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Das FUX in Karlsruhe. (Foto: Brigida Gonzaléz)
Ohne Beton geht es nicht. Jedenfalls vorerst nicht. Umso wichtiger, dass man mit sparsamem Materialeinsatz und mit umsichtigem Entwurf dafür sorgt, dass der Gewinn groß ist – dass sich neue Optionen bieten, dass Räume geschaffen werden, die sonst fehlen würden. Wir zeigen drei Beispiele aus Berlin, Karlsruhe und München

Stahlbeton ist ein Baustoff der Industrialisierung, der nicht nur Qualitäten aufweist, die ihn mit Prinzipien der Massenproduktion kompatibel macht. Er ist ein Produkt der erfinderischen Kombination, sein Potenzial erschöpft sich nicht in naturgegebenen Eigenschaften, er ist Kunstwerkstein und -baustoff im wörtlichen Sinne. Das weckte immer auch die Frage danach, wie man mit ihm emanzipatorische Versprechen der Moderne nach Freiheit und Gleichheit einlösen kann. Aber nicht nur deswegen ist er für Architektinnen und Architekten stets mehr als nur ein Material, mit dem sich viel schnell und seriell bauen lässt. Gerade in seiner potenziellen Serialität stellt sich beim Bauen mit Beton immer die Frage nach dem Verhältnis von Struktur und Ordnung, nach dem von Flexibilität und Originalität, nach der Kombination von Systemen der Raster. Die Vorstellung, dass es einen Raum der widerspruchsfreien mathematischen Reinheit der Konstruktion geben könne, dass er ein Abbild einer Idee sein könne, beschäftigt Architekten bis heute. Raster und Systeme sind nie nur praktische Werkzeuge der Architekturproduktion. In der Klarheit der Struktur kann aber auch deswegen ein Element von Freiheit gesehen werden, weil sich das, was sich in ihr und um sie herum ereignet, dieser Struktur nicht folgen, sich ihr nicht unterordnen muss. Die Qualität des Rationalen liegt darin, dass es zulässt, was es selbst nicht sein kann.

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Konstruktion und Fassade des Wohnregals in Berlin besteht aus vorgefertigten Standardelementen. Ansicht von Osten. (Foto: Tobias Wootton)

Wohnregal in Berlin

Im Gewerbebau wird hart gerechnet. Standardisierte und vorgefertigte Elemente sind Usus. Warum lassen sie sich nicht im Wohnungsbau verwenden? Einen Versuch ist es angesichts der angespannten Wohnungsmarktlage allemal wert. Frohn&Rojas haben diesen Versuch nun in Berlin unternommen, auf einem Grundstück in Berlin-Moabit. Zwei Jahre hat Marc Frohn nach einem Grundstück für seine Idee gesucht und ist, nachdem er es gefungen hatte, selbst als Bauherr angetreten.

Entstanden ist nun ein kompaktes, sechsgeschossiges Wohnhaus mit einer Gewerbeeinheit im Erdgeschoss, mit zwei Wohnungen je Geschoss. Stützen, Balken und Decken sind aus Standardelementen, die so wenig wie möglich angepasst wurden, um Geld zu sparen. Das war die eine Sache, die belegt werden sollte: dass ein Bauen mit solchen Elementen zu preisgünstigen Wohnungen führen könnte, ohne Planungshonorar liegen die Baukosten nach Angeben der Architekten bei 1500 Euro netto je Quadratmeter Bruttogeschossfläche (Kostengruppen 300 und 400). 13 Meter spannen die TT-Decken, der Innenausbau ist vollständig im Trockenbau realisiert worden. In sechs Wochen stand der Rohbau. Der Preis dafür ist eine Ästhetik, mit der man sich anfreunden können muss – der Rohbaucharme verhehlt nicht den konzeptionellen Gedanken. Dafür bieten die Wohnungen aber eben auch große Spielräume zur eigenen Gestaltung, auch der räumlichen. Sanitärkerne und Küche richten sich nach den Ent- und Versorgungsschächten, bei allem weiteren herrscht die große Freiheit, Vermarkter würden wahrscheinlich von einem Loft sprechen. Entsprechend lassen sich die Wohnungen unterschiedlich zuschneiden, demonstrativ sind die Zuschnitte auf jedem Geschoss anders, die Größe variiert zwischen 30 und 110 Quadratmetern. Standardisiertes Bauen, das ist die zweite Sache, die die Architekten nachweisen wollten, haben eben gerade nicht standardisierte Wohnungsgrundrisse zur Folge.

