Im deutschsprachigen Raum kannte man Luigi Blau als einen immer mit überraschenden Thesen auftretenden Intellektuellen im Architekturmetier – in dem Intellektuelle eine Rarität sind. Uns faszinierte das Unkonventionelle an ihm, das sich auch in seinen interventionsartigen Bauten manifestierte. Ein Rückblick auf sein Werk und seine Wirkung ist zugleich ein Rückblick in eine Architekturepoche, die längst vergessen scheint.
Lob der Treppe
Mitten im hinteren Raum einer Kunstgalerie, Schleifmühlgasse 1A, gibt es eine unscheinbare Treppe, die hinunter führt. Sie stammt aus Luigi Blaus Adaptierung von 1999 für eine seiner frühesten und treuesten Bauherrinnen, Christine König. Bei unserer Arbeit an der Neu-Edition seiner Werkmonografie, vor fünf Jahren, hat er mir dieses Stück leider verschwiegen. Er wollte wohl, dass ich selbst einmal draufkomme, wollte mir die eigenständige Entdeckerfreud´ und -lust nicht wegnehmen. So sah ich das erst später, und war wie vom Schlag gerührt: Ein Wunderwerk aus seiner Spätphase, gleich seiner wohl allerletzten Arbeit, dem Grabstein für den Freund Fritz Achleitner, der vielleicht noch komplexer, in größter Einfachheit, die Essenz seines Schaffens in so bedeutungsträchtige Kleinform bündelt.
Die Treppe in der Galerie führt nach unten, – nicht in lichte, transzendente Höhen wie die ominöse Jakobs-Leiter – sondern nach unten, ins Dunkel, in den Speicher, ins innere Fundament, Zwielicht, in die kompakte Lagerung von Kunsterzeugnissen. Die Treppe ist monolithisch glatt, ohne sichtbares Detail, aus warmgetöntem Holz; ihre Wände sind zugleich die oben aus dem Boden ragenden Brüstungen. Man steigt hinunter im schmalen Schacht, geht herum und begegnet der Unterseite, der Rückseite des Dings – und da hat die Stiege sich in einen fein gegliederten Schrank verwandelt, ein Set von Regalböden, wo dicht an dicht in verschiedenen Formaten die Kunst gegensätzlicher Provenienz und Attitüde beieinanderliegt – in Erwartung weiterer Exposituren … wir sind beim Stiegensteigen unbemerkt über die unter unseren Füßen gespeicherte Kunst hinuntergegangen …
Diese Treppe ist nicht bloß ein Gerät, eine Gehhilfe, um von einer Ebene in die andere zu kommen. Sie ist zugleich Behälter, eigentlich ein Etui, ein Haus für kostbare Objekte, das Haus ist aber nicht fix, sondern sogar beweglich wie ein Möbel. Die Treppe ist nämlich so gemacht, dass sie leicht zerlegt und woanders eingesetzt werden kann – das war ein Teil / ein Sinn des Auftrags.
Wir haben ein Ding vor uns, das viel zugleich ist: Treppe, Schrank, Mini-Haus, Möbel, und das diese Aufgaben vollendet erfüllt. Zugleich ist die Sache aus Holz so gefügt, dass keinerlei Detail- oder Verarbeitungsspur sich äußerlich aufdrängt, sodass es uns, mit seiner schlicht-komplexen Dienstbarkeit, im rundum ästhetisch hochsensiblen Kunst-Kontext optisch nicht ablenkt.
Wir benutzen das Ding mit den Augen, mit Hüfte und Leib beim Anlehnen, beim Begehen mit Beinen und Füßen, wir begreifen es mit den Händen, manipulieren in seinem Innenleben. Wie beweglich – konkret und geistig – das Ding tatsächlich ist, kann man spüren, wenn man sich oben an die Brüstungen anlehnt und ganz sachtes Schwingen verspürt, weil sich der vier Meter hohe Einbau im Millimeter-Zentimeterbereich vom Ausschnitt des Betonbodens ringsum freihält. So nebensächlich die Sache erscheint: Genauer bemerkt, erkundet und verstanden, kann das auch mit den besten hier gebotenen „freien“ Kunstwerken in konzeptioneller, in formaler Qualität mithalten.
In der Absurdität heutiger Baunormen, von Versicherungsmaximen und Rechtsregelungs-Wahnwitz oktroyiert, ist das Ding wohl kaum bewilligungsfähig: – noch ein Qualitätspunkt mehr, – kein Makel, eher zusätzliche Auszeichnung.
