Stilkritik (112) | Max Bächer – unvergessen – hat immer wieder darauf hingewiesen, mit was allem Architektur zu tun hat und welche berufliche Möglichkeiten sich nach einem absolvierten Studium bieten. Das Bügeln hat er nie erwähnt.
Irgendwann bügelt der Mann seine Hemden selbst. Auch mich hat gereizt, dieses Handwerk zu beherrschen. So wie früher einmal Fliesen legen oder Regale zimmern. Bügeln hat viel mit Architektur zu tun. Es handelt sich um eine Ordnung im Zweidimensionalen, aber der traktierte Gegenstand – in diesem Fall kein Zeichenpapier, sondern ein Oberhemd – wird für eine spätere räumliche Nutzung präpariert.
Fläche wird Körper, Ebene Raum
Immerhin bleibt es dabei im selben Maßstab. Aber ein Hemd ist kein Betttuch, es hat Falten, Abnäher, Knöpfe, die Ärmelröhren sind immer im Weg, zumal sie eine Rückseite haben, die man beachten muss. Bald erkennt man gut und schlecht geschneiderte Modelle (Ist die Knopfleiste genäht oder nur umgefaltet? Was taugt die Krageneinlage?), ebenso die Abnutzungserscheinungen an Manschetten und Kragenspitzen (Mangelware eben!), weiß bügelfreundliche Materialien zu schätzen.
Das wichtigste ist, bevor man mit der Arbeit beginnt, den umständlich geschneiderten Stoff sorgfältig auf dem Bügelbrett glattzuziehen. Einmal versehentlich eingepresste Falten kriegt man selbst mit dem Dampfbügeleisen kaum wieder glatt. Hat man es tatsächlich geschafft, folgt das Zuknöpfen und rituelle Zusammenlegen. Es ist jedes Mal eine erneute Herausforderung, auch weil man schneller, routinierter werden möchte und deshalb alle Arbeitsschritte in der immer gleichen Reihenfolge vornimmt, dabei auf Details achtet: den Weg der Bügelschnur (Mutter hatte dafür eine Schlaufenvorrichtung mit einem Gewicht!) oder den Wasservorrat im Bügeleisen. Gutes Licht ist wichtig!
Bad Press
Damit sind wir endgültig bei der Architektur angekommen. Auf einer der letzten Biennalen in Venedig zeigten Diller Scofidio + Renfro, was sie bereits 1993 in verschiedenen Galerien vorgeführt hatten: »Dissident Ironing“ . Ihre Installation »Bad Press« thematisierte den von Verfahrensingenieuren entwickelten Vorgang, eine weiche, organisch entwickelte Hülle in eine rationale Leistungsform zu überführen, mit der sie als plattes, rechtwinkliges Stoffpaket wirtschaftlich den vielfältigen Vertriebsweg von der Hemdenfabrik bis in den Einzelhandel antreten kann. Bevor es der Kunde in die Hand nimmt, hat das gute Stück bereits ein fast militärisches Manöver hinter sich. Es wird von Nadeln, Klemmen, Kartons und Aussteifungen prothetisch in eine einheitliche Räson gebracht, um uniform unter einer Klarsichthülle mit seinen Kameraden zur Verkaufsmusterung anzutreten. Und einmal erfolgreich exerziert, wird das Hemd seine gesamte Lebensdauer immer wieder in diese Appellform zurückfinden. Die unvermeidlichen Bügelfalten, die beim Tragen am Körper sichtbar bleiben, gelten dabei als Hinweis auf eine sorgfältige Haushaltsführung und Teilnahme am gehobenen Kulturleben.
Reisetauglich
Die New Yorker Architekten haben diese Tugenden konterkariert und das Hemd von der Ausrichtung auf die funktionale Käfighaltung befreit. Diese WG-konforme Verwurstelung ist nicht für jedermann praktikabel. Es reicht, wenn man seine Shirts um einen Bügel legt und hängend im Schrank verstaut. Nur muss man sich dann vor jeder Urlaubsreise – die Coronaviren scheinen sich kurzfristig zurückzuziehen – an die klassische Falttechnik erinnern. Das hat man dann vom Dissident Ironing.