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Fabio Lanz: Das Fallbeil. Roman. Kein & Aber, 2023. 368 Seiten ISBN 978-3-0369-5879-8

Fabio Lanz: Das Fallbeil. Kriminalroman. Kein & Aber, 2023. 368 Seiten
ISBN 978-3-0369-5879-8

Oder wie Fabio Lanz ein Museum in einen Tatort verwandelt: Ferienzeit ist Lesezeit, und Freundinnen der Kriminalromane können einen eigenartigen Zugang zur Architektur entdecken. Ist sie nur Kulisse? Geht es um ein Museum, liegt Kunstraub nahe. Oder mehr? Und welche Rolle spielt Architektur in diesem Genre? Wenn Architekten und Kritiker abgezogen sind? Ein Fallbeispiel von Fabio Lanz.

oben: der Zürichsee in Rapperswil (Bild: Wilfried Dechau)

„Das Haus war hell erleuchtet“, schreibt der Zürcher Fabio Lanz in seinem Kriminalroman „Das Fallbeil“ und fährt fort: „Der große Quader strahlte kristallen. Chipperfield hatte den Neubau in die verlängerte Nordachse des Kunsthauses gesetzt, so dass er den Rhythmus der bestehenden Anlage weitergab. Das neue Haus war auf subtile Weise brillant.“ Es kommt nicht häufig vor, dass die Literatur der zeitgenössischen Architektur eine derart große Bühne bereitet. Oder verhält es sich genau umgekehrt? Das erst der große architektonische Auftritt von David Chipperfields neuem Zürcher Kunsthaus dem Kriminalroman seine Bühne bereitet? In jedem Fall gelingt es Fabio Lanz, in seinem so charmanten wie packenden Roman, Architektur und Literatur zu verweben.

Kritik und Wirklichkeit – eine Mesalliance

Einmal mehr wird dabei deutlich, dass das wahre Leben der Häuser erst beginnt, wenn Architekten und Architekturkritik längst abgezogen sind. Dann nämlich tritt an die Stelle von Baulärm und Hochglanzfotografien die Wirklichkeit. Das Haus muss sich als Ort in der Stadt beweisen, an dem man sich trifft und schaut und lebt. Architektur wird im besten Sinne zum Gebrauchsgegenstand, der sich in der schweren See des Alltags bewähren muss. Beim Kunsthaus gehört auch dazu, dass Lanz den Streit um dessen Sammlung und die „Provenienz gewisser Bilder, die ihm als Leihgaben übergeben worden waren“ zumindest streift: „Das Thema Raubkunst war noch nicht vom Tisch“. Das Museum als Tatort der besonderen Art.
Für Fabio Lanz, dem Pseudonym des langjährigen Leiters des Feuilletons der NZZ, Martin Meyer, bildet der Chipperfield-Bau den Anstoß für einen köstlichen Ritt durