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Ein „Staatspreis“ für Architektur ?

Am 13. Oktober wurde in Dresden der Deutsche Architekturpreis 2011 vergeben. Zum ersten Mal führte nicht der Karl Krämer Verlag mit der Ruhrgas AG (heute e.on|Ruhrgas), sondern das BMVBS mit der Bundesarchitektenkammer und den Sponsoren e.on|Ruhrgas und VHV-Versicherungen die Regie. Ein ansprechender Rahmen, ein launiger Moderator, etwas klassische Musik, diverse Grußworte: Im Dresdener Albertinum fand man sich allseits lobend und dankend zu einer gediegenen Preisverleihung ein. Ein „Staatspreis für Architektur“ sei es, der verliehen werde, ließ Minister Ramsauer verlauten – zum ersten Mal als Mitauslober des Deutschen Architekturpreises. Er dankte dem Karl Krämer Verlag für die Organisation des Preises; aber Karl Krämer war 2011 nicht mehr dabei. Es sei daran erinnert, dass die nunmehr vierzigjährige Geschichte dieses Preises mit dem Engagement eines Energieunternehmens und eines Architekturbuchverlegers begann. Anfang der 1970er-Jahre ging es der Ruhrgas AG darum, Gas als Energieträger in Architektenkreisen zu propagieren, aber Karl Krämer gelang es, „von der ‚Gasvorgabe‘ abzurücken“, den Preis mit einer Gesamtqualität von Architektur zu profilieren und mit der Bundesarchitektenkammer einen adäquaten Schirmherrn zu finden. Krämer wollte in breiter Öffentlichkeit für die Leistung von Architekten werben, die damals noch nichts von PR wussten. 1981 erinnerte sich Jürgen Joedicke, der mit dem Stuttgarter Verleger den Preis zunächst prägte, in einer ersten Rückschau: „1971, als der erste Ruhrgas Architekturpreis verliehen wurde, war der Glaube an das Machbare und an das Wirtschaftswachstum, verglichen mit heute, noch ungebrochen“. Wie ist es verglichen mit 2011?
Tatsächlich ist der Preis mit Themen ins Leben gerufen worden, die weit vor ihrer brisanten Zeit erkannt wurden: Energie und Umwelt, Tradition und Moderne, der immer rasantere Wandel der Gesellschaft – solche und andere Aspekte rückten später in den Vordergrund, aber 1981 schrieb Joedicke noch freudig, dass die soziale Verantwortung des Architekten beim Deutschen Architekturpreis eine dominante Rolle spiele. Werner Durth, als Nachfolger Jürgen Joedickes beim Architekturpreis zwölf Jahre lang tätig, betonte stets, dass es hier um „antizipierendes Denken“ für neue Lebensentwürfe gehe.

Tradition, Moderne, Innovation

Diese Themen begleiten den Deutschen Architekturpreis seit seinen Anfängen. In postmodernern Zeiten hatte Jürgen Joedicke schon dafür plädiert, dass das Verhältnis zwischen Tradition und Moderne ein konstruktives sein möge und weitsichtig gegen Polarisierungen argumentiert – Polarisierungen, die uns heute wie damals niveaulose Debatten bescheren. Er erinnerte immer daran, dass Architektur das „Spiegelbild der Bewegungen und Veränderungen in einer Gesellschaft, ein Spiegelbild ihrer Wertvorstellungen und ihrer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse“ sein solle. So wurde immer auch die Relevanz einer Bauaufgabe mitbewertet – im Sinne gesellschaftlichen Wandels, auf den auch Werner Durth deutlich Wert legte. 2011 wurden zwei Museen, ein Industriebau, drei Begegnungs- beziehungsweise Kulturbauten, vier Wohnungsbauten und eine Schule ausgezeichnet.
Mit der delikaten Mischung aus Sanierung und Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin von David Chipperfield Architects erhielt nach zwölf Jahren zum ersten Mal wieder ein Museumsbau den Deutschen Architekturpreis. 1999 zeichnete die Jury die „suggestive skulpturale Präsenz“ von Daniel Libeskinds Jüdischem Museum in Berlin aus, während Frank O. Gehrys international sehr beachtetes Museum in Weil am Rhein 1991 eine Anerkennung erhalten hatte. James Stirlings Staatsgalerie in Stuttgart – gleichfalls ein Meilenstein in der internationalen Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts – wurde beim Deutschen Architekturpreis 1985 mit einer Auszeichnung gewürdigt. Das erste Museum, das mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet wurde, war 1983 Hans Holleins Städtisches Museum Abteiberg in Mönchengladbach. Im besten aller Sinne wird mit dem Neuen Museum in Berlin an Joedickes Plädoyer für ein konstruktives Verhältnis zwischen Tradition und Moderne angeknüpft. Brisant ist die Entscheidung nicht.

