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Gehobene Schätze

Schaulager auf dem Vitra-Campus in Weil am Rhein

Architekten: Herzog & de Meuron
Mit dem neuen Schaudepot öffnet Vitra seinen Campus Richtung Innenstadt und bietet Einblicke in einer einzigartigen (Möbel-)Sammlung.

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Die homogene Ziegelfassadenfläche erhält ihre Struktur dadurch, dass die Ziegel gespalten und mit der Bruchseite nach außen vermauert wurden. Das war bereits ein Gestaltungsmerkmal beim kürzlich eröffneten Musée d‘Unterlinden in Colmar, siehe > hier (Bilder: Ursula Baus)

Der Weg nach Weil am Rhein lohnt sich außerdem, weil eine wunderbare Ausstellung zum Werk des Designers Alexandre Girard anzuschauen ist und ein neu Angelegter Spazierweg (Rehbergerweg) zur Fondation Beyeler lockt. Von dort ist es nicht weit zum neuen Kunstmuseum Basel.

Nein, sie seien ja keine „Stararchitekten“, meinte Jacques Herzog allen ernstes in der Pressekonferenz zur Eröffnung des Schaudepots von Vitra in Weil am Rhein. 2010 hatten Herzog & de Meuron – die Bürogründer sind mit dem einstigen Vitra-Chef Jörg Fehlbaum seit Jugendtagen befreundet – gegenüber Frank O. Gehrys Designmuseum ein paar schwarze, lange Giebelhauskörper zu einem Showroom übereinandergestapelt. Das Gebäude war so zeichenhaft entworfen wie ihr Bird‘s-Nest-Stadion in Peking worden, aber andererseits stimmt es: Während Bauten von Gehry oder Hadid immer nach Gehry oder Hadid aussehen, entstehen im Büro Herzog & de Meuron oft Häuser, deren Urheber nicht auf Anhieb zu erkennen sind. Das gilt nun auch für das neue „Schaudepot“, in dem Einblicke in die reichhaltige Sammlung gewährt werden, die Rolf Fehlba um und seine Kuratoren im Laufe der Jahrzehnte aufgebaut haben. Am anderen Campus-Rand an der Müllheimer Straße gelegen, bildet auch dieses Haus das Gegenüber einer typischen Star-Architektur: des Feuerwehrhäuschens, das Zaha Hadid 1993 als Erstlingswerk gebaut hatte. Dass jetzt von dieser Seite aus Zugang zum Vitra-Gelände geschaffen worden ist, muss man als Segen für die Stadt begreifen, weil sich hier endlich eine Vernetzung des bislang isolierten Areals zu Weil am Rhein anbahnt.

 

 

 

Der archaische Purismus, der mit dem Schaudepot baukörperlich, im Material und in der Vorplatzgestaltung aufscheint, …

 

erinnert an den italienischen Razionalismo und wahrt mit seiner Ausdruckskraft ausreichend Distanz zu Zaha Hadids Sichtbeton-Skulptur, dem einstigen Feuerwehrhaus. Der Begriff „Schaudepot“ trifft die Funktionalität des Neubaus recht gut, der weitgehend über den Konturen eines alten Stahllagers entstand, und erklärt die spröde Nüchternheit des Baukörpers, der – fensterlos und mit simplem Satteldach – dem Auge wahrlich keine dekorativen Reize liefert. Stünde „Burgerking“ auf der Fassade, wäre auch das in Ordnung. Der Banalität entgeht das Schaudepot jedoch durch seine Einbettung in die Campus-Umgebung und die gnadenlose Konsequenz, außer dem roten Ziegel in Wand- und Bodenvariante nichts zuzulassen und damit auf eine artifizielle Atmosphäre zu setzen. Im Untergeschoss, unter dem rechts anschließenden Bestandsgebäude aus den 1960er Jahren, lagert nun seit Jahren auf rund 5000 Quadratmetern die ständig wachsende Sammlung, die Möbelgeschichte seit 1800 dokumentiert. Dimension und Fülle des Lagers erschließen sich erst im Innern des Schaudepots.

 

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Die Sammlung umfasst inzwischen etwa zwanzigtausend Objekte, davon siebentausend Möbel und tausend Leuchten.

 

Zwar kann nur ein Bruchteil davon im neuen Schaudepot gezeigt werden, aber zum einen werden Schaustücke auch ausgewechselt, und zum andern vermitteln ein Durchblick zum und ein Abgang in das Lager im Untergeschoss die Dimension des Bestands. Im Untergeschoss wird außerdem anschaulich und anfassbar vermittelt, was es heißt, mit Material und Form zu arbeiten. Zudem kann man durch festverglaste Fenster eine Art Schlüsselloch-Blick in das Sammlungslager werfen. Im Schausaal sind die Möbel keineswegs als Kunstwerke inszeniert, sondern – chronologisch aufgestellt – als funktionale und anspruchsvoll gestaltete Zeitzeugen der Entwicklung des Interieurs. Gerade Stühle sind nun einmal Alltagsgegenstände, die hier gerade nicht in den Rang des l‘art-pour-l‘art erhoben werden.


 


Der Rehberger-Weg
mit 24 Stops

Die Öffnung de Vitra Campus war umso sinnvoller, als dass im Rahmen der IBA Basel eine fußläufige, grenzüberschreitende Verbindung zur Fondation Beyeler in Riehen just fertiggestellt und am 12. Juni 2016 offziell eröffnet worden ist. Die Stadt Weil am Rhein, Vitra, die Fondation Beyerler und die Gemeinde Riehen realisierten diesen rund 5 Kilometer langen Weg mit ingesamt 24 „Wegmarken“ des in Frankfurt am Main lebenden Künstlers Tobias Rehberger. Von Vitra aus geht es auf deutscher Seite durch die Weinberge, vorbei am Naturbad Riehen (Herzog & de Meuron) zur Fondation Beyeler und zum Berower Park auf Schweizer Seite. Empfehlenswert ist also die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil kein „Hin- und Zurück“, sondern ein „Weiter“ auf der Seite von Weil am Rhein über die Dreiländerbrücke bis nach Frankreich möglich und auf der Riehener Seite gleich auch Basel gut zu erreichen ist.


Der Beitrag wurde zuerst bei frei04 publizistik veröffentlicht >>>