Lob der Kioske – Schauplatzwechsel
In vielen Nachrufen als Überschrift herausgehoben – ja, Luigi Blau ist durch hunderte kleine Kioske für die öffentlichen Verkehrsmittel samt ergänzendem Zeug im Wiener Stadtbild präsent – ohne dass man das in drei Jahrzehnten besonders bemerkt hätte – was durchaus FÜR diese Dinge spricht ! Es gibt auch größere Kioske, Pavillons, an prominenten, heiklen Stellen – gegenüber der Oper, im Rathauspark. Auch die dienen den banalsten, trivialsten, zugleich elementaren Bedürfnissen – und erfüllen diese sichtlich gut – und langlebig. Warum es so ist, hat Gründe, die wir kurz reflektieren wollen: Die Kioske stehen inmitten der dröhnenden Alltäglichkeit und gefährlichen Rasanz, inmitten der stupiden Blechlawinen und der immer dichter werdenden Signalgewitter – Gebots-Verbots-Ikonen – unseres Straßenraums. Luigi Blau hat seine ephemeren, metropolitanen Schutzorte mit denselben Materialien gemacht, aus denen der rasende Stillstand der motorisierten Geräte gemacht ist – Eisen, Chromnickelstahl, gehärtetes Glas, gebogenes Blech. Von ihm sind diese Stoffe so präzis und ökonomisch gefügt wie nur möglich – sie geben den Autokarosserien, den Tramwaywaggons da in nichts nach – aber : sie halten in der Art ihrer Formgebung entschieden Distanz zu einer naheliegenden, platten Maschinenästhetik.
Die Kioske sind etwas anderes als die Fortsetzung des Fahrzeugdesigns mit denselbem Mitteln, sie geben uns in größter Knappheit eine Alternative, eine Beruhigung, mit subtilem Witz angehaucht; sie sind eine architektonische Geste dafür, dass inspirierendes, komfortables Leben in der Großstadt etwas anderes ist – sein könnte/sein sollte – als stumpfsinnige, lärmende, platzverschwendende Verkehrs- und Profitmaximierung.
Und die großen Pavillons ? Die bei der Oper sind konstruktiv, materiell und im Detail auf derselben Höhe und Delikatesse, wie die steinerne Baukunst der Siccardsburg & Van der Nüll gegenüber – sie sind also im Geiste dem Ort adäquat, ohne sich aber in der Form nun mit dem Ringstraßenstil zu kompromittieren. Ihre trotz aller bürokratischen Auflagen und Zwänge erreichte Leichtigkeit, ihre das Zweckhafte im Ansatz wie im Detail übersteigende Motivik, nimmt Maß – an der feinnervigen Art der Otto-Wagner-Pavillons, oder daran, wie ein Jean Prouve oder ein Gerrit Rietveld oder Kaare Klint sowas gemacht hätte – und sie deutet weiter auf fragile, im Minimalen maximal kultivierte Kioske im Serail oder in Kyoto, und anderswo.
Die Stadt-Möbel von Luigi Blau fallen nicht auf, sie stehen beiläufig zu Diensten, sie sind irgendwie anonym, aber eben nicht affirmatives Industriedesign. Sie erfüllen die Zwecke, und eröffnen der feineren, über Jahre hinweg aus dem Unbewussten auftauchenden Wahrnehmung dann zusätzlich die Anmutung, das Prinzip Hoffnung:
Es gibt ein richtiges Leben im falschen
– und wenn auch nur punktuell, im vorübergehenden Moment. Zeitsprung – wie hat das angefangen?
Dokument vom 24. Jänner 1974: „Herr Ludwig Blau zeichnet sich als sehr intelligenter und gebildeter Mensch aus. Seine visuelle Begabung und Geschmack macht es ihm möglich, mit diesen Voraussetzungen zu einer sehr kultivierten Architektur zu gelangen. Bei all seinen Arbeiten zeigt er auch für die Durchbildung des Details viel Liebe und Verständnis. Aufgrund seiner historischen Bildung kommt er zu einer selten guten Beziehung zur Wiener Tradition in der Architektur…“ Gezeichnet: Prof. Ernst Anton Plischke, Diplomzeugnis der Akademie am Schillerplatz. Mit „Wiener Tradition“ meinte Plischke selbstverständlich jene undogmatische Modernität, die auch sein eigenes Werk auszeichnete.
