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Staatsgalerie Stuttgart, Foyer. (Bild: Christian Holl)
Stilkritik (127) | Je näher man ein Wort anschaut, desto ferner sieht es zurück, so ein Karl Kraus zugeschriebener Aphorismus. Mit dem unter Architektinnen und Architekten so beliebten „zeitlos“ ist es ähnlich. Je mehr man sich fragt, was damit eigentlich bezeichnet werden soll, desto unklarer wird es, umso mehr Antworten lassen sich finden. Vielleicht ist es daher besser, „zeitlos“ nicht zu verwenden. Am Ende wird einem noch unterstellt, man habe die Hoffnung auf gute Gestaltung (und sei es die eigene) aufgegeben.

Es dauert sicher nicht mehr lange (wenn es nicht schon soweit ist), dann wird die KI die Baubeschreibungen auf den Webseiten von Architekturbüros übernehmen. Jurybewertungen bei Architekturpreisentscheidungen ebenso. Diese Texte werden sich dann vermutlich an dem orientieren, was Architektinnen und Architekten bisher noch selbst geschrieben haben, man möchte ja schließlich weiterhin die Illusion nähren, die Verfasser:innen der Entwürfe seien auch die der Texte. Deswegen werden weiterhin Eingangssituationen und Setzungen, wertige Materialien und schwebende Baukörper ihr Unwesen treiben; weiterhin werden Fassaden einladend zurückspringen, Landschaften durch Gebäude fließen und Flächen Raum für Kommunikation bieten. Schwamm drüber. Jede Disziplin hat ihre Eigenarten und ihre Gewohnheiten, die sich Außenstehenden nicht immer erschließen. Auch außerhalb von Architektenkreise lassen sich ja viele schöne Wortschöpfungen zu bestaunen, von den ZufallsbürgerInnen bis zum verlängertem Mietenstopp.

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Irgendwie so wie immer schon. Weil es nie so ganz klappt wie vermeintlich immer schon, ist es eben doch nicht zeitlos. (Bild: Christian Holl)

Ganz sicher wird in den Gebäude beschreibenden KI-Texten das Wort zeitlos auftauchen. Es ist nämlich ein Lieblingswort von Architektinnen und Architekten. Eine vermeintlich zeitlose Gestaltung ist offensichtlich das hohe Ideal – ohne dass freilich gesagt wird, warum sie das denn eigentlich sein sollte. Zeitlos ist Gestaltung keineswegs, ist doch zu einem Zeitpunkt eine Entscheidung getroffen worden, wie glücklich sie auch immer sei – gestalten heißt verändern. Zeitlos möchte aber suggerieren, dass das Gestaltete immer schon so hätte gewesen sein können, dass immer schon so hätte entschieden werden können, wie es der Entwerfende dieses Mal wieder getan hat. Und dass es allein schon deswegen gut sein müsse, weil es eben immer schon so hätte gemacht werden können. Dass Menschen sich immer wieder Leid zufügen, und das immer schon getan haben, zeigt: die Hoffnung, das Zeitlose müsse notwendigerweise gut sein, könnte auch trügen. Von solchen Zweifeln aber keine Spur.

Herzlos?


Wenn der oder die Entwerfende aber das getan haben, was unendlich viele vor ihnen getan haben oder getan haben könnten, was heißt das denn dann? Man möchte meinen, der oder die Entwerfende schämt sich, etwas geändert zu haben, als müsse befürchtet werden, er oder sie habe möglicherweise etwas Eigenes und Unverwechselbares produziert. Huch! Als müsste man davor Angst habe, eigenen Geschmacksvorlieben nachzugeben, wo doch Architektinnen und Architekten auch der Meinung sein könnten, Geschmack müsse sich bilden lassen. Ist denn Individualität etwa etwas Unappetitliches? Natürlich nicht, aber das neu Gestaltete darf eben nicht modisch sein, denn es soll ja noch in vielen Jahrzehnten geschätzt werden können und nicht den verstaubten Atem des Veralteten verströmen. Waren aber Häkeldeckchen nicht immer schon bieder, von ersten Anfang ihrer unverwüstlichen Existenz an? Erfreut sich nicht der grüne Noppenboden der Stuttgarter Staatsgalerie anhaltend großer Beliebtheit – auch wenn es ihn heute nicht mehr von der Stange gibt, er also offensichtlich nicht mehr in ist?

