»Unter Reet« im hohen Norden, die bayerischen Seen mit »Alpenpanorama«: Das sind laut Immobilienmakler Christian Völkers die Orte, an denen Häuser teurer und teurer werden. Dauerbrenner sozusagen, Magnete auch für kriminelle Energie. Max Ziegler ist nicht der erste Architekturkritiker, der sich dem Krimi-Genre zuwendet und einen Kommissar auf der Suche nach Verbrechern begleitet: Der Tatort ist Sylt.
ISBN 978 3 311 12045 2 | auch als E-Book
Vorweg: Es gibt ja Leser, die ganz vernarrt sind in Krimis, ich zähle nicht dazu. Habe dann trotzdem mal reingeblättert, die ersten paar Seiten gelesen und dann immer weiter. Der Spannungsbogen ist perfekt. Das Buch weglegen und ein paar Tage später weiterlesen – das ging nicht. Der Autor hat mich, den Krimi-Muffel, in den Bann gezogen. Chapeau! Damit könnte die Rezension enden. Aber weil es um die Architektur, die Verschandelung schöner Orte und Naturschutzgebiete geht, schreibe ich dem Autor einen Leserbrief.
Lieber Max,
Deine Begeisterung für die Insel kann ich teilen – obwohl mir inzwischen entsetzlich viel dort auf den Keks geht. Zum Beispiel die viel zu vielen Touristen-Autos, die allesamt mit dem Sylt-Shuttle auf die Insel gespült werden. Und warum? Damit die Touris die paar Kilometer von Rantum nach »Samoa« oder nach »Sansibar« mit dem dicken Auto hin und her karren können. Oder mal eben hoch nach List, zum Fischbrötchenessen bei Gosch. Kann man alles mit dem Fahrrad erledigen. Sogar besser als mit dem Bus – auch wenn die Sylter es mit dem öffentlichen Personennahverkehr nicht so vorantreiben. Fürs Ticket muss man unverschämt viel Geld hinlegen, obwohl die Busse bis über alle Fensterscheiben mit Werbung kaschiert sind, also eigentlich fast umsonst fahren müssten.
Wenigstens lässt Du Deinen Helden, Kommissar Ed Koch, begeistert Fahrrad fahren, im Dienst, nicht bloß so zum Spaß. Aber wenn’s aufs Festland geht, dann setzt sich Ed auch ins Auto, um genau jenen ständig hin und her fahrenden Tatzelwurm zu benutzen, der unaufhörlich Autos auf die Insel transportiert. Ich habe ja den Verdacht, dass Du selbst gern mit dem Auto rüberfährst. Denn nur ein einziges Mal kommt es im Buch vor, dass jemand mit dem Zug aufs Festland fährt: Lasse, der kurz vor dem Abitur stehende Sohn von Kommissar Ed. Ok, der hat noch kein Auto. Und dann muss der Ärmste auch noch nach Kiel fahren, was wirklich eine Zumutung ist, denn die Verbindungen zwischen Nord- und Ostsee mit Umsteigen in Husum sind vorsintflutlich.
Anderseits drückst Du in klaren Worten aus, dass es eine Pest ist, wenn die Insel mit Autos geflutet wird: Zum Beispiel »gleich nach Neujahr der Megastau an der Westerländer Autoverladung, der fast bis Rantum reicht« oder ein andermal, als Kommissar Ed von einer Dienstreise nach Hamburg zurückkommt: »Seine Laune verbesserte sich auch nicht, als er bei der Autoverladung in Niebüll ankam. Die war zwar komplett leer, aber er musste trotzdem über eine Dreiviertelstunde warten, bis der Zug beladen war und endlich über das graue Land tuckelte.« Mir fehlen diese frustrierenden Erfahrungen mit dem Sylt-Shuttle. Ich kenne nur deren Auswirkungen auf den Bahnverkehr. Der Shuttle ist nämlich eine wahre Goldgrube für die Bahn, also hat er immer Vorfahrt. Und das führt immer wieder zu Verspätungen im »normalen« Bahnverkehr.
