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Travemünde – „pay and smile“

Marktgeschrei (1): „Beste Aussichten für Sie und Ihr Kapital“ – der Immobilienmarkt verspricht derzeit exzellente Renditen. Mit welchem Anspruch und in welcher Sprache Architektur und Stadt dort verhandelt werden, verfolgen wir unter dem Titel „Marktgeschrei“ an aktuellen Beispielen.


Auf dem Bauschild des "High End" sind die beiden Neubauten zu sehen, die den einst großzügigen und nur mit einem öffentlichen Schwimmbad bebauten Bereich an der Travemündung verbarrikadieren. (Foto: Wilfried Dechau)

Auf dem Bauschild des „High End“ sind die beiden Neubauten zu sehen, die den einst großzügigen und nur mit einem öffentlichen Schwimmbad bebauten Bereich an der Travemündung verbarrikadieren. (Foto: Wilfried Dechau)


Noch lässt sich die bisherige Qualität am westlichen Traveufer erkennen: links das Maritim-Hochhaus – inzwischen ein Klassiker –, davor der denkmalgeschützte Leuchtturm und ein breiter öffentlicher Bereich. (Foto: Wilfried Dechau)

Travemünde bot unter den Ostseebädern aufgrund seiner einstigen Lage nahe der Grenze zur DDR vor allem erholsame Ruhezonen, Naturschutzgebiet und harmlose Kulissen. Dank des 36-geschossigen, etwa 120 Meter hohen Maritim-Hochhauses, das neben Deutschlands ältestem, 31 Meter hohen Leuchtturm 1970-74 gebaut wurde, blieb Travemünde von flächenfressenden Neubaugebieten für Feriengäste weitgehend verschont. Das Hochhaus kann einem gefallen oder nicht: Mit seinen umgebenden Freiflächen und seiner begrünten Tiefgarage blieb der gesamte Küstenstreifen an der Travemündung großzügig nutzbar. Gelungen ist auch die unspektakuläre Erneuerung der weitläufigen Strandpromenade. Weil Travemünde außerdem am Skandinavienkai über einen bedeutenden Ostseehafen verfügt, reizt der Ort mit seiner alten Stadtstruktur auch durch eine gemischte Wirtschaft. Ja, es kommen Touristen und Feriengäste; am Wochenende und im Sommer tummeln sich beängstigend viele Menschen am Strande und auf der Promenade. Aber die Ballermann-Atmosphäre wie im nahe gelegenen Timmendorf kannte man hier bislang nicht.


Blick auf die Großbaustellen an der Travemündung (Foto: Wilfried Dechau, Mitte März 2017)

Blick auf die Großbaustellen an der Travemündung (Foto: Wilfried Dechau, Mitte März 2017)

Die Travemündung mit nordwestlichem Strand (Maritim und "High End") sowie dem Bootshafen und der "Priwall Waterfront" auf der südöstlichen Seite (Skizze: frei04 publizistik)

Die Travemündung mit nordwestlichem Strand (Maritim und „High End“) sowie dem Bootshafen und der „Priwall Waterfront“ auf der südöstlichen Seite (Skizze: frei04 publizistik)

"Travemünde erfindet sich neu" – auf der Werbeplane ist die Silhouette vom "alten" Travemünde abstrahiert (Foto: Wilfried Dechau)

„Travemünde erfindet sich neu“ – auf der Werbeplane ist die Silhouette vom „alten“ Travemünde abstrahiert – und mitnichten dies des „neuen Travemünde“. (Foto: Wilfried Dechau)

"Beste Aussichten für Ihr Kapital" – und für wen oder was noch? (Foto: Wilfried Dechau)

„Beste Aussichten für Ihr Kapital“ – und für wen oder was noch? (Foto: Wilfried Dechau)

Wer erfindet Travemünde neu?

