• Über Marlowes
  • Kontakt

Entdeckungsreisen in die Geschichte, ob subjektiv-spekulativ oder kritisch-analytisch, sind nicht nur ein großes Vergnügen, sondern helfen dabei, einen differenzierten Blick auf die Gegenwart zu werfen – gerade dort, wo so selbstverständlich das geschichtliche Erbe bemüht wird. Das zeigen zwei Bücher, die Ende 2022 erschienen sind.

2344_KF_50jahrenach50JahrBauhaus

Hans D. Christ, Iris Dressler (Hg.): 50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus / 50 Years After 50 Years of the Bauhaus
688 Seiten, etwa 1200 farbige und s/w-Abbildungen, deutsch/englisch, 23,5 x 33, 5 cm, 48 Euro

Spector Books, Leipzig, 2022

2018 hatte der Württembergische Kunstvereine eine fulminante Ausstellung gezeigt: „50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus“ hatte die auch schon vorJubiläumsjahr 2019 wenig kritischen Einordnungen des Bauhauses sehr gründlich seziert. Die Ausstellung hatte in ihrer überbordenden Fülle von Material und Verbindungslinien zwischen Bauhaus und NS-Staat, Form und Rationalisierung, industrieller Produktion und Kriegsmaschinerie denn Besuchenden viel Geduld und Aufnahmefähigkeit abverlangt und sicher einige auch darin überfordert. Aber auch die beiden hochengagierten Ausstellungsmachenden, Hans D. Christ und Iris Dressler schienen – verständlicherweise – an ihre Grenzen gekommen zu sein, denn es dauerte gut vier Jahre, bis der Katalog zur Ausstellung im vergangenen Herbst erschienen ist. Nun, nochmal ein Jahr später, ist zu konstatieren, dass der Katalog wert- und gehaltvoll genug ist, um dies zu verschmerzen. Im Gegenteil: Es macht große Freude, sich erneut in die Arbeit von Christ und Dressler zu vertiefen. „ Wenn sich an den Strukturen unserer Institutionen etwas ändern soll, (…) müssen wir auch und gerade an ihren Erfolgsgeschichten ansetzen und deren Brüche, Widersprüche und das, was sie verschweigen, erkunden.“ Diese Erkundung ist gründlich und reich an Wegen, Positionen, Entdeckungen und Erkenntnissen.

Dabei setzen Christ und Dressler an der Ausstellung an, die 1968 im Württembergischen Kunstverein eröffnet worden war und einer der Meilensteine in der Konstruktion eines makellosen, andere Entwicklungen der Moderne überstrahlenden, übergeschichtlichen Bauhauses war. Das Bauhauserbe schloss dabei gezielt all dass aus, was dieses Bild auch nur ansatzweise hätte angreifbar machen können. Der Katalog arbeitet nun akribisch sehr vieles von dem auf, was genau dieses reduzierte und dekontextualisierte Bauhausbild in Frage stellen kann: Da sind die zahlreichen Verbindungen des Bauhauses zum Nationalsozialismus, etwa eines Ernst Neufert, der vielleicht nicht ganz zufällig nur eine Nebenrolle im Jubiläumsjahr gespielt hatte. Da sind die Auseinandersetzungen darum, wer mit welchem Recht das Erbe des Bauhauses für sich reklamieren dürfe, beispielsweise der zwischen Max Bill zu dessen Zeit als Direktor der Ulmer HfG und Ansger Jorn, der 1953 eine Mouvement International pur un Bauhaus Imaginist (MIBI) gegründet hatte. „ich warne sie davor, den namen „bauhaus“ für versuche ihrer art zu verwenden, denn dieser name ist geschützt und darf ohne bewilligung nicht verwendet werden“, schrieb Bill 1954 Jorn. Oder da ist das Bauhaus, das mit einer geschmeidigen Ästhetisierung des Alltags einer kaptialistischen Verwertungsmaschinerie dadurch dienlich gemacht wird, dass die Schule in einen zeitlose, dekontextualisierten Stil überführt wird. So wurden aus dem Bauhaus-Erbe die Bezüge zu all jenen Entwicklungen gekappt, die auf das Bauhaus Bezug nehmend nach anderen Wegen suchten, Alltag und Ästhetik aufeinander zu beziehen.

Im Katalog wird nachvollziehbar, wie sehr die Bauhaus-Rezepetion bis heute einen erheblichen Anteil am Ausschluss außereuropäischer, weiblicher und antikapitialistischer Perspektiven in Kunst, Design und Architektur hat. Es lohnt sich, den vielen Seitenwegen, Brüchen und blinden Flecken der Bauhaus-Rezeption zu folgen und sowohl den Mythos einer vermeintlich unschuldigen Moderne kritisch zu befragen als auch den anderen Wegen zu folgen, das Erbe des Bauhauses zu erkunden – nun neben der großen Fülle des Bildmaterials einschließlich Arbeiten zeitgenössischer Künstler:innen auch in zusätzlichen vertiefenden Texten. Sich all das zu Gemüte zu führen lohnt sich, denn es hat an Aktualität so gut wie nichts verloren – was sich nicht zuletzt in der Initiative der EU-Kommission des New European Bauhaus zeigt, die viel zu reibungslos am Mythos eines verengten, politisch unbelasteten, gesellschaftlich-wirtschaftlich unkritischen Bauhausbild anknüpft.