Alles im Bestand
Luigi war 7 Jahre Meisterschüler bei Plischke. Beim Diplom hatte er schon gut 20 (!!) neben dem Studium ausgeführte, eigene Bauaufträge vorzuweisen – exzellente Wohnungs-Umbauten, Galerie-Umbauten, Möbel und Innenausbauten. Alles Arbeiten im Bestand! Seine Bauherrschaften kamen aus dem früh geformten Freundeskreis in den Szenen von Kunst, Malerei, Literatur, Medien… darunter vor und um 1970 die Namen: Bronner, Klewan, Wögenstein, Moldovan, Demner, Heller, Gadenstätter, König, Merlicek.
Bevor Luigi zu Plischke kam, als Maturant noch, war er geistig/kulturell profund sozalisiert, nicht nur „am Graben aufgewachsen“, sondern durch das ab 1963/64 frequentierte Cafe Hawelka geprägt, „unsere Universität“, wie Freund Heller bezeugte, wo Feuerköpfe wie H.C. Artmann, Konrad Bayer, Fritz Achleitner, und vor allem Kurt Moldovan, Rudolf Schönwald – und Gerhard Rühm – an die ganz Jungen jene kreativ widerständige Haltung weiterreichten, jene Quellen erschlossen, die sie sich selbst nach dem Krieg aus dem Schutt, aus der „tabula rasa“ der NS-Zeit, erst wieder Stück für Stück hatten vergegenwärtigen müssen – und als ihre Leitbilder, Maßstäbe heranzogen.
Welch Geistes Kind der angehende Architekt Blau schon war und noch werden würde, kommt im Diplomentwurf zum Vorschein. Unter dem kühnen Plan einer riesigen Flug-Halle für Vögel, welche die Zoo-BesucherInnen auf Treppen und Stegen räumlich hätten durchwandern können, setzt er die Zeilen: „Dilettantischer Versuch, sich der Natur mit einem technoiden Vehikel – durch die wichtigste Funktion der Architektur, die Lyrik – gleichsam asymptotisch zu nähern…“ 1973! Das Projekt spiegelt die schlackenlose Konstruktivität im Sinn seines Lehrers, – es hat aber schon „un-klassische“ Verschneidungen von Raum und parabolischer Stahl-Glas-Hülle, also Momente von regel- und system-entkräftender Dissonanz, von gestalterischem „Witz“.
Monate später gab es in der Österreichischen Gesellschaft für Architektur eine Schau der kommenden Generation, betitelt „Konfrontationen“, geprägt durch Plischke-Absolventen wie Luigi, Hermann Czech, Alessandro Alvera, Roland Hagmüller, Elsa Prochazka, Franz E. Kneissl, wo ich ihm erstmals persönlich begegnete, als ebenfalls Involvierter.
Unter dem Gezeigten war sein Oeuvre das sichtlich erfolgreichste – für mich, als unbedarften, unwissenden 68-er Rebell bei Missing Link, waren seine Gadenstätter-Galerie und anderes eher „Establishment“ – zu modernistisch schön, zu elegant arriviert – ich habe diese Sachen ja erst später an Ort und Stelle gesehen und dann ganz andere, gerechtere Zugänge dazu gefunden. Der Punkt war aber: Luigi schrieb da zu seinen Katalog-Seiten einen knappen Kommentar, unterm Titel „Kein Manifest“, und brachte in seinen elf Zeilen vorne zwei als Referenz zu Oscar Wilde und am Schluss zwei als Zitat von Charles Ives. Wilde war mir ein Begriff, im dekadenten Sinn, über Ives las ich bloß hinweg. 40 Jahre später, als er mich einlud, für die Neuauflage seiner Monografie das Vorwort zu machen, ging ich diesen frühen Spuren ernsthaft nach und entdeckte nach Tagen und Wochen
1. was Charles Ives für die neue Musik der 20. Jahrhunderts bedeutete,
2. was dieses präzise gewählte Zitat an weitreichenden kritischen Aspekten in sich hatte, und
3. die unerklärliche Frage, woher der Luigi 1973 auf Deutsch etwas zitieren konnte, was höchstens bei den Darmstädter Musiktagen damals oder in raren Schweizer Feuilletons in Europa bekannt wurde.
