut von Andreas Winkler im Jahr 1998 (Bild: privat)

Wohnhaus, gebaut von Andreas Winkler im Jahr 1998 (Bild: privat)

Das erste Mal begegnete mir sein Name 1985 unter einem kritischen Leserbrief zu dem „Wien“-Heft, das ich damals als Redakteur der Bauwelt zu verantworten hatte. Andreas hatte nach Braunschweig und Perugia in Wien studiert und betrachtete meine spöttischen Beobachtungen als typische Piefke-Einlassungen. Kurz darauf traf er mich in unserem Ferienhaus im Pfälzer Wald, und nach einem holprigen Kennenlernen wegen des Leserbriefs stellten wir fest, dass wir uns beide für Architektur und Segeln interessierten. Andreas hatte am Traunsee, später am Starnberger See einen Requin und einen Flying Dutchman liegen. Damit bot sich die wunderbare Gelegenheit, Architekten und Journalisten bei einer sportlichen Begegnung zusammenzubringen, daraus ergaben sich private und geschäftliche Kontakte. Und zusammen Kentern verbindet.

Viele Sachen, die im Haushalt selbstverständlich sind, sind von Andreas Winkler entworfen worden. (Bild: PHOS)

Viele Sachen, die im Haushalt selbstverständlich sind, wurden von Andreas Winkler entworfen – hier eine kleine Auswahl. (Bild: PHOS)

Architektur und Design

Neben seinen wenigen Hochbauten hat Andreas Winkler vor allem Läden und Praxen umgebaut, auch eigene Gebäude waren dabei, etwa in Görlitz, was seine Besucher nutzten, mit ihm die Baukultur in dieser östlichsten deutschen Stadt in der Oberlausitz kennenzulernen. In erster Linie wurde Andreas aber mit seinen international ausgezeichneten Design-Ambitionen bekannt. 1993 gründete er seine Firma PHOS-Design, die sich mit schlanken Edelstahlbeschlägen neben der großen Konkurrenz behaupten musste.

PHOS-Design fürs Bad (Bild: PHOS)

PHOS-Design fürs Bad (Bild: PHOS)

 

Ebenso kreativ war Andreas als Fotograf. Für den Baumeister begleitete er mich nach Bad Gastein, um für eine Reportage den brüchigen Charme der verlassenen Hotelpaläste einzufangen – noch analog mit Hasselblad und einem mörserschweren Stativ. Dabei blieb es nicht. Er veröffentlichte mehrere Fotobände: über Havanna und immer wieder zur Industriekultur in der Pfalz, an der Ruhr oder der strahlenden Vergangenheit deutscher Atomkraftwerke.
Welche Entfernungen er in seinem Leben zurückgelegt hat, kann man nur befürchten. Es muss eine siebenstellige Kilometerstrecke sein. Denn Andreas war ein Autofahrer. Seine gesammelten Oldtimer-Erlebnisse zwischen Isetta und Mercedes 350 SE hat er in einem kleinen Buch zusammengefasst. Er gesteht im Epilog, dass ihm diese teure Passion (von der er schließlich abrät) „eindeutig profunde Kenntnisse in Mechanik und Maschinenbau, über die ein normaler Architekt in der Regel nicht verfügt“, beschert hat.

Büro und Lehre

Mit seinem Büro, das in der Gruppe archipool mit anderen Architekten, Designern und Fotografen kooperierte, war er in die ehemalige Sudhalle der Seldeneck’schen Brauerei eingezogen, eine weißgeschlämmte Halle mit verglaster Empore, die als NAOS Galerie seine Braun-Sammlung beherbergte und auch für Lesungen, Konzerte und Ausstellungen zur Verfügung stand. Es wurde ein kreativer Treffpunkt für Lernende, Lehrende und alle Menschen guten Willens – Andreas war ja auch für einige Jahre Professor an der FH Dortmund, später gründete er an der TU Darmstadt das Institut für Architektur und Architekturprodukte.

Der „Kümmerer“

Er war nicht nur rastlos und umtriebig, man erlebte ihn auch als Kümmerer, wie man heute in achtsamer Umgebung sagt. Wenn er wusste, was man entbehrte, half er gerne aus. Und sei es nur mit seinen bestechenden französischen oder italienischen Sprachkenntnissen. Er kannte am Traunsee einen völlig abgewirtschafteten Gasthof. Da musste man in die Küche gehen und ein krummes altes Weiberl fragen, ob man ein Essen haben könnte. Setzt euch in den Garten, Burschen, wurden wir beschieden und bekamen das großartigste Schnitzel mit Erdäpfelsalat serviert. Auf seiner Yacht traf man spätestens alle zwei Jahre eine neue Vorschoterin. Andreas war jedes Mal überzeugt, dass er sich mit ihr auch privat auf dem richtigen Kurs befand. Aber das Leben bescherte dem Segler und Fregattenkapitän der Reserve immer wieder schweres Wetter, dann strapazierte er sich glücklos. Im Mai ist er an multiplem Organversagen gestorben.

Weingut Fader in Rhodt unter Rietburg (Bild: Weingut Fader)

Weingut Fader in Rhodt unter Rietburg (Bild: Weingut Fader)

Sein letztes Werk (mit Matthias Bader) war eine Vinothek für das Weingut Fader in Rhodt. Zu bewundern gibt es einen präzise detaillierten Raum, der architektonische Funktion mit haptischer Nähe verbindet und ohne die regionalen Gemütlichkeitsattribute auskommt. Ornamentierte Zementfliesen, Massivholz und ein von Adolf Loos inspirierter schmaler Eingang mit einer gebogenen Scheibe wirken wie eine Reminiszenz an Andreas‘ Wiener Jahre. Darf man das als Kreis deuten, der sich schließt?