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„Der Wert eines Baudenkmals beruht nicht allein auf seiner Erscheinung, sondern ebenso auf der Integrität all seiner Bauteile, die es zu einem einzigartigen Produkt einer zeittypischen Bautechnik machen“. So heißt es in der ICOMOS Charta von Victoria Falls, 2003. Seiner Pflicht, Staatseigentum – und das sind Ingenieurbauwerke großenteils – zu schützen und zu erhalten, kommt der Staat nicht nach. Am Willen und Wissen der Bauingenieure liegt es nicht.


Theresia Keilhacker vom BDA (Bild: Wilfried Dechau)

Theresa Keilhacker, Präsidentin der Architektenkammer Berlin (Bild: Wilfried Dechau)

Schon die Hintergrundbilder auf dem Flyer der Einladung verraten, worum es bei der Veranstaltung geht: Ulrich Finsterwalders bedeutendes Vermächtnis im Bau von Brücken mit Spannbeton und ihrer Fertigung im freien Vorbau.1) Er wäre dieses Jahr 125 Jahre alt geworden und ist mit seinem Oeuvre präsenter als je zuvor. Den Impulsvortrag für das Ingenieursymposium „Ulrich Finsterwalder 125 – ‚Denkmal Finsterwalder‘ weiterdenken!“ hielt Theresa Keilhacker, die Präsidentin der Architektenkammer Berlin. Unter der Überschrift „Sanieren geht vor Neubau“ traf sie den Nerv der aktuellen Lage im Baugeschehen: Begriffe wie Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Ökologie und Kreislaufwirtschaft sind zwar in aller Munde. Die Umsetzung jedoch lässt auf sich warten.

Gero Marzahn (Bild: Wilfried Dechau)

Beim Bund weiß man um die Dringlichkeit, mit der Brückenbauten ertüchtigt werden müssen. Folie aus dem Vortrag von Gero Marzahn, Referatsleiter im BMDV  (Bild: Wilfried Dechau)

Jeder Weckruf ist willkommen!

Das mittlerweile wohl bekannte Problem der anstehenden Ertüchtigung tausender kleiner wie großer Brückenbauwerke muss angegangen werden. Gero Marzahn, Referatsleiter im BMDV, lieferte dazu nicht nur erschreckende Fakten und Zahlen, sondern mit der Information über neueste Messmethoden zur Überprüfung und Überwachung der angeschlagenen Konstruktionen geeignete Mittel zur Klärung der jeweiligen Dringlichkeit dessen, was zu tun ist.2)

Zum Thema der Materialproblematik beim Beton konnte Florian Hüller als Geologe und Leiter des Bereichs Materialtechnologie und Anwendungstechnik eines großen Baukonzerns, der für Innovationen vielfältiger Art bekannt ist, der interessierten Runde Auskunft über eine ganze Reihe von Denk- und Handlungsansätze zur CO2 -Reduzierung geben. Bis zu einem Drittel ließen sich seiner Meinung nach mit geeigneten Mitteln die hohen Treibhausemissionen im Bauwesen senken. Zur Weiterentwicklung des Materials führte Florian Hüller neben der Beachtung einer hohen Bindemitteleffizienz, der Substitution von Zement durch feine Füllstoffe, dem gezielten Einsatz verschiedener Zementsorten, der Optimierung der Packungsdichte, der Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen auch die Verarbeitung mittels moderner Mischtechnik an. Ein hoher Vorfertigungsgrad und eine energetische Betonkernaktivierung würden ebenfalls einen wichtigen Beitrag zu einer emissionsarmen Bauweise leisten.

Cengiz Dicleli (Bild: Wilfried Dechau)

Plädoyer für die Ingenieurbau-Denkmalpflege und -Öffentlichkeitsarbeit: Cengiz Dicleli, wissenschaftlicher Leiter der Tagung (Bild: Wilfried Dechau)

Ingenieurbau und Denkmalpflege

Cengiz Dicleli führte als Koordinator und wissenschaftlicher Leiter der Tagung in seinem zentralen Vortrag den wichtigen Aspekt der Denkmalpflege im Ingenieurbau ein. Es gelang ihm am Beispiel der Alten Nibelungenbrücke von Ulrich Finsterwalder und Gerd Lohmer in Worms3) aufzuzeigen, wie wichtig es ist, auch richtungsweisende ingenieurtechnische Leistungen ins Gedächtnis zu rufen, öffentlich zu machen und entsprechend zu würdigen. Was bislang zum Erhalt geleistet wird, ruft nach weiteren Ideen, die sich in den folgenden Vorträgen bereits andeuteten. Dicleli schloss seinen Vortrag mit der Forderung, Masterstudiengänge für Denkmalschutz im Ingenieurbau einzuführen.

Was tun?

