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Sie wurde nur 24 Jahre alt. Ende Mai wurde mit der Entkernung begonnen, bald wird sie verschwunden sein. (Bild: Christian Holl)Wir kämpfen unverdrossen für den Erhalt der Nachkriegsarchitektur. Schnee von gestern. Jetzt geht es den Bauten der 1990er an den Kragen. Und nicht den schlechtesten Exemplaren dieser Dekade. Ihre Qualität spielt keine Rolle. Genau das ist das Problem.

Abgerissen, bedroht, gerettet: Mehr über die Schicksale von Gebäuden der Nachkriegsarchitektur in unserer Rubrik Nachkriegsmoderne akut. Ebenfalls regelmäßig über den Umgang mit dem baulichen Erbe informiert die Internetseite ModerneREGIONAL

Es waren schwergewichtige Worte, die im Editorial der Arch Plus vom August 1991 zu lesen waren …

„Die Auswirkungen der Informationstechnologie sind umfassend wie grundstürzend zugleich. Sie greifen in alle Bereiche des städtischen Lebens ein. So funktioniert heute schon kein Gebäude mehr ohne sie. Andererseits stürzen sie die Architektur in eine Grundlagenkrise sondergleichen. Sie entziehen ihr durch Ephemesierung der Funktion die methodologische Basis und durch die damit einher- gehende Trennung von Form und Funktion ihr methodologisches Repertoire.“ Thema dieser Arch Plus-Ausgabe waren Medienfassaden. Die Auseinandersetzung mit deren Rolle für die Architektur war, man konnte es kaum überhören, von Unsicherheit geprägt: So recht ließ sich nicht einschätzen, wohin die Reise gehen würde. Die neuen medialen Fassaden seien eine Flucht nach vorn, hatte Dieter Hoffmann-Axthelm im selben Heft geschrieben, sie stellten „eher eine offensive Beschreibung des Zustands als einen Ausweg dar.“

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Das Facelifting von 2009 hat sie nicht gerettet. Die Zeilgalerie im Frühjahr 2016. Weitere Information: (*) Hält man sich die Geschichte der Zeilgalerie „Les Facettes“ von Rüdiger Kramm vor Augen, die 1992 eröffnet wurde und als Entwurf in jenem Arch Plus-Heft vorgestellt worden war, dann scheint es, als hätte Hoffmann-Axthelm so falsch nicht gelegen: Die Zeilgalerie wird dieser Tage abgerissen. Die Frankfurter Zeil ist einer der umsatzstärksten Einkaufsstraßen Deutschlands. Ihre Häuser stehen unter hohem Renditedruck. „Les Facettes“ schien damals die Erwartungen zu erfüllen: Mit ihrer Medienfassade, der Aussichtsterrasse, dem beeindruckenden Atrium, in dem sich Rolltreppen und Rampen zu einer eigenen Mischung aus High-Tech-Architektur und Raumerlebnis verschmolzen, das Kritiker an Piranesi denken ließ, mit Läden, Restaurants, öffentlichen Nutzungen zog sie in den ersten Wochen und Monaten Hunderttausende an. Die Zeilgalerie schien der Beweis zu sein, dass sich moderne Architektursprache und komplexes Raumkonzept verbinden lassen. Dass die neue Herausforderung des Medialen zu bewältigen ist. Dass diese Herausforderung angenommen werden kann, ohne architektonische Ansprüche aufzugeben, sondern diese Ansprüche mithilfe des Neuen neu gestellt werden können. Als Architekturstudent war für mich und meine Kommilitonen ein Besuch der Zeilgalerie Pflicht. Der Knick und der Anfang des Abstiegs kam mit dem sensationellen Sturz des „Baulöwen“ und Bauherrn Jürgen Schneider. Seine Milliarden-Betrügereien waren eng mit der Zeilgalerie verknüpft gewesen. Die Nutzfläche hatte er ebenso gefälscht wie Mietverträge. Die lange Leidenszeit von „Les Facettes“ begann. Die Computer der Medienfassade wurden geklaut, die Nutzer und Besitzer wechselten, der Leerstand nahm zu. 2009 wurde sie nochmals gründlich renoviert, wie sich nun herausstellte, vergeblich. Die Läden liefen auch danach nicht gut. Das Facelifting half nicht, der Komplex zog nicht mehr genug Menschen an, die Mängel waren zu gravierend. Wie lange bleiben wird, was nun statt dessen hier gebaut werden wird, wird man sehen. Als Erweiterung des benachbarten Kaufhofs wird der Neubau mit 15.000 Quadratmeter deutlich größer sein.