Experimente

1997 – den Preis gab es bereits 25 Jahre – lobte der Ruhrgas-Mäzen Friedrich Späth: „Die Jurys haben den Mut gehabt, auch das Experiment anzuerkennen und als beispielhaft zu prämieren“, während der damalige Präsident der Bundesarchitektenkammer, Peter Erler, ein “ ‚who is who‘ der Szene“, eine „klassische Linie“, einen „mainstream deutscher Architektur“ ausmachte. Von Anfang an wurde die Jury ständig wechselnd besetzt, nur Joedicke und später Werner Durth sicherten Kontinuität. Außerdem legte Krämer großen Wert darauf, dass ein Vertreter aus dem Ausland in der Jury war – 2011 war keiner dabei.
Bewerten konnten und können die Jurys nur, was eingereicht wird: 1971 waren es 46 Projekte, 1997 wurden 415 Bauten eingereicht, und nach der „Pause“ des Preises im Jahr 2009 verzeichneten die „neuen“ Auslober 2011 immerhin 233 eingereichte Bauten. Schon 1981 hatte Hans Kammerer beklagt, dass beim Deutschen Architekturpreis viele Bauten „vielleicht aus Bescheidenheit, elitärer Noblesse oder bloß aus Nachlässigkeit gar nicht eingereicht“ worden waren. Ähnlich sah es Dörte Gatermann 2011, einigermaßen entsetzt von manchen Einreichungen.

Architektur für neue Lebensentwürfe

Deutlicher als an allen anderen Bauaufgaben zeigt sich die Veränderung einer Gesellschaft jedoch an der Art und Weise, wie sie wohnt, wie sie sich ihr unmittelbares Lebensumfeld sucht und gestaltet. Den ersten Architekturpreis überhaupt – es war noch der Ruhrgas Architekturpreis – vergab die Jury, der damals Jakob Berend Bakema angehörte, an die Wohnbebauung Lauchhau in Stuttgart von Wolf Irion. Erst 2007 wurde wieder eine Art Wohnungsbau, das Studentenwohnheim auf dem Campus der TU München in Garching von Fink+Jocher mit dem Hauptpreis ausgezeichnet.
Stand es mit dem Wohnungsbau in Deutschland in der 25-jährigen Zwischenzeit wirklich so schlecht? Nein, es wurden immer wieder hervorragende Wohnungsprojekte ausgezeichnet und anerkannt, aber nie mit dem Hauptpreis. Hier muss jedoch die Frage erlaubt sein, ob und wenn: wie die Qualität des Alltäglichen – und Wohnen ist und bleibt alltäglich – im Deutschen Architekturpreis noch höher bewertet werden könnte.

Jugendwahn

Die Diskussion über eine besondere Förderung junger Architekten, wie sie 2011 von der Juryvorsitzenden Dörte Gatermann beschworen wurde, ist ebenfalls nicht neu. Auch darüber wurde schon 1997 beraten. „Ein Bonus für jüngere Architekten? Auf keinen Fall. Womöglich noch mildernde Umstände für Architektinnen, Senioren und so weiter. Hier sollen Bauwerke prämiert und nicht Architekturstars kreiert werden“ (Fritz Novotny). Nur, weil jetzt ein Bundesministerium den Deutschen Architekturpreis mitauslobt, soll dieser auf einmal ein „Staatspreis“ sein? Die Charakterisierung eines „Staatspreises für Architektur“ blieben die Auslober beispielsweise im Vergleich zum Großen BDA-Preis oder dem Walter Hesselbach Preis (Städtebau) bislang schuldig. Die ausgezeichneten Bauten sind keine Entdeckungen, können es in einem Medienzeitalter vielleicht auch nicht sein. Aber alles, was mit brisanten Themen, experimenteller Technik, neuen Lebensentwürfen zu tun hat, verwies die Jury auf die hinteren Ränge. Vorne dominieren solide, durchaus schöne und baukulturell ambitionierte Projekte. Etwas mehr Courage darf man der nächsten Jury beim Deutschen Architekturpreis von Herzen wünschen – und die Courage nicht der bauenden Jugend aufbrummen.