In Kürze: Er hatte beim verehrten Mentor Plischke aus erster Hand den Anschluss an eine weltoffene, technik-affine aber nicht technik-hörige, an eine fein brauchbare aber nicht – wie Plischke immer mahnte – „utilitaristisch-tumbe“ Auffassung des Gestaltens bekommen, wie sie schon Loos und seine Schüler, besonders dann Oskar Strnad, Josef Frank oder Lülja Praun, wie sie auch Rudofsky und Schindler, Rietveld oder Skandinavier wie Klint, Sigurd Lewerentz u.a. verkörperten. Luigis Leistung bestand darin, dass er vorweg ein geistiges Rüstzeug mitbekommen hatte, das es ermöglichte, die wahrlich humanistischen, pathos-befreiten Maximen Plischkes bewusst, voll aufzunehmen und sie dann doch wesentlich zu erweitern. Blau war mit Tendenzen der anti-institutionellen, anti-positivistischen Avantgarden, der widerständigen „schwarzen“ Modernität (!) verschiedener Kunstszenen von seiner Adoleszenz an vertraut – und er konnte, wie der Diplom-Brief andeutet, diese Bildung, diese gegen alle Vereinfachungen der Bau-Modernismen immun gemachte Haltung als seinen Grundton in das so schwerfällige, so bleiern zweckverhaftete, so vielfältig fremdbestimmte Milieu der Architektur einbringen – in die Nicht-Kunst der Künste einbringen.
Es gab in den 50-60ern noch andere, politisch weit radikalere Mikro- Zellen des Aufbruchs in Wien. Luigi als Benjamin seiner hochpotenten Blase, war kein Revolutionär. In seinem Kreis war man der erfahrungsgestützten Ansicht, politische Aktivismen mündeten eher früher als später in die Dogmatik brachialster / flachster Ideologie – davor hielt man Abstand. Einzelne „öffentliche“ Provokationen waren eher Feuerwerke der lokalen Selbstvergewisserung, der Distinktion sehr individueller Dissonanz gegenüber jeglicher Vereinnahmung. Kompromisslos freies Dandytum war wichtiger als große gesellschaftliche Perspektive. Dazu ein winziges Symptom: Luigi hatte Mitte der 60er die Haare als Pilzkopf, vor der allgemeinen Beatle-Mania. Das war aber bei ihm – fein in Form gehalten – mit einer zarten, eigentlich feminin konnotierten Haarspange überm linken Ohr…!!!
Beim Übersiedeln …unterwegs, und final…
Zum Fazit des Resümierens, zum Eros des Erinnerns als Schöpfung des „eigentlichen Lebens“ – wie Lebens- und Überlebenskünstler Carl Laszlo betonte – noch das: Die angedeute Prägung prädestinierte den Luigi gewiss nicht, als stromlinienförmiger Baulöwe mit Großaufträgen bestellt zu werden, – dafür aber sehr wohl, einige faszinierende Großausstellungen Wiens der 80er Jahre und später zu gestalten: „Wien 1945 – davor /danach“ im 20er-Haus, inspiriert von Georg Eisler, redigiert von Liesbeth Waechter-Böhm mit kulturpolitisch hellwachem Team – für mich eine Offenbarung, lange vor der Waldheim-Zeit – auch als wichtige Fortsetzung der Helene Maimann-Schau zum Roten Wien in der Meidlinger Remise und 1986 der eigentliche Brennpunkt individuell und allgemein in der unruhigen Ära mit der von Werner Hofmann dirigierten Provokation „Zauber der Medusa Europäische Manierismen“ im Künstlerhaus, wo brillant herauskam, dass die inklusive Haltung der concordia discors oder der discordia concors – der „Eintracht in Zwietracht“ – nicht nur das speziell gegen die Stildiktate der Renaissance aufgekommene Heil-Mittel war – sondern seither und weiterhin die probate Gegenstrategie ist – gegen die militanten Ansprüche aller nach puristischer Einheit und Gleichheit strebenden Ideologien und Stilrezepte.
1982 präsentierten sich mit Luigi einige Gleichgesinnte in der Ausstellung „Versuche zur Baukunst“, Künstlerhaus. Er war der Jüngste unter denen, hatte das vielseitigste Oeuvre und schrieb als einzigen Kommentar vorneweg im Katalog: „Zum Übersiedeln bräucht´man halt an viereckigen Nudelwalker“ Karl Valentin.