 

Was Frankfurt kann, kann Stuttgart schon lang

Aber wer nun denkt, das Schicksal der Zeilgalerie liege doch an der zu sehr der Zeit verhafteten Architektursprache, wer meint, deren Technikeuphorie, mag sie räumlich noch so raffiniert umgesetzt sein, komme gerade deswegen nicht mehr an, weil sie als eine von gestern erkennbar ist und eher nostalgisch als aufregend sei, der täuscht sich. Man wende sich nach Stuttgart. Dort steht ein Gebäude zur Disposition, das dezidiert eine andere Haltung repräsentiert.

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„Gegen den Strom“ war der Bericht über dieses Gebäude 1998 in der db betitelt. Die Rede ist vom Verwaltungsgebäude der damaligen EVS, später der EnBW, das die Architekten Arno Lederer, Jorunn Ragnarsdóttir und Marc Oei 1997 fertiggestellt hatten. Nahe am Bahnhof, unterhalb von städtischen Weinbergen gelegen, war mit diesem Gebäude der Block vervollständigt worden, dessen der Innenstadt zugewandte Hälfte zwanzig Jahre zuvor Kammer, Belz und Partner bebaut hatten. Beide Häuser sollen nach dem Willen des neuen Eigentümers, eines Münchener Investors, abgerissen werden. Von einem Neubau verspricht er sich bessere Rendite. Ein Besuch Anfang Juni 2016 zeigt am leerstehenden Bestand bereits Spuren der Vernachlässigung.

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Das EnBW-Gebäude von 1997 im Juni 2016. Die Außenanlagen werden nicht mehr gepflegt, am Eingang liegt Müll, die Klingelanlagen sind demoliert. (Bilder: Christian Holl)

Beide Gebäude haben das nicht verdient. Sie sind gerade im Zusammenwirken der beiden Architektursprachen ein wunderbares Beispiel dafür, dass sich verschiedene Stile vertragen, wenn der städtebauliche Rahmen richtig gesetzt ist. Das Haus von LRO Architekten ist eines der architektonisch besten Bürohäuser Stuttgarts der letzten zwanzig Jahre und nicht zufällig 2000 mit dem Hugo-Häring-Preis ausgezeichnet worden. Es zeigt alle Qualitäten auf höchstem Niveau, für die das Büro LRO Architekten nach wie vor steht: eine sorgfältige und liebevolle Detailplanung, eine stimmige formale wie städtebauliche Komposition, eine gezielt etwas sperrig inszenierte Unzeit- gemäßheit als Statement dafür, dass es auf Mode nicht ankomme. Es zeigt einen bereichernden Überschuss an formalen Einfällen und Erfindungen, die auf einer exzellenten Kenntnis der Architekturgeschichte beruhen. Es zeigt einen Umgang mit dem Material, der der Architektur ein langes Leben ermöglichen könnte. Und letztlich ist das Haus auch im Energieverbrauch vorbildlich. Nicht einmal ein schlechter energe- tischer Standard taugt zur faulen Ausrede für den geplanten Abriss.