„Wertvolle Bauwerke erhalten mit Karbonbeton“ war folgerichtig die Überschrift zum Beitrag von Thomas Bösche, der dem Thema Lebensdauer von Ingenieurbauleistungen in einem Parforceritt durch die Geschichte von den Römern (und früher) bis heute mit einem gewissen Augenzwinkern auf den Grund zu gehen versuchte. Anhand der Autobahnbrücke über die Nidda in Frankfurt wurde demonstriert, wie mit der Auftragung einer 4 cm starken Carbonbetonschicht auf der Oberseite und einer weiteren 3 cm starken Lage auf der Unterseite der Stege das Defizit bei der Tragfähigkeit ausgeglichen und die Lebensdauer verlängert werden konnten.4)

Brühwiler (Bild: Wilfried Dechau)

In Aufrbruchstimmung: Eugen Brühwiler, ETH Lausanne (Bild: Wilfried Dechau)

Monitoring und UHFP (Ultra High Performance Concrete) waren die Zauberworte von Eugen Brühwiler, der an der ETH Lausanne einen Lehrstuhl für Erhaltung, Konstruktion und Sicherheit innehat. Eine große Anzahl erfolgreich realisierter Ertüchtigungen wurden sorgfältig mit Detailzeichnungen, Fotos der Ausführung belegt und erläutert. Die Schweiz hat mit ihrem Merkblatt SIA 2052 UHFB, mit dem Titel „Zementgebundener Ultra-Hochleistungs-Faserverbund-Baustoff (UHFB) – Baustoffe, Bemessung und Ausführung“ publiziert am 01.03.2016, weitergeführt in der Version 12 vom 21. Juni 2021, längst einen Stand erreicht, der über die Zustimmung im Einzelfall hierzulande voraus und geeignet ist, nicht nur für die Rettung der Nibelungenbrücke herangezogen zu werden.5)

Heinz Islers Schale für Sicli in Genf, 1967-70 gebaut (Bild: Wilfried Dechau)

Heinz Islers Schale für Sicli in Genf, 1967-70 gebaut (Bild: Wilfried Dechau)

Nach geballter Brückenbaukost galt es das Thema um eine weitere Konstruktion mit hohem formalem und technischem Anspruch zu erweitern und abzurunden. Wilfried Dechau, langjähriger Chefredakteur der Deutschen Bauzeitung, hat sich bei seiner photographischen Tätigkeit neben der Dokumentation von wegweisenden Brückenbauten unter anderem auch des Themas Schalenbauten von Ulrich Müther, Heinz Isler und Felix Candela angenommen. Die Aufnahmen der Projekte aus unterschiedlichen Zeitabschnitten zeigten neben den hohen räumlichen Qualitäten auch die bedauernswerten Verfallserscheinungen – oft der Vernachlässigung bei Unterhalt und Nutzung zuzuschreiben. Wilfried Dechau zeigte mit seinen Aufnahmen zudem die Chancen auf, die sich beim Erhalt dieser Gebäude durch den Einsatz eben beschriebener technischer Mittel ohne Zweifel bieten.

Warum kommt kein Entscheidungsträger, Herr Wissing?

Alle angesprochenen Teilnehmer äußerten sich überaus positiv über den Verlauf wie die Inhalte des Symposiums. Der intensive Erfahrungsaustausch stimmt positiv für die Lösung und Bewältigung der anstehenden Probleme. Leider hatte die Veranstaltung den Charakter eines „Familientreffens“ von Tragwerksingenieuren und Vertretern ausführender Firmen. Das war einerseits nicht unsympathisch, aber andererseits hätte man sich auch Teilnehmer aus dem universitären Bereich (TUM), aus der Architektenschaft und der Gruppe der politischen Entscheidungsträger gewünscht. Diskussionsbedarf über nachhaltiges Bauen und den aktuellen Zustand der Brückeninfrastruktur hierzulande gibt es mehr als genug.

PS: Herr Brühwiler kam meiner Bitte um ein Statement zur Veranstaltung wie folgt nach:

«Das „Ulrich Finsterwalder Symposium“ vom letzten Donnerstag war sehr erfolgreich, denn es wurden viele Denkanstösse und konkrete Lösungen vorgetragen. Es herrschte eine Aufbruchstimmung hin zu einer neuartigen Bauwerkserhaltung, bei der:
– zunächst die Historie eines Bauwerks gründlich erkundet und verstanden werden muss,
– das Tragverhalten z.B. von Brücken messtechnisch und nicht nur rechnerisch erfasst und überprüft wird,
– und, falls ein Eingriff ins Bauwerk wirklich notwendig sein sollte, dieser mit modernen Technologien und Hochleistungsbaustoffen sorgfältig geplant und ausgeführt wird,
mit einer weitestgehenden Respektierung der baukulturellen Werte und einem möglichst kleinen Ressourcenverbrauch.
Damit folgt die Bauwerkserhaltung den Grundsätzen der Nachhaltigkeit. Die Erhaltung der Nibelungenbrücke von Ulrich Finsterwalder wird diese neuartige Bauwerkserhaltung beispielhaft veranschaulichen.»6)