Stilkritik (43) | Unter einem Steingarten verstand man früher eine vorzugsweise am Hang angelegte, blütenträchtige Grünanlage, die mit sorgsam verteilten Felsbrocken eine Ideallandschaft bildete. Heute wirken Steingärten wie Musterflächen der Baustoffindustrie – ökologisch wertlose Wüsten.
Über die neuen Gärten hatten wir schon gesprochen. Da lagen wir richtig als Trendscouts, denn sie werden immer mehr, diese wurzelresistenten Schotterhalden, die sich Häuslebauer seit einiger Zeit als pflegeleichtes Passepartout ums Eigenheim schütten. Es gibt übrigens Varianten. Sie reichen im Teppichformat mit farbigen Intarsien, Buchskugeln, Marmorputten und Solarpilzen bis zu endlosen schwarzen Steinfeldern, die eine Villa aussehen lassen, als hätte sie gerade einen Neutronenbombenangriff überstanden. Wir sagten es schon an anderer Stelle: Die Rückkehr der Natur würde den Tatbestand Hausfriedensbruch erfüllen.
Aber die Geschichte ist noch nicht am Ende. Was in der Ebene gelingt, funktioniert auch in der Vertikalen. Hier hat die Gabione den Gartenzaun verdrängt. Hatte man ehemals die tonnenschweren Steinkäfige an den Weinbergterrassen als funktionale Fortsetzung der Trockenmauern gewürdigt und sich über ihre natürliche Einwucherung gefreut, so hat das kommunale Erfolgsmodell nun den privaten Freiraum erobert. Zunächst waren es sarggroße Steinpakete, mit denen man Nachbars irregeleiteten Geländewagen mühelos von seiner Einfriedung hätte abweisen können. Dann wurden die Modelle schlanker und wuchsen immer höher, jetzt markieren sie wie leichte Trennwände die Parzellenränder. Damit sie nicht umfallen, werden sie mit Beton- oder Stahlpfosten fixiert. Ist der gesammelte Schotter identisch mit der Auslegware des Vorgartens, sieht es aus, als hätte man Vorratssilos zum automatischen Nachfüllen der Flächen errichtet.
Es sah bisher so aus, als bauten sich die Menschen ein freistehendes Haus, damit sie der naturfernen Etagenwohnung entkommen, um im eigenen Garten in der Erde zu wühlen und, ausgestattet mit den modernsten Spaten, Harken, Hacken, Scheren, Schläuchen, mit einer blühenden Pracht die Nachbarn zu übertreffen und Passanten zu erfreuen –, wetteifern die Neuankömmlinge in den Stadterweiterungsgebieten nun mit dem Verzicht. Abgedichtet und abgeschirmt, als wollten sie sich vor Spermien, Kriechtieren und Erdstrahlen schützen, lauern sie hinter ihren Wackerhalden, damit sich nicht doch noch ein Lebenszeichen in ihrer Mineraliensammlung ausbreitet. Ein Löwenzahn – und alles wäre für die Katz.