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Autoverkehr(t)

Stilkritik (32): Mobilität ist ein unausrottbarer Mythos. Erkunden und Erobern sind die Triebkräfte. Das Auto gilt als seligmachendes Vehikel. Es hat die Welt verändert, in der wir doch nur bleiben wollen. 1970 waren allerdings 19.193 Verkehrstote in Deutschland zu beklagen. Dann begann die Aufrüstung des Autos mit absurden Konsequenzen: Ganz normale Pkws wichen SUVs, die wie Militärfahrzeuge durch Wohngebiete und liebliche Landschaften fahren, Stadtzentren und Firmenparkplätze entstellen.

Früh gekrallt wird, wer eine Autokunde werden soll. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Früh gekrallt wird, wer eine Autokunde werden soll. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Freie Fahrt für Geltungsbedürftige

Die Älteren unter uns erinnern sich noch an das unzerstörbare Mantra „Freie Fahrt für freie Bürger“. Es entstand zu einer Zeit, als Verkehrsminister wie Georg Leber noch Autobahnanschlüsse in Rufweite versprachen und freigeschlagene Straßenschneisen zum fortschrittlichen Indiz der Stadtsanierung zählten. Autoaufkleber, die Stocknägel der Neuzeit, kündeten von der erfolgreichen Überquerung des Gotthard-Passes. Zurückgelegte Kilometer waren der Beweis selbstbestimmter Freiheit. Ein Schulfreund kam aus den großen Ferien zurück und berichtete stolz, er sei mit seinen Eltern 5600 Kilometer gefahren. Nichts schien gegen das Glück zu sprechen, das man mit dem eigenen Auto erleben konnte. Lediglich die Anschaffungskosten waren zu meistern. Und man sollte lieber langsam fahren, sagten ängstliche Eltern. Denn bis 1970 nahmen die Verkehrsunfälle jedes Jahr drastisch zu und führten in Deutschland zu fast 20.000 Toten. Das waren aber geringere Verluste als im zurückliegenden Krieg, also irgendwie vertretbar. Der Fetisch Auto repräsentierte das gesellschaftliche Weltverständnis.

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Das neue Familienmitglied passt leider nicht in die Garage. Man fragt sich, was im Hirn eines Menschen vorgeht, der sich so ein Auto leistet. (Bild: Ursula Baus)

Nichts wie weg

Nun machen wir einen großen Sprung in die Gegenwart, was inzwischen geschah, setzen wir als bekannt voraus. Heute verliert das Auto zunehmend die Bedeutung eines Statussymbols, es steht bei jungen Leuten nicht mehr oben auf dem Wunschzettel. Wenn man den neuen SUV in Nachbars Garage sieht, ist man ein klein wenig neidisch, erwärmt sich aber an der Einsicht, wie vernünftig doch ein Verzicht darauf ist. Generell sind Kraftfahrzeuge sicherer und komfortabler geworden, Straßen werden durch Kreisverkehre funktional ornamentiert. In der Mitte steht immer ein CO2-resistentes, rostiges Kunstwerk, das die Sicht behindert und die Autofahrer an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnert. In den Städten setzt man auf die Selbstheilungskräfte des Verkehrs. Deshalb werden nicht die Straßenbreiten reduziert, sondern wechselseitig Parkplätze ausgewiesen, das zwingt zur langsamen Passage und löst bei Autofahrern Ärger über Autofahrer aus. Vermutlich steckt dahinter die Industrie, die künftig keine KFZs, sondern Mobilitätkonzepte verkaufen möchte. Die fast religiöse Verehrung des Autos macht einer pantheistischen Fortbewegungskultur Platz.

Es mag mit dem Alter zu tun haben, aber mich interessieren immer mehr die Bedingungen des Bleibens, die Qualität des Aufenthalts, die träge Kultur eines Ortes: die Architektur.