Erschlossen werden die Wohnungen von einem – ebenfalls Kosten sparendem – außenliegenden Treppenhaus, ein Edelstahlnetz übernimmt die Absturzsicherung.
Ost- und Westfassaden sind ebenfalls aus Standardelementen. Die Vorhangfassaden aus großmaßstäblichen Hebe-Schiebe-Standardelementen können auf gesamter Höhe geöffnet werden, aus der Wohnung wird dann eine Loggia. Auch in geschlossenem Zustand bleibt durch sie hindurch die Tragkonstruktion auch von außen sichtbar.

Das Experiment, selten genug gewagt, kann allerdings nichts an dem ändern, was ebenfalls Kostentreiber auf dem Wohnungsmarkt ist: der Preis für den Boden. Und auch Planungskosten ließen sich reduzieren, wenn es nicht bei diesem Unikat bliebe. Das Angebot der Architekten steht. In Berlin-Moabit.


Gebäude mit Wohnateliers aus Stahlbetonfertigelementen, Waldenserstrasse 25, 10551 Berlin
Bauherr: Privat
Architektur, Bauleitung, Lichtplanung: FAR frohn&rojas, Berlin
Team: Marc Frohn, Mario Rojas Toledo, Max Koch, Ulrike vandenBerghe, Lisa Behringer, Ruth Meigen, Martin Gjoleka, Felix Schöllhorn, Pan Hu, Julius Grün, Erik Tsurumaki, Katharina Wiedwald
Tragwerksplaner: IB Paasche
Grundstücksgröße: 328 m²
Nutzfläche gesamt: 1.021,93 m²
Baukosten (nach DIN 276) – KG 300+400 (netto): 1,63 Mio €
Fertigstellung: 2019

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Ansicht von Westen. (Foto: Brigida Gonzaléz)

FUX in Karlsruhe

Mit dem, was man als veredelten Rohbau bezeichnen könnte, kennen sich Birk Heilmeyer und Frenzel aus – 2015 haben sie in Kassel das Science Center auf dem Uni Campus Nord errichtet, ein Gründungszentrum, wo Start-up Unternehmen Unterstützung dabei bekommen, sich und ihre Ideen zu etablieren. Im gleichen Jahr hat das Stuttgarter Büro den Wettbewerb für das „Festigungs- und Expansionszentrum“ in Karlsruhe gewonnen, abgekürzt als FUX ist das Wortungetüm dann immerhin einigermaßen gebändigt. Wahrscheinlich steht dahinter die Vorstellung, dass schlaue Gründerfüchse sich hier etablieren. Bauherr ist eine GmbH, die als Tochter der Stadt Gewerbeimmobilien entwickelt und betreut. Der Standort, der Alte Schlachthof, gilt als Standort der lokalen Kultur- und Kreativszene, das FUX ist  dessen Grenze und Scharnier zum östlich angrenzenden Messplatz, der für Veranstaltungen genutzt wird.

Wie in Kassel ging es auch in Karlsruhe darum, preiswerte Büroräume zu realisieren, auch hier haben Birk Heilmeyer und Frenzel Sichtbetonstrukturen und offenliegende Installationen als aus der Aufgabenstellung geborenes Ausdrucksmittel genutzt: sauber detailliert und räumlich so klar wie vielfältig strukturiert, dass die Veredlung nicht lediglich als Floskel verstanden werden darf, ebensowenig übrigens wie der Begriff des Rohbaus: auf eine hohe Sichtbetonklasse wurde verzichtet. Die exponierten Betondecken werden zur Bauteilaktivierung herangezogen, dafür wird je nach Jahreszeit und Außentemperatur über 15 Erdwärmesonden der Untergrund unter dem Gebäude genutzt, um zu wärmen oder zu kühlen. Die gezielt gesetzten Akzente durch die Möblierung und Beleuchtung halten diese Balance.

Offene zweigeschossige Bereiche dienen als Treffpunkte und Empfangsräume, auch kleinere Veranstaltungen sind möglich; aufgeweitete Erschließungsflächen schaffen Großzügigkeit und Gelegenheit zum unverbindlichen Gespräch, die Rasterstruktur von 1,25 und 3,75 Metern lässt es zu, dass die Bürogrößen sinnvoll variiert werden, vom Zellen- bis zum Großraumbüro ist alles möglich, spätere Umstrukturierungen inklusive. Im vierten Obergeschoss könne Seminarräume gemeinschaftlich genutzt werden, auch der im Bebauungsplan vorgesehene höhere Bauteil wird als aufgesetzter Körper interpretiert, so dass sich der Baukörper als spannungsreichen Dialog zweier Volumen zeigt, die aus der Konsturktion entwickelten Ansichten zeigen, dass das einheitliche Raster das Prinzip der Raumorganisation ist. Dachterrasse und großflächige Verglasung sorgen dafür, dass von innen beobachtet werden kann, wo mehr Leben ist: bei den der Kreativen auf der einen oder bei Fahrgeschäfte und Festivals auf der auf der anderen Seite.