A propos: Irgendwann musste auch dieser wunderbar modische Boden von 1984 erneuert werden. Um möglichst nahe ans nicht mehr produzierte Vorbild zu kommen, hat man sich einer Spezialanfertigung bedient. Hieße das im Umkehrschluss, dass zeitlos eine ökonomische Qualität ist? Man verwendet das Material, von dem man hofft, dass es irgendwann wieder zu bekommen sein wird, weil man es sich eben nicht immer leisten kann, dann auf eine Sonderanfertigung zurückzugreifen? Um auch verschlissene Teile eines Gebäudes wieder ersetzen zu können, ohne dass es auffällt? Wer weiß. Aber will man das denn wirklich? Will man wirklich, dass sich nirgends am Gebäude die Patina des Gebrauchs, die Kraft einer Persönlichkeit, die Schwächen des Menschlichen, die kleinen und großen Freuden des Alltags den Häusern eingeprägt haben? Wäre das nicht kalt, herzlos und unmenschlich?

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Ganz und gar nicht zeitlos und steht dennoch. Und soll erhalten bleiben, weil so viel graue Energie darin gespeichert ist. (Bild: Christian Holl)

Und wenn man Kreislaufwirtschaft und das Bauen im und mit dem Bestand, der aus so vielem besteht, was nicht zeitlos ist und es vielleicht auch nie sein wollte, ernst nähme, hieße die Aufgabe dann nicht, einen Weg zu finden, mit dem eben gerade Nichtzeitlosen zu leben, es schätzen zu lernen, anstatt von einer Welt zu träumen, die sich noch nie verändert hatte und die es deswegen auch nie gegeben hat? Die nur zu verwirklichen wäre, wenn man all das viele einmal modisch Gewesene abrisse? Dafür, das könnte sich inzwischen herumgesprochen haben, ist es zu spät: Zuviel des Nichtzeitlosen steht schon und muss wohl oder übel bleiben.

Ambitionslos?


Dabei ist der Bestand gerade darin eine Herausforderung an das, was Architekten für sich meinen in Anspruch nehmen zu dürfen – die Kreativität. Das Bestehende wieder zu entdecken und ihm neue Qualitäten abzugewinnen, es umzudeuten und wieder in Wert zu setzen, gerade weil man nicht auf das Zeitlose zurückgreifen kann: das ist es, worin sich die Relevanz von Architektinnen und Architekten erweisen wird. Hoffentlich. Zeitlos sein zu wollen wäre also bei gütiger Betrachtung „Thema verfehlt“, was immer noch das Potenzial hätte, im Sinne von Serendipity etwas Wesentliches ungewollt hervorgebracht zu haben. Bei weniger wohlwollender Bewertung könnte man wahlweise von Weltfremdheit oder Arbeitsverweigerung sprechen.

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Modisch bis zum Anschlag. Der Noppenboden der Stuttgarter Staatsgalerie. (Bild: Christian Holl)

Nochmal zurück zur schon immer frischen Staatsgalerie, der Häkeldeckchen-Antithese. Hier war es gerade der Clou, das Zeittypische, Modische zu verwenden. Gerade dafür steht die Staatsgalerie unter Denkmalschutz. Ätsch. Andersherum gefragt: Warum sollte man schützen, was sich immer wieder wiederholen lässt? Ja, man kann es auch dann schützen wollen, allerdings nicht aus architektonischen Gründen, sondern des Umweltschutzes wegen.

Gut mit dem Zeittypischen und im Sinne der Zeit zu arbeiten, das aber muss man wohl können. Es sich nicht zu trauen, sich auf das vermeintlich Zeitlose zurückzuziehen, wäre dann das Eingeständnis, sich der eigenen Grenzen schmerzlich bewusst zu sein. Solche Bescheidenheit ist durchaus anzuerkennen, sie könnte geradezu rühren. Man sollte solche Bescheidenheit aber dann doch nicht zu demonstrativ vor sich hertragen, sonst wird man zu schnell auf die Idee kommen, KI mit dem Entwerfen zu beauftragen. Sie sollte das, was immer schon gemacht worden ist, doch auch berücksichtigen können. Echte Bescheidenheit wäre es ohnehin, nicht mit ihr zu kokettieren. Wird einem aber von anderen bescheinigt, zeitlos gestaltet zu haben, darf das auch als Beleidigung interpretiert werden. Wer sich nicht mehr zutraut, einen Ausdruck für die eigene Zeit zu finden, kapituliert, wählt den sicheren Hafen des Ambitionslosen, in dem er auf das Zeitlose zurückgreift. Oder das, was dafür gehalten wird. Denn auch darüber, was zeitlos ist, macht sich jede Generation ihre eigenen Gedanken. Jede Epoche hat ihre Form, zeitlos sein zu wollen, eine an der man sie erkennen kann: Das tatsächlich Zeitlose gibt es genauso wenig wie die schwebenden Baukörper oder die zurückspringende Fassade. Es wäre besser, es nicht zu bemühen, um sich statt dessen etwas genauer damit zu befassen, was man eigentlich will oder was man unter Qualität versteht.