Es brennt
Zur Feierabendzeit ist die Bahn rappelvoll. Mit Handwerkern, die ihre Kastenwagen auf dem Parkplatz in Keitum abstellen, bis Klanxbüll oder Niebüll mit der Bahn fahren, dort in ihren PKW steigen und nach Hause fahren. Warum wohl? Weil sie sich auf der Insel gar keine Wohnung leisten könnten »und die Immobilienpreise kannten seit Jahrzehnten nur eine Richtung: steil aufwärts.« Statt Wohnungen für die Einheimischen gibt es »neue Ferienapartments im Pseudofriesenstil unter Reet, als wären die Gäste im Innersten ihres Herzens alles kleine Keitumer Kapitäne.« Und als eines dieser Häuschen »unter Reet« abgefackelt wird, ist natürlich die Aufregung groß. Zu klären, wer, wann und warum gezündelt hat, ist Kommissar Eds Aufgabe. Das wird spannend erzählt.
Beim Schreiben des Wortes »spannend« erschrecke ich. Lieber Max, ich kenne Dich ja bisher noch nicht als Romancier, sondern nur als jemanden, der sorgfältig und punktgenau über Architektur schreibt – ohne jemals das unter Architekturschreibern verpönte Wort »spannend« zu benutzen, denn Architektur kann wohl alles Mögliche sein, aber nie im Leben ist Architektur spannend. Und nun schreibst Du einen Krimi, einen spannenden Krimi!
Anfangs hatte ich erwartet, beim Lesen über kleine eingestreute Architektur-Kollegs zu stolpern. Dem war aber nicht so. Ganz verdutzt habe ich das Buch noch einmal Seite für Seite durchgeblättert und dann doch das eine oder andere gefunden, gut verpackt, versteckt. Ein paar Beispiele:
»Vorbei am Bahnhof, vor dem die seltsamen grünen Skulpturen standen, die sich gegen den Wind stemmten, …« Tja, die dummerhaftigen Skulpturen stehen leider immer noch da. »Kunst am Bau« ist dagegen Hochkultur. Kunst in der Stadt kann peinlich bis unerträglich sein.
Über das Büro des Immobilien-Tycoons Stein schreibst Du: »Funktional, stilvoll eingerichtet mit Metallmöbeln und echtem Holzboden anstelle der Fliesen in Holzoptik, mit denen Stein seine Ferienwohnungen pflasterte. In Steins Büro gab es kein friesisches Getümel, wie man es von seinen Sylter Bauprojekten hätte vermuten können. … In Steins Büro herrschte der Duktus eines Architekten, etwas unterkühlt, modern, sehr aufgeräumt.« und später dann: Stein »liefert seinen Kunden lediglich das, was sie gern haben wollen. Ein Stückchen heile Welt unter Reet am Meer, solange die Insel noch nicht weggespült ist. Und weil diese heile Welt zurzeit ziemlich gefragt ist, verdient er damit eine Menge Geld, …« So isses.
Über Keitum, das auf mich inzwischen wie ein Outlet-Center unter Reet wirkt, schreibst Du: »Da, wo erst Sylter gelebt hatten und später Feriengäste wohnten, lag nun eine Nobelboutique neben der nächsten. Die alten Kapitänshäuser dienten schon lange nicht mehr als Wohnungen für Kapitänswitwen.«
Kommissar Eds Ziel in Hamburg heißt Hopfensack. Du überlässt es Ed, sich über das Chilehaus zu äußern: »Tatsächlich erreichte er nach knapp zwei Stunden den Hopfensack in Hamburg, gleich neben dem berühmten Chilehaus von Fritz Höger. Wie immer, wenn er hier in der Gegend war, nahm er sich einen Moment, um das Gebäude zu bewundern. Doch so oft er sich schon dem Chilehaus gewidmet hatte, diesem expressionistischen Architekturfeuerwerk in Schiffsform, in dessen Fassade die Ziegel von Rot über Braun bis Blau changierten, die Straße »Hopfensack« hatte er bis dahin nie bewusst wahrgenommen.«
Sylter Rückseiten
