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Stilkritik (105) | Photovoltaik im Bestand – da ist Streit programmiert. Soll man die Welt retten oder Altstadtromantik erhalten? Sind das mal wieder falsche Gegensätze? Die viel beschworenen politischen »Rahmenbedingungen«, die von der neuen Regierung im Hinblick auf die legendären 1,5 Grad vorgegeben werden, werfen Fragen auf – wie immer, wenn es konkret wird.


Es ist inzwischen nahezu ausgeschlossen, als Einwohner dieses Landes nichts über die Ursachen und Folgen des Klimawandels zu erfahren. Man kann sich überlegen, in welcher Statistik man selbst auftaucht: Mit elf Tonnen CO2-Ausstoß trägt jeder Durchschnittsbürger jährlich zur Erderwärmung bei; der Gebäudesektor ist mit 122 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten dafür verantwortlich; 75 Prozent der Bestandsgebäude sind nicht energieeffizient und so weiter. Deshalb möchte die Europäische Union mit der Initiative einer »Renovierungswelle« zu einem »Green Deal« beitragen, und selbst die Architektenverbände plädieren für ein neues Berufsverständnis: »Sanieren, Umbauen, Weiterbauen sind die planerischen Aufgaben der Zukunft.«

Aber von Sonntagsreden wird die Welt nicht gerettet, jeder muss etwas leisten, dachte sich ein Bauherr in einem pfälzischen Städtchen, der ein hundertfünfzig Jahre altes Winzerhaus gekauft und renoviert hatte. Nennen wir ihn unverfänglich Demuth, denn es handelt sich um ein schwebendes Verfahren.

Alte Dächer, neu gedeckt und bestückt: Gestalterisch können die Solarzellen-Hersteller noch zulegen. (Bild: Ursula Baus)

Alte Dächer, neu gedeckt und bestückt: Gestalterisch können die Solarzellen-Hersteller noch zulegen. (Bild: Ursula Baus)

Als Herr Demuth eine Art Leasing-Angebot der zuständigen Stadtwerke für ein Energiedach entdeckte, rief er dort an. Er nannte seinen jährlichen Stromverbrauch – und der amüsierte Berater riet ihm dringend von Photovoltaik ab. Für seine paar Kilowattstunden lohne sich das nicht. Mit anderen Worten: Um Energie zu sparen, muss man erst einmal mehr Energie verbrauchen.
Durch seine Recherchen hatte Herr Demuth aber Spuren im Internet hinterlassen, und so meldete sich eine Firma aus Bayern, die ihm gerne ein Solardach verkaufen wollte. Es kam ein frisch geschulter Verkäufer, der sah bei dem Interessenten nur einmal aus dem Dachfenster und konnte sofort ein passendes Angebot und einen Vertrag für eine Anlage mit Batteriespeicher aus der Tasche ziehen. Zum Glück rief in diesem Moment Frau Demuth zum Essen, dadurch konnte Schlimmeres verhindert und das Projekt noch einmal erörtert (und abgelehnt) werden.
Nun wandte sich der Bauherr an eine Firma, die bei Freunden im Nachbarort eine PV-Anlage montiert hatte. Mit ihr wurde er rasch handelseinig, alles sah gut aus. Herr Demuth war von einer stillschweigenden Genehmigung ausgegangen, da auch drei Nachbarn in seiner Straße auf ihren alten Häusern Solarmodule installiert hatten. Außerdem würden seine Paneele ja unauffällig oberhalb eines engen Innenhofs angebracht. Nach Vertragsabschluss informierte er dennoch das zuständige Hochbauamt. Das verwies ihn an die Untere Denkmalschutzbehörde des Landkreises, weil sein Haus noch knapp in der Denkmalzone stehe. Nachdem Herr Demuth dort alle erforderlichen Unterlagen eingereicht hatte, beschied man ihm, bei der Denkmalpflege habe zwar ein »Umdenken bzgl. PV-Anlagen« stattgefunden. Da man im vorliegenden Fall die Solarmodule jedoch sehen könne, müssten sie ziegelrot eingefärbt sein. Das konnte die beauftragte Firma leider nicht anbieten: Sie beziehe ihre Module in Schiffscontainer-Mengen aus China, da seien 13 Stück in Sonderfarbe unbezahlbar.

Je schlichter die Dächer im Bestand, umso einfacher geht es, Solarzellen zu montieren. Doch selbst das kann schief gehen. (Bild: Ursula Baus)

Je schlichter die Dächer im Bestand, umso einfacher geht es, Solarzellen zu montieren. Doch selbst das kann schief gehen. (Bild: Ursula Baus)

Weltrettung? Nur mit Neubauten in der Ortsranderweiterung!

Als nächstes kam es zu einem Treffen mit dem Denkmalpfleger vor Ort. Er hatte bereits ein paar günstige Standorte an der Straße gefunden, von wo man – Kopf im Nacken – die zur Installation vorgesehene Dachfläche erkennen konnte. »Wenigstens eineinhalb Meter am Giebel in Rot!« – kam er Herrn Demuth entgegen. Aber da verwies der Bauherr auf sein bereits seit Jahrzehnten malträtiertes Dach, auf Kamin, Entlüfter, Satellitenantenne, Wetterfühler, Solarthermie-Kollektoren und Dachflächenfenster mit Jalousien – eine Baumarkt-Kollektion, die durch zwei unterschiedliche PV-Typen noch verschlimmert würde. Er zeigte ihm außerdem die zu ebener Erde gut sichtbaren Modernisierungen in den klassizistischen Nachbarhäusern mit Glassteinen, Polycarbonat-Überdachungen, Aluminiumtüren, PVC-Fenstern und -Rollläden. Das sei bedauerlich, gab der Denkmalkundige zu, das müsse man bei der nächsten Sanierung eben ändern. Aber gerade deshalb dürfe man hier – er wies auf das Dach – keinen Präzedenzfall schaffen.
Herr Demuth versuchte es schlitzohrig und fragte, was denn passiert wäre, wenn er einfach ohne Genehmigung Solarmodule auf sein Dach geklemmt hätte. Nichts, antwortete der Denkmalpfleger. Wir hätten das moniert, falls es uns überhaupt aufgefallen wäre, und den Rückbau verlangt, aber kein Gericht hätte sich damit beschäftigt, weil das Vergehen noch unter der Bagatellschwelle bliebe. Aber nun sei das ja ein Vorgang, es gäbe eine Korrespondenz mit seiner Behörde…
Wie gesagt, es ist ein schwebendes Verfahren.

In der Fachzeitschrift Bauwelt schrieb Ira Mazzoni: »Wenn sich also jemand auf Ressourcenschonung versteht, dann ist es die Denkmalpflege.« Hier würden die Kriterien der Nachhaltigkeit, das »Reduce / Reuse / Recycle«, von vornherein praktiziert. Aber wehe, die Denkmalpflege muss sich mit neuen, sachfremden Aspekten auseinandersetzen!
Im neuen Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung werden erneuerbare Energien als öffentliches Interesse definiert, wörtlich: »Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für die Solarenergie genutzt werden… Unser Ziel für den Ausbau der Photovoltaik (PV) sind ca. 200 GW bis 2030. Dazu beseitigen wir alle Hemmnisse.«
Da wird die Denkmalpflege noch hübsch zu tun bekommen, es sei denn, gut zwei Drittel unserer gebauten Umwelt fallen unter die »Bagatellen«. Und auch die Bauindustrie hat einen neuen Markt in Aussicht: Solardächer »Rotenburg ob der Tauber«, »Old Heidelberg«, »Lübeck hanseatic« müssen ins Sortiment.