Viel zu früh verstarb die in Rheinland-Pfalz beheimatete Kunsthistorikerin, Architekturpublizistin und -kritikerin Karin Leydecker.
Es gab eine Zeit, und die liegt erst einige Jahrzehnte zurück, da konnte man hierzulande weibliche Architekturkritiker an zwei Händen abzählen. Für die damalige Zeit fallen mir spontan ein: Inge Boskamp in Düsseldorf, Lore Ditzen und Martina Düttmann in Berlin, Helene Rahms in Frankfurt am Main, Doris Schmidt und Johanna Schmidt-Grohe in München – und natürlich Ingeborg Flagge, die langjährige Chefredakteurin der BDA-Zeitschrift. Zwei von ihnen, Inge Boskamp und Johanna Schmidt-Grohe, wurden schon recht früh mit dem BDA-Preis für Architekturkritik geehrt.
Karin Leydecker, 1954 in Speyer geboren, gehörte der nächsten Generation an. Es war jene Generation von jungen Frauen, die nun auch vermehrt in die Redaktionen der Fachzeitschriften einzogen. Leydecker, die neben Kunstgeschichte auch Germanistik studiert hatte und 1988 promoviert wurde, entschied sich für die Tätigkeit als freie Autorin und Kritikerin. Zahlreich waren die Publikationen, in denen sie besonders seit den 1990er Jahren eine Vielzahl von Texten zur Architektur und zur bildenden Kunst veröffentlichen konnte. Über einen langen Zeitraum hinweg schrieb sie vor allem für Qualitätszeitungen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Daneben nahmen auch Fachzeitschriften ihre Kritiken und Rezensionen gern an, vom Deutschen Architektenblatt über den Baumeister bis zur db | deutsche bauzeitung.
Allem voran: Sachkenntnis
Ihre Texte zeichneten sich durch eine intime Sachkenntnis dank intensiver Recherche aus, ihre Beurteilungen waren auf sympathische Art eher wohlwollend. Wenn es aber sein musste, sparte Karin Leydecker nicht mit harscher Kritik.
Vor allem dann, wenn es um ihre Heimatregion ging, dum Rheinland-Pfalz, prangerte sie immer wieder Bausünden und drohende Verluste von Baukultur an. Ihre weiche rheinpfälzische Sprachmelodie konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass sie eine selbstbewusste Autorin war, die auf dem unverfälschten Gehalt ihrer Texte bestand. Nachdem Feuilletonisten der Süddeutschen Zeitung mehrere ihrer Artikel „umgeschrieben, ja entstellt“ hatten, wie sie mir empört mitteilte, kündigte sie ihre dortige Mitarbeit auf. Auch darin äußerte sich ihre Unbestechlichkeit.

ÖVA-Haus Mannheim von Helmut Striffler; 1. Bauabschnitt 1975-1977, 2. Bauabschnitt 1992-1994, Wettbewerb 1974 (Bild: Wilfried Dechau)
Besonders gern berichtete Leydecker von der „Sonnenseite der Baukultur“. Dazu gehörten für sie auch Architekten, die scheinbar in der zweiten Reihe standen, etwa Heinz Mohl und Helmut Striffler. Beiden ließ sie über Jahre hinweg ihre Empathie zukommen. Bei Striffler, der mit seinem Mannheimer Büro in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft arbeitete, kam dessen Engagement für die Rhein-Neckar-Region hinzu, auch als Aktivist des regionalen Werkbundes.

Mit Enrico Santifaller verfasste Karin Leydecker den 2005 erschienen Architekturführer Rheinland-Pfalz.
Ihrer Heimat konnte sie dann 2005 ein publizistisches Denkmal setzen: Gemeinsam mit Enrico Santifaller gestaltete sie den Architekturführer Rheinland-Pfalz 1945–2005. Dieses Buch ist nicht nur bis heute ein guter Anreger und Begleiter bei Exkursionen durch das überraschend reich bestückte Bundesland. Es enthält darüber hinaus auch vertiefende Texte zu den Landesteilen sowie mehrere Interviews, wobei das Gespräch mit Werner Durth über den Begriff „Heimat“ hervorsticht.
Meine eigene Arbeit hat Karin Leydecker zweimal nachhaltig unterstützt. 2005 stellte sie in der FAZ meinen Architekturführer zu den christlichen Sakralbauten in Europa seit 1950 in einer langen Besprechung vor. Auch die Unterzeile „Von jetzt an keine Urlaubsreise mehr ohne dieses Buch“ mag dazu beigetragen haben, dass nach dieser Rezension gleich mehrere hundert Exemplare verkauft wurden, wie mir der Prestel Verlag stolz berichtete – ein Bespiel dafür, dass Architekturkritik zumindest manchmal Wirkung hat. Acht Jahre später war ich Karin Leydecker dafür dankbar, dass sie meine Ausstellung zu den aktuellen Sakralbauten in Bayern und Österreich in der NZZ groß besprochen hatte – für die kleine Münchner Galerie christlicher Kunst war das geradezu ein Ritterschlag. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Karin Leydecker nach langer und schwerer Krankheit am 27. April im Alter von 66 Jahren in Neustadt an der Weinstraße gestorben. Ihre Stimme wird fehlen.