Aus 1984/85 berichtet Edi Widmann, ein Mitarbeiter im Atelier Alserstraße: „Wir zeichneten akribisch die 1 : 1 Details für das Haus Thurner, auch größere Wettbewerbsprojekte. Ich habe einige Büros damals erlebt, bei ihm war es unvergleichlich. Wir kamen über den Reissbrettern immer zu allem und möglichem in die Debatte – mehr als einmal sprang er auf, lief in die Bibliothek – seinen Wohnturm – hinüber, und kam mit einem aufgeschlagenen Buch zurück, aus dem er uns vorlas – wir amüsierten uns jedesmal köstlich…. Sein Lieblingsautor damals war u.a. Daniil Charms – von dem gerade die ersten Übersetzungen in Deutsch herausgekommen waren.“ Für mich, auch das bloß nachträglich erfahren, das nächste Rätsel – und das nächste Indiz dafür, dass ein Architekt, der im Büro Lawrence Sterne, Charles Ives, Daniil Charms und dergleichen zum Besten gab, für Wohn-Bauträger größerer Dimension oder für offiziöse, monumentale Großprojekte schlichtweg nicht „verdaulich“ sein konnte. Seine unbändige Lust, seine spitzbübisch schlagende Spiel- und Kontra-Lust gegenüber den pragmatischen Konventionen, stand solchen Avancen einfach im Weg. Er hat es mit Nochalance genommen, er hat dafür eben große immaterielle Räume gestaltet, geistige Begegnungsräume, die frei über Raum und Zeit hinauswirken und weiterwirken, in einigen epochalen Großausstellungen und er hat parallel in der kleinen Form privater Aufträge seine elegant-kontroversiellen Statements gesetzt und sie – für mich jedenfalls – als nachhaltiges Vermächtnis gelassen. Jetzt als Antipoden in der von Immobilien-Haien dominierten Bau- und Stadtbau-Wirklichkeit mehr denn je als Weckruf beachtenswert.
Die Form
Luigi liebte, suchte, sammelte Palindrome – Buchstaben-, Wortgebilde, die auch von hinten herum gelesen Sinn machen, die nicht Anfang oder Ende haben und sich so der Linearität formaler Logik entziehen, sie entkräften – und er sammelte auch kleine Artefakte, möglichst aus einem Stoff, die ebenfalls nicht der Einweg-Logik von Anfang & Ende folgen – die eigenartig nach beiden Seiten hin offen sind. Unser Geist lebt im materiellen Körper, der unentrinnbar, Ego und Vernunft tief beleidigend, dem Ende ausgesetzt ist. Doch der Geist kommt aus einer anderen Dimension, er hat ein Echo davon mitgebracht und kann in das wieder hineinreichen – nicht um „ewig“ zu leben, auch das wäre ja bloß Lineares sehr weit ausgedehnt, sondern: um aus der – in den Fallen sprachlicher Schöpfung von Wirklichkeit ihrerseits gefangenen Geistigkeit herauszufinden, in eine andere Dimension – um Freiheit, und endlich – Freiheit von der Freiheit – zu spüren, zu verlebendigen. Das ist die Sehnsucht, der Horizont in jeder Kunst, in Poesie, Tragödie/Komödie, Malerei, – Musik – in der noch am leichtesten. In der Architektur am schwersten. Man hat bei Luigi stets die Eleganz der Arbeit angemerkt, es ist alles schön, komfortabel – aber es hat einfach mehr, und das blitzt an vielen Ecken und Enden im schier Schönen subkutan hervor. In Geist und Sprache, Philosophie und Logik, Physik und Mathematik sind Paradoxien wesentliche Quellen, Wirkweisen der Eleganz. Die Paradoxie, auch komprimiert in Palindrome gefasst, ist die Leiter des Geistes, mir der er über sich hinaussteigt, das Mechanische von Sinn, Logik, Grammatik etc. abstreift und eine schillernde, nicht mehr festzulegende, nicht mehr zerstörbare Leichtigkeit erlangt. Freiheit. Wirkliche Wirklichkeit. In bedeutenden, älteren Kulturen lag die größte, die anspruchvollste Aufgabe im Paradoxen in der Meisterung größtmöglicher Komplexität bei größtmöglicher Beiläufigkeit, in der kleinen Form. Zur Übersiedlung – auch von hier nach dort – gibt Luigi Blau, moderner Meister kleiner Form – neben dem Valentin´schen und anderem – ein Kraus´sches Motto uns als Wegweisung:
„Wenn ein Gedanke in zwei Formen leben kann,
so hat er es nicht so gut
wie zwei Gedanken,
die in einer Form leben.“