2344_KF_portraits

François Charbonnet, Patrick Heiz, Marine de Dardel, Steffen Hägele, Francisco Moura Veiga (Hg.): Portraits Architectural Parables.
656 Seiten, 222 farbige und 786 s/w-Abbildungen, 18 x 30 cm, 97 Euro
Park Books, Zürich, 2022

Dass die Postmoderne wieder gewertschätzt wird, ist keine besonders neue Nachricht mehr. Gerade wird sie in Bonn mit einer großen Ausstellung gefeiert. Wie sie in der Lehre wieder Eingang findet, zeigt das opulente Buch von François Charbonnet und Patrick Heiz, in dem sie Einblicke in ihre Lehrpraxis präsentieren. Zum Einstieg führen Marc Angélil und Cary Siress in diese Lehre würdigen sie es als „ein offenes Instrumentarium performativer Konzepte und Methoden, um das Repertoire architektonischen Denkens und Handels zur erweitern.“ Sie verweisen darauf, dass  ein Lehrer heute nicht mehr so wie früher unterrichten könne: „Only by concealing knowledge from the students ist the explicator able to teach it, thus making the students depentend on the master.“

François Charbonnet und Patrick Heiz, Inhaber de Büros „Made in“, sind 2018 zu ordentlichen Professoren für Architektur und Entwurf an die ETH Zürich berufen worden. In Portraits – Architectural Parabels werden den über 60 vorgestellten Studierenden-Entwürfen vier Texte vorangestellt, die in der Lehre der beiden regelmäßig eine Rolle spielen und denen (unter anderem durch die großzügige Aufmachung) die Bedeutung von Grundlagentexten zugewiesen wird: Sie stammen von Marcel Proust, Oswald Matthias Ungers, Gilles Deleuze und Felix Guattari sowie von William S. Borroughs. Die Zusammenstellung macht deutlich, wie sehr es darum geht, jede Form geradliniger und zwangsläufiger Entwurfsmethode eine Absage zu erteilen und dazu ermutigt, Erinnerung, Geschichte, individuelle Prägung so miteinander zu verknüpfen, dass daraus überraschende Sichtweisen, neue Einsichten aber auch Fragen und Zweifel an Erzählungen anderer entstehen können.

In den sechs Entwurfsaufgaben, die darauf folgend präsentiert werden, ist jede Arbeit mit vier Seiten und – hier endet dann wohl auch die Zurückhaltung des Lehrenden als Meister – streng nach dem gleichen Schema aufgebaut: Eine Doppelseite Referenzen, eine Seite mit (ebenfalls offensichtlich nach strengen, jede Individualität tilgenden) Strichzeichnungen und eine mit Collagen oder Bildreihen. Die Entwurfsthemen (Airport/Prison, Finance/Religion; Territory/Politics, Literally Architecture, Tragedy/Comedy, The Surviving Image) sind keine Aufgaben, sondern rufen eher Grundsatzfragen, Diskursfelder, Metathemen, die in ihrer Paarbildung ein suggestives Wechselspiel verschiedener, zusammenwirkender Faktoren aktivieren. Die von den Studierenden dazu gefunden Referenzen umfassen die gesamte Architekturgeschichte, können Zitate, Statistiken oder Erfindungen enthalten. Auf je einer Doppelseite werdend dabei den Zeichnungen Bilder zugeordnet, räumliche Situationen verfremdet und so auf ihren Gehalt und darauf befragt, welche erzählerische, symbolische oder verdrängte Bedeutungsschichten sich in uns vermeintliche vertrauten Bildern von Stadträumen, Gebäuden und alltäglichen Situationen verbergen könnten. Ein Schlafzimmer wird einem städtischen Platz gegenüber gestellt, ein ein altes Bild der Akropolis einem an den Metabolismus erinnernden Turm, der von einem antiken Zirkus gekrönt ist, eine absolutistische erscheinde Schlossanlage einem Prunksaal. So erweisen sich die Entwürfe als Erkundungen der Gegenwart aus geschichtlichen Substraten, die mit den Mitteln des Fantastischen erschlossen werden und der klaren, rationalen Sicht auf das Gebaute an Filmtechniken und Traumvisualisierunen erinnernden suggestiven Atmosphären gegenüberstellen. Die aufwändige Gestaltung des Buchs macht die Reise, die damit angestoßen wird, um so schöner.