Statements zur Architektur anderen in den Mund zu legen: Das ist geschickt! Kommissar Eds guter Freund Rob ist Fotograf. Unter anderem hat er eine Serie »Sylter Rückseiten« fotografiert, die in einer Ausstellung gezeigt wird. Auf der Vernissage lässt Du Elsa, Eds Chefin/Freundin darüber sinnieren: »Ihr fielen etliche Blicke im Westerländer Kurzentrum ein, die dazu passen würden. Die Müllcontainer in der Steinmannstraße, die traurigen Apartmenthäuser in der Brandenburgstraße, die selbst an strahlenden Sommertagen unterschwellig eine melancholische Atmosphäre verbreiteten, die raumgreifende Ödnis des Parkplatzes am Fernmeldeturm aus den 1970er Jahren, dessen ausgeblichene Farbfelder dem technischen Betonriesen einen fröhlichen Charakter verleihen wollten und das Gegenteil erreichten.« Und Ed summt vor sich hin: »Westerland, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau, du kannst so schön schrecklich sein.«
Bei St. Severin übergehst du die Kirche und kommst sofort zum Friedhof: »Ein Gang über den Keitumer Friedhof bei St. Severin war wie ein kleiner Ausflug in die deutsche Geistes- und Kulturgeschichte. Doch von diesem Geist war auf der Insel nur noch wenig zu spüren.« Ja, Du hast Recht. Du weißt sicher, dass dort Rudolf Augstein begraben wurde. Und übrigens auch Paulhans Peters, dem Du als Krimiautor, nein, als Architekturschreiber zu seinen Lebzeiten irgendwann begegnet sein dürftest.
Aber zur Kirche selbst verlierst Du kein Wort. Schade. Ich will ja gar nicht vom Innenraum anfangen, vom vollen Klang der Orgel, von den regelmäßig stattfindenden Orgelkonzerten. Nein, allein schon das Mauerwerk des Turms hat es mir angetan. Mauerwerk mit Ziegeln im Klosterformat, so lange ausgebessert, geflickt, geändert, bis schließlich ungewollt ein Kunstwerk daraus wurde. Hat Dir das nicht gefallen?
Um diesen Turm, um das Morsum Kliff, um Nielsens Kaffeegarten, um das Café Wien, um den Weg zwischen Wattenmeer und Braderuper Heide, um den Ellenbogen, um den Leuchtturm »Langer Christian« täte es mir leid, wenn der »Blanke Hans« eines Tages die ganze Insel kassiert. Wir werden es wohl nicht mehr erleben, aber wir wissen, dass es so kommen wird. Kommissar Ed wird es wohl auch nicht mehr erleben. Den ersten Fall hat er gelöst, es werden doch wohl hoffentlich weitere Fälle folgen? Fragt Dich ein Leser, der sich bereits als Krimi-Verächter geoutet hat. Und ertappe mich dabei, darüber nachzudenken welche Musik sich als Erkennungsmelodie für die Max-Ziegler-Sylt-Krimi-Reihe taugen würde. Was hältst Du vom Adagietto aus Mahlers Fünfter? Natürlich nicht mit vollem Orchesterklang, sondern – zur Nordsee passend – auf dem Schifferklavier gespielt… Damit kannst Du glatt Donna Leon toppen.
The writer in disguise
Ein paar Fragen zu Eds erstem Fall sind bei mir aber immer noch offen: Warum war Clara mit dem Fahrrad »mitten in der Nacht auf der Straße von Braderup nach Keitum unterwegs«? Und: Welche Mission mussten Clara und Lasse erfüllen (Seite 58)? Klar, mit den zwei Sätzen »Vielleicht würden sie damit nicht die Welt retten. Aber vielleicht doch« wolltest Du mich auf eine Fährte locken. Und wieso entscheidet sich Elsa so Hals über Kopf für einen neuen Job? Weg von Ed? Die hübsche Liebesgeschichte zwischen den beiden hatte doch gerade erst begonnen. Vielleicht bin ich ja auch nur ein altmodischer Romantiker, der sich ein kuscheliges Happy End gewünscht hätte. Gut, ich kann damit leben. Von der Inszenierung her ist ein offenes Ende ohnehin klüger…
Eine Frage habe ich dann doch noch: Wieso, lieber Max, verpasst Du Dir ein Pseudonym, wenn Du es im Klappentext gleich wieder auflöst? Wie auch immer: Wir hoffen, Du schreibst bereits am zweiten Fall von Kommissar Ed Koch.