Das wird nicht so bleiben, denn mit der vollständigen Umgestaltung an der Travemündung sollen die heute jährlich 700.000 Übernachtungen auf über eine Million steigen. Geworben wird mit dem Slogan „Travemünde erfindet sich neu“. Ein Ort kann sich aber nicht neu erfinden, interessant ist vielmehr, wer einen Ort neu erfindet. Man hört, die Hamburger kaufen sich in Travemünde ein. Erst einmal verkaufte die Stadt Lübeck das Gelände zwischen Maritim, Strandpromenade und Leuchtturm an den dänischen Investor Sven Hollesen mit seiner deutsch-dänischen Gesellschaft Planet Home und genehmigte zwei siebengeschossige, breitgelagerte Neubauten mit Blick auf die Travemündung. Ein Architekt ist auf den Plakaten und der Website der Planet Home (www.highend-travemuende.de) nicht genannt.
Planet Home baut auch an der gegenüberliegenden Wasserseite, auf der Halbinsel Priwall, ein zuvor unbebautes und von dem Museumsschiff „Passat“ geprägtes Gebiet – hier entsteht die komplett neue „Priwall Waterfront“ (www.priwall-waterfront.de) – nahe dem Naturschutzgebiet „Südlicher Priwall“ an der Pötenitzer Wiek. Im Bau sind: „Promenadenvillen“, dahinter eine viergeschossige Parkpalette sowie „Dünenvillen“ mit zusammen über 450 Apartements. Hinzu kommt ein Fischrestaurant, Beachclub mit Indoor-Spielen und Adventure Golf, Mikrobrauerei, ein Urlaubs- und Tagungshotel, eine Erlebnispromenade, ein Marktplatz, die Ostseestation, Marina, Landa Green Park und „Sonderbauten“ entlang der neuen Promenade. Für diese Sonderbauten gab es einen Wettbewerb, den Konermann Sigmund gewannen. Das Wirtschaftsministerium Schleswig-Holstein steuert für den Bau der neuen Promenade 6,3 Millionen Euro bei, den Rest übernimmt die Hansestadt Lübeck
. Die Wachstumszenarien werden auch erheblich mehr Autoverkehr mit sich bringen. Der Investor fand übrigens die Idee, für die Olympischen Segelspiele 2024 hier das olympische Dorf zu planen, gut. „Bürgermeister Bernd Saxe hat meine Zustimmung schriftlich erhalten“.


 

Bauschild Priwall Waterfront: „Entdecken Sie die großartigen Rendite“ – vor der Bebauung eine „Eventpromenade“ mit den „Sonderbauten“, dahinter die Parkpalette; „Dünenvillen“ werden hinter nahezu geschlossener Bebauung errichtet (Foto: Wilfried Dechau)

Priwall Waterfront, Stand Mitte März 2017: Auf dem Baufeld zwischen Parkpalette und Marina entstehen die Eventpromenade, die Sonderbauten und die Promenadenvillen. (Foto: Wilfried Dechau)

Priwall Waterfront, Stand Mitte März 2017: Auf dem Baufeld zwischen Parkpalette und Marina entstehen die Eventpromenade, die Sonderbauten und die Promenadenvillen. (Foto: Wilfried Dechau)

 

 

Bauschild zu den beiden Bauten am nordwestlichen Traveufer (Foto: Wilfried Dechau)

Bauschild „High End“ und „a-ja Resort“ am nordwestlichen Traveufer (Foto: Wilfried Dechau)

8 bis 10 Prozent Rendite ­– „pay and smile“

Um solche Renditen versprechen zu können, muss der Klientel schon etwas geboten werden. So sei von der Priwall-Waterfront-Website zitiert: „Moderne, urban geprägte Promenadenvillen oder kuschelige Dünenvillen, die in eine Dünenlandschaft eingebettet sind, prägen das neue Bild des Priwalls. Eine neu angelegte lebendige Promenade mit erlebnisorientierter Gastronomie, modernen Shops, entspanntem Beachclub und Indoor-Spielplatz lassen keine Wünsche offen. Hier entsteht Tourismus für die Zukunft! Seien Sie mit dabei!“
„Pay and smile“: „Die Auslastung der Planet-Häuser und -Wohnungen von ca. 30-40 vermieteten Wochen pro Jahr sind die Grundlage für erwirtschaftete Renditen. Neben der Rendite aus der Vermietung erzielen Planet-Häuser und -Wohnungen ein signifkantes Wertsteigerungspotenzial, da sich die Immobilien nur in bevorzugten touristischen Lagen befinden. Die Lage ist das entscheidende Kriterium. Planet Haus hat beste Erfahrungen mit Standorten an Nord- und Ostsee mit unmittelbarer Nähe zum Wasser und unverbaubarem Seeblick vorzuweisen. Für Urlauber sind das die begehrten und entsprechend gut nachgefragten Feriendomizile. Für die Eigentümer bedeutet dies mehr als ein traumhaftes Panorama, sondern entsprechende Renditemöglichkeiten.“
Was der Architektur fehlt, wird im Sinne eines Lokalkolorits ergänzt: „Ninette Mathiessen, Künstlerin aus Travemünde, hat die Ferienwohnungen in Priwall Waterfront künstlerisch ausgestattet. Maritim, erfrischend und emotional werden die Gäste in ihren Ferienwohnungen von stimmungsvollen Segelmotiven und außergewöhnlichen Fischkreationen begrüßt“. Serviert die Künstlerin selbst? Einen Dialog von Zander und Lachs an Sahnesauerkraut?

