Eine Weltwirtschaftskrise ist keine Naturkatastrophe, sondern eine von Menschen verursachte Kalamität. Spekulanten haben Geld anderer verzockt, Banker faule Kredite nicht geprüft, die Politik hat nicht nur tatenlos zugesehen, sondern das Treiben befördert. Jetzt rufen alle, die ein bisschen Kapital, ansehnliche Bilanzen und beruhigte Aktionäre brauchen können, „Bricklebrit!“ – und der Staat, in die Rolle des Goldesels geschlüpft, spuckt das Gold vorne und hinten aus. Der Staat ist aber kein Goldesel. Und Gold spuckt er nur, wenn diejenigen „Bricklebrit!“ rufen, denen er gehorchen muss oder will.
Als Inhaber eines mittelgroßen Architekturbüros bereitet Ihnen die Auftragslage Sorge? Kein Problem! Schreiben Sie an Frau Merkel oder Herrn Tiefensee, dass Sie – unverschuldeter als die Banken – Not litten und ein halbes, gern auch ein ganzes Milliönchen brauchen könnten. Schließlich gehe es um die sonst arbeitslosen Architekten, die Sie beschäftigen. Merkel und Tiefensee werden Ihnen was husten! Keinen Euro kriegen Sie, wenn Sie nicht dem Staat ein Mitspracherecht in Ihrem Büro einräumen. Die Ministerin Annette Schavan lobt zum Beispiel am Konjunkturpaket, dass Schulen und Kindergärten bald „so schön wie Bankfilialen“ sein werden. Das verhüte Gott! Aber dafür werden Sie sorgen müssen, wenn Sie sich auf die Strategien zur Rettung der Wirtschaftsnation einlassen. „Bailout“ heißt es, wenn der Staat Sie von Ihren Schulden befreien soll.
Politik sichert Pfründe
Im Ernst: Was derzeit als Rettung der deutschen Wirtschaft in Gang gesetzt wird, bewertet der Essener Soziologe Harald Welzer wie der Amerikaner Jared Diamond so: „Gesellschaften scheitern dann, wenn sie unter veränderten Umweltbedingungen auf jene Strategien der Problemlösung setzen, mit denen sie bis dahin erfolgreich waren“ (DIE ZEIT, 4.1.2009). Und weiter: Diesen Fehler mache derzeit die Politik, die „ohnehin keine gesellschaftliche Arena der Veränderung“ sei, „weil die Strukturen, in denen man parteipolitisch erfolgreich sein kann, nicht die Strukturen sind, mit denen man Gesellschaften verändert“. Deswegen kramt die Politik in der Konjunkturmottenkiste, um die Wirtschaft und damit die Gesellschaft zu retten. Was schätzen wir mehr: die Gesellschaft oder die Wirtschaft? Hier sei Welzer noch ein Mal zitiert: „Es klafft … eine demokratiegeschichtlich wahrscheinlich beispiellose Lücke zwischen den Wirklichkeitswahrnehmungen und Handlungsoptionen der politischen Elite und jenen der Bürger“. Daran schließt sich die Forderung nach einer „Apo 2.0“, die zur Definition der Gesellschaft beitragen könne, „welche Art von Gesellschaft man in Zukunft sein möchte“. Also schauen wir doch mal in die Konjunkturpakete, die uns postweihnachtlich auf den Gabentisch gelegt werden. Und behalten dabei im Sinn, dass eine Gesellschaft, die Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert, pleite geht – wie im SPIEGEL vom Montag nachzulesen ist.
Schadensbehebung
Die Konjunkturpakete sehen zwar vor, dass Milliarden Euro in Schulen, Straßen und Krankenhäuser investiert werden – zeugen aber zugleich davon, dass die Politik versagt hat, weil sie in komfortablen Jahren von all dem nichts wissen wollte. Was jetzt als Förderung der Bauwirtschaft vielleicht nicht falsch ist, weil’s die lieben Kleinen ja nett haben sollen, müsste allerdings ins Lehrpersonal investiert werden. Denn nicht vorrangig die Bauwirtschaft verspricht eine erfreuliche, liebenswerte Zukunft, sondern die mit Wissen ausgerüstete Klugheit unserer Kinder. Das Konjunkturpaket II sieht 100 Euro pro Kind vor, aber 2500 Euro pro Neuwagen. Da sitzen viele Schrauben locker – können wir nichts anderes als schwer verkäufliche Autos produzieren und den Bau dieser Dreckschleudern auch noch fördern? Und ihnen aalglatte Pisten durch die Republik legen? Angenommen, Sie sind seit langem ein Klimaschützer, fahren mit Straßenbahn, Bus und Zug statt mit dem eigenen Auto – dann haben Sie nichts abzuwracken und sind jetzt der Gelackmeierte.
Weil Sie viel fürs Klima, aber nichts für die Konjunktur tun. Oder sollte man sagen: für die Privatwirtschaft? (Auf vielfachen Wunsch ein konstruktiver Vorschlag als Nachtrag: Jedem, der eine Bahncard 100 kauft, ein Zuschuss nicht unter 1500 Euro!). Gutwillig fordern Institutionen wie die Architektenkammern und die Bundesstiftung Baukultur, dass beim Verteilen der Milliarden Gestaltungsbeiräte und andere Weitsichtige mitreden sollten. Allein: Soll denen gelingen, die Milliarden aus dem Straßenbau in klügere Mobilitätskonzepte und ambitionierte (Um-)bauprojekte zu verschieben?
Die Verdummung des Wählers
2009 ist ein Wahljahr. Eine konservative Koalition schneidet keine Zöpfe ab, sondern pudert sie, und vieles riecht nach einer Ära Bush in Deutschland. Wer jetzt von den Konjunkturpaketen profitiert, hat begriffen, wie Lobbyismus funktioniert – sollen sich die Stadtplaner, Architekten und Bauingenieure über neue Straßen wirklich freuen? Staatliche Konjunkturpakete laufen auf aberwitzige Subventionen hinaus, wirken wie planwirtschaftliche Glücksverheißungen und tragen kaum etwas zu einer Mobilisierung unserer kreativen Köpfe bei. Konjunkturpakete sind Mogelpackungen, die an die Falschen verschickt werden. Was das mit Architektur und Stadtplanung zu tun hat? Alles! Denn in welcher Gesellschaft wollen wir leben?