Planer und Architekten setzen sich qua Profession mit der Zukunft auseinander. Mal geht es um die nähere, mal um die entferntere Zukunft, mal um die Sicht aufs Ganze, mal um das, was uns Architekten hinterlassen haben. Und was hat man sich früher von der Zukunft erwartet? Aufrufe, Szenarien, Entwürfe: Drei Buchempfehlungen.
Der zweite Band der Basler politischen Schriften „achtung: die schweiz“ ist „wahrscheinlich einer der auflagenstärksten und meistgelesensten Architekturtexte der Nachkriegszeit überhaupt“ – so Angelus Eisinger und Reto Geiser im Vorwort zum Reprint der drei Bände, die 1955 und 1956 erschienen sind. Verfasst hatten sie Lucius Burckhardt, Max Frisch und Markus Kuttner, vor „achtung: die schweiz“ war „wir selber bauen unsre Stadt“, danach „die neue Stadt“ erschienen. Das Reprint dieser Schriften im Verlag Triest ist nicht nur verdienstvoll, weil sie kaum mehr erhältlich waren und die Wiedergabe im Originalsatz auch die buchgestalterische Leistung würdigt – diese Schriften behandeln vor allem auch Themen, die, so nochmals Eisinger und Geiser, aktueller nicht sein könnten. Dass die Planungsideale heute andere sind als sie es 1955 waren, dass in den Vorschlägen, die schließlich im 3. Band gemacht werden, hinter der Radikalität der Analyse der Planungspraxis und der mentalen Verfasstheit der Schweiz zurückbleiben, ändert nichts an dieser Aktualität. Sie besteht darin, einen offenen gesamtgesellschaftlichen Diskurs über Planung einzufordern, darin, Stadtplanung als einen grundsätzlichen und grundsätzlich politischen Prozess zu verstehen, der der transparenten Abwägung von Alternativen bedarf und in dem die Stimme des Laien nicht als Störfeuer verstanden werden darf. Und die Autoren fordern eine Gesamtkonzeption ein, eine Grundlage für die Planung, die auf der Höhe der Zeit verortet wird, anstatt sich ihr durch Illusionen und Idyllisierung zu verweigern. Auch das ist: aktueller denn je.
Einen Blick in die Zukunft vom gegenwärtigen Standpunkt aus wagen Matthias Böttger, Stefan Carsten und Ludwig Engel. Sie sind Autoren und Herausgeber von „Spekulationen, Transformationen. Überlegungen zur Zukunft von Deutschlands Städten und Regionen“. Das Buch entstand im Rahmen des Forschungsprojekts „Baukulturatlas 2030/2050“ im Rahmen und unter Mitarbeit des BMUB und des BBSR. Es basiert unter anderem auf Workshops und Interviews mit Experten, von denen einige im Buch zu Wort kommen oder eigene Beiträge beisteuerten. Das Buch zeichnet insbesondere aus, dass es sich auf keine formalen Leitbilddiskussionen der Gestaltung einlässt, dass die Frage von Baukultur hier nicht primär als eine des Designs, sondern als eine der lebensweltlichen Strukturen verstanden werden. Macht- und Wohlstandsverteilung, Energiebereitstellung und Produktionsweisen sind als die hierfür maßgeblichen Indikatoren identifiziert. Auf der Basis einer gründlichen qualitativen wie quantitativen und anschaulichen Analyse werden drei Szenarien vorgestellt, die illustrieren, welche Tendenzen sich bereits im Heute ausmachen lassen und was es bedeuten würde, wenn sie sich dominant durchsetzten. Einmal wird das Bild einer stark von großen Konzernen gelenkten, überalterten Exportnation gezeichnet, einmal das eines ökologisch-kommunitaristischen Einwanderungslands, mit gut zugänglichen Bildungschancen und einer stabilen Demokratie, einmal wird skizziert, was es heißen könnte, wenn Energie zur Währung wird. Dies mündet schließlich in ein Panorama möglicher Tranformationen, differenziert in „erneuerbare Energiewelten“, „alternative Wohlstandsmodelle“ und „dezentrale Produktionsweisen“. Der komplexe methodisch und begrifflich variantenreiche Ansatz wie das hohe Abstraktionsniveau machen es mitunter mühevoll, sich im Buch zurecht zu finden, zumal für der Begriffsapparat sich nicht stringent durch die einzelnen Teile zieht und immer wieder neu aufgestellt wird. Wer sich davon nicht schrecken lässt, dem zeigt „Spekulationen, Transformationen“, worauf wir vorbereitet sein sollten.
Einen nochmals ganz anderen Blick in die Zukunft entwickelten Lehrende und Studierende des Instituts für Kunst und Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien. Sie nahmen sich vier Wiener Großprojekte vor, die sie ein Jahr lang gemeinsam analysierten, über die sie diskutierten und für die sie Zukunftsszenarien entwarfen. Im einzelnen standen im Fokus das Allgemeine Krankenhaus Wien (AKH), der Wohnpark Alterlaa, das ORF-Zentrum und die Wirtschaftsuniversität (WU). Zwischen Skandalon und Heimat, Belastung und Ausdruck eines unseren angenehmen Lebensstil erst ermöglichenden Infrastruktur: diese Architektur bewegt sich in einem komplexen Feld, den Großstrukturen lässt sich nicht mit ein paar wenigen Pauschalurteilen gerecht werden.
All die Aspekte, die im Laufe des Jahres aufgegriffen und behandelt wurden, sind in das Buch nach Begriffen alphabetisch geordnet aufgenommen – dies wohl auch, um keine Hierarchie aufzurichten, welche Sicht- und Herangehensweise Priorität haben müsse. Die Analysen und Entwürfe lassen sich nicht immer leicht lesen und erfassen, aber darum geht es auch erst in zweiter Hinsicht. Die um Beiträge von unter anderem Hermann Czech, Harry Glück und Sabine Kraft ergänzte Sammlung ist vielmehr ein anregendes Kompendium, das als eine Bestandsaufnahme dessen gelten kann, über welche Begriffe und mit welchem Vokabular ein Zu- und Umgang mit den Großstrukturen der Moderne gefunden werden kann. Rückbau, Erhaltung, Umnutzung – Monster, Monument, Ruine, Material, Konstruktion, Ästhetik: Die Zukunft der Vergangenheit wird uns herausfordern.