Auf den Webseiten der beiden Projekte am nordwestlichen Ufer – der Ferienwohnungsblock „High End“ und des Hotel „a-ja Resort“ – findet man ähnlich lustige Beschreibungen, etwa: „Egal bei welchem Wetter, die in skandinavisch anmutendem Design ausgestatteten Wohnungen bieten Entspannung pur, ob auf dem Balkon oder der Loggia, auf dem Sofa nebst kuschligem Bio-Kamin oder in der Sauna und Dampfbad. (…) Der umlaufende Balkon lädt zum großen Frühstück vor einem langen Strandtag oder zum Candle-light-Dinner unterm Sternenhimmel ein.“
Nun ja, der Ostsee-Wind ist eher mild, wird jedoch das Kerzenlichtlein rasch auspusten und die Frisur der Angehimmelten in Unordnung bringen können. Aber das rührt die Kundschaft wohl nicht, denn auch hier sind die Vermarkter zufrieden: „Zu der Vorverkaufsveranstaltung am 28. 1. 2017 wurden die Bestandskunden der PLANET Gruppe sowie gezielt gelistete Interessenten eingeladen, die im Vorfeld von der Sparkasse zu Lübeck und PLANET betreut und beraten wurden. Die Interessenten reisten aus ganz Deutschland an, die weiteste Anreise erfolgte aus Norwegen. Von den 108 Ferienapartments mit touristischer Bindung waren dann auch am Samstagnachmittag 70 Apartments fest reserviert, viele davon wurden wegen der großen Nachfrage unter Notaraufsicht verlost.“ (Travemünde aktuell, 31. Januar 2017)
Kein Wunder, wenn bei 8 bis 10 Prozent die Rendite-Tombola ein Erfolg wird …


Wer genehmigt das neue Lübeck-Travemünde?

Ja, es gab Proteste, eine Bürgerinitiative konnte den Planungen jedoch nichts entgegensetzen. Unter der geradezu dreisten Adresse www.komm-staunen.de informiert Lübeck seine Bürger. Stolz ist die Hansestadt auf ihren Gestaltungsbeirat. Mails, die ich an dessen Mitglieder Zvonko Turkali und Jörg Springer geschickt habe, blieben leider unbeantwortet. Die Architektur, die an der Travemündung entsteht, gehört in die Liga des Banalen, Ortsuntypischen, das den Immobilienmarkt kennzeichnet. In den Wohnungen des „High End“ stehen die Betten im Abstand von nicht einmal 50 cm zur Wand. Die Grundrisse der rechtwinklig konturierten „Villen“ auf dem Priwall lassen schräg gestellte Wände erkennen, die der Funktionalität höchst abträglich sind. Ein Konzept für eine umweltverträgliche, weitgehend autofreie Mobilität? Fehlanzeige!


An anderen Stellen Travemündes wird ebenfalls abgerissen und neu gebaut. Etwa beim Godewindpark, wo wir auf den bauhistorischen Wert der Kittner-Garage hingewiesen hatten (siehe Seitenspalte). Der charmante Bau aus den 1950er-Jahren wird in eine Wohnanlage integriert, die folgendermaßen wirbt: „Das Leben voll und ganz spüren, bei einem Segeltörn entlang der Küste, beim Golf oder einer Runde Joggen am Strand, immer direkt am Wasser entlang.“ Wie die „Moments“-Bebauung im Detail aussehen wird, zeigt die Website erst ab April 2017 (http://www.moments-travemünde.de).
Auch am Fischereihafen wird ein neues städtebauliches Konzept vorangerieben – Architekten sind Petersen Pörksen.


Gründerquartier Lübeck: Im Schatten von Sankt Marien wird eine kleinteilige Bebauung mit Satteldächern realisiert. (Foto: Wilfried Dechau)

Gründungsviertel in Lübeck: Im Schatten von Sankt Marien wird eine kleinteilige Bebauung mit Satteldächern realisiert. (Foto: Wilfried Dechau)

Alternativen

Travemünde ist Stadtteil der Hansestadt Lübeck, die in ihrer Stadtmitte gerade gegenläufig agiert. Dort wird im Gründungsviertel konservativer Städtebau vorangetrieben, Musterfassaden signalisieren eine kleinstteilige Parzellenstruktur – das Bild von Lübeck wird hier kurioserweise idyllisiert, während im rentablen Stadtteil Travemünde nichts groß genug werden kann. > http://www.gruendungsviertel.de

1711_KM_Luebeck_Fassaden


Zwischen Travemünde und der Lübecker Innenstadt pendelt ein Panoramaschiff. Die Perspektive von diesem Schiff erschließt, dass ehemals industriell genutzte Uferflächen brachliegen, exzellente Industriearchitektur – wie die Ölmühle – umgenutzt werden könnte. Eine moderate Entwicklung ließe sich sehr unterschiedlichen Wohn- und Freizeitbedürfnissen entsprechend gestalten und der Irrsinn des Flächenverbrauchs (Neubau auf grüner Wiese) in vermeintlich „besten Lagen“ unterbinden. Mit Renditen von vielleicht 5 bis 6 Prozent. Das sollte genügen.


Zur Beitragsreihe von Ursula Baus 2013:

– Ökonomie: Was Immobilie und Architektur unterscheidet. ga, 13. 2. 2013.   > mehr
– Ökonomie: Wer die Immobilie zahlt und macht. ga, 27. 2. 2013.   > mehr
– Ökonomie: Wo Architektur keine Immobilie sein darf. 15. 5. 2013   > mehr
– Ökonomie: Brauchen wir mehr Investoren-Architektur?  > mehr