FUX – Festigungs- und Expansionszentrum, Alter Schlachthof Karlsruhe
Bauherr: Karlsruher Fächer GmbH & Co. Stadtentwicklungs-KG
Architekten: Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten, Stuttgart
Mitarbeiter: Timo Sprengel, Mykola Holoviznin, Pilar Gordillo
Landschaftsarchitekten: Studio Grijsbach, Bergisch-Gladbach
Tragwerksplanung: Mayr Ludescher Ingenieure, Stuttgart
Graphik und Leitsystem: Wagner Rexin, Stutensee
Bruttogeschossfläche: 3.800 m²
Fertigstellung: 2019

Architektur

Foto: Michael Heinrich

Die Neue Gerberau in München

Die fünf von Götz und Castorph entworfenen Gebäude der „neuen Gerberau“ mit insgesamt 153 Wohnungen sind im Norden von München auf dem ehemaligen Parkplatz der MAN als Teil eines neuen Quartiers entstanden. Die vier- bis achtgeschossigen Häuser sind der westliche Teil dieses Stadtentwicklungsprojekts, das aus insgesamt zehn gegeneinander versetzten kompakten Wohngebäuden sowie einer Kita und Einzelhandelsflächen im mittleren Teil besteht. Die Anlage berücksichtigt den alten, erhaltenswerten Baumbestand, der zum Teil eines neuen Quartiersparks geworden ist. Weil wegen des hohen Grundwasserstands keine Tiefgaragen möglich waren, wurde eine gegenüber dem Park erhöhte Plattform geschaffen, unter der sich die Stellplätze befinden und an die nun die Gebäude andocken. Als Esplanade mit Spielplätzen, Bänken und Baumgruppen verbindet diese Plattform die Häuser miteinander; Treppen und Rampen führen von ihr aus in den Park. Die Häuser sind so angeordnet, dass sie auch als tiefe, freistehende Baukörper offene, gemeinsame Höfe umschließen: Begegnungsräume im Öffentlichen, von denen aus die Gebäude erschlossen werden.

Auch das Entwurfsprinzip verbindet die fünf unterschiedlich hohen und dimensionierten Gebäude miteinander und verbindet sie zu einer Einheit. Umlaufende Balkonloggien aus Betonfertigteilelementen sorgen für eine zwischen dem Außenraum und den Wohnungen vermittelnden Raumschicht. In den Eckbereichen sind die Außenwände der Wohnungen zurückgesetzt, so dass sich in den Diagonalen gerahmte Durchblicke ergeben, die die Überlagerungen von innen und außen noch einmal intensivieren. Stores sorgen für Intimität und Schatten und dafür, dass diese Überlagerungen variieren.

Die vorgesetzten Fassaden der Loggien spielen gekonnt und subtil mit Perspektive und Fügung. Über Eck wie bei Strickbauweisen gegeneinander versetzt, ergeben sich in der vertikalen gegeneinander versetzte Fugen und, um die Öffnungen auf eine vertikalen Linie zu bringen, unterschiedliche Rahmenbreiten. Das suggeriert ein leichtes Vibrieren und belebt unaufdringlich und subtil die strengen Fassaden, ohne ihnen ihren rationalen Charakter zu nehmen, ohne zu kaschieren, dass sie aus Fertigteilen bestehen. Die Brüstungen werden in den oberen Geschossen höher, so dass sich ein perspektivischer Effekt ergibt, der die Wahrnehmung der Gebäudehöhe leicht übersteigert. Unterstützt wird diese Wirkung durch die Fassadenanstriche, die nach oben leicht heller werden und die Lichtperspektive kaum wahrnehmbar verstärken.


Die neue Gerberau, München-Allach
Bauherr: DEMOS Wohnbau GmbH
Architektur: Goetz Castorph Architekten und Stadtplaner GmbH, München,  mit Honigmann, Will & Partner Architekten, München
Landschaftsarchitektur: realgrün Landschaftsarchitekten Gesellschaft von Landschaftsarchitekten und Stadtplanern mbH, München
Gesamtfläche: 31450 m²
Nutzfläche: 13.000 m²
153 Wohnungen
Fertigstellung: 2019