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Der Bau von 1997 reagiert trotz seiner ganz anderen Architektursprache sensibel auf seinen Nachbarn von 1976. Der ist von Kammer, Belz und Partner; Auch er könnte abgerissen werden. Auch er hätte das nicht verdient. (Bilder: Christian Holl)

 

In der Stuttgarter Zeitung ist dieser Tage die Rede von einer fünften Abrisswelle; es wurde dort auch gefragt, wie man das alte Stuttgart retten könne. Wenn aber Häuser abgerissen werden sollen, die noch nicht einmal zwanzig Jahre alt sind, dann geht es nicht um das „alte Stuttgart“. Es geht nicht um Nostalgie. Auch nicht um Denkmalschutz – weder Zeilgalerie noch EnBW-Gebäude sind so alt, dass sie dafür in Frage kämen. Und ob über welche Stadt die wievielte die Abrisswelle hereingebrochen ist, spielt auch keine Rolle. Es spielt auch keine Rolle, ob das Büro LRO Architekten selbst nicht immer Vorreiter für die Bestandserhaltung ist und dort gebaut hat, wo zuvor Architektur der Nachkriegszeit stand. Um all das geht es nicht. Es geht darum, dass die Realität des Immobilienmarkts, längst Teil des weltweiten Finanzmarkts, von falschen Werte bestimmt wird. Abreißen und neu bauen kann richtig sein. Das muss aber erst bewiesen werden. Und es muss teurer werden – so lange die graue Energie, die vernichtet wird, keine Rolle spielt, wird sich nichts ändern.

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 Ausstellung zum Thema: „Stuttgart reißt sich ab“ in der architekturgalerie am weißenhof. Mit Aufnahmen der Architektur-Fotografen Wilfried Dechau und Wolfram Janzer und Archiv-Bildern widmet sich die Ausstellung Stuttgarter Gebäuden der Gründerzeit, der 1920er und 1930er Jahre und insbesondere Bauten der Nachkriegsmoderne, die abgerissen wurden, obwohl man sie gut hätte weiter nutzen oder umnutzen können. Im Bild: Das Stuttgarter Olgahospital wurde 2015 abgerissen. (Bild: Wilfried Dechau) Weitere Information: >hierSolange die Städte nicht ausreichend über Boden verfügen und damit Entwicklung lenken können, solange sie eine verantwortungsvolle Bodenpolitik nicht praktizieren können und müssen, wird sich nichts ändern. Beim Häuserabreißen ist es nicht anders als beim Autofahren: Solange verdeckte Kosten dem Verursacher nicht in Rechnung gestellt werden, wird sich nichts ändern. Häuser abreißen muss so teuer sein, dass sich eine Diskussion über die Architektur und deren Qualität wirklich lohnt. An die Einsicht von Investoren zu appellieren, ist vertane Liebesmüh. Die beiden Beispiel aus Frankfurt und Stuttgart zeigen: All die Ansprüche Qualität, um die wir in Fachkreisen diskutieren und die wir von anderen einfordern, spielen auch dann keine Rolle, wenn sie eingelöst werden. Und wenn es nun ausnahmsweise gelänge, die beiden EnBW-Gebäude zu erhalten? Wenn die Stadt den Bebauungsplan nicht änderte, so dass die Investorenabsichten durchkreuzt würden? Dann wäre ein Sieg errungen, aber letztlich nur wenig gewonnen. Auch wäre damit nicht bewiesen, dass Medienfassaden eher in eine Sackgasse denn zu neuen Ufern geführt hätten. Medienfassaden beunruhigen uns heute nicht mehr. Beunruhigen sollte eher, dass eine Rettung der EnBW-Gebäude genau das sein wird, was Hoffmann-Axthelm den Medienfassaden vorgeworfen hatte – nämlich eher eine offensive Beschreibung des Zustands als ein Ausweg.1624_abriss_agw_2016_stuttgart_faltflyer_quer

Der Beitrag wurde zuerst auf frei04-publizistik.de veröffentlicht  >>>

(*) Weitere Information: Enrico Santifaller über die Zeilgalerie in der db

Regelmäßig über den Abriss und den Neubau berichteten Frankfurter Rundschau und FAZ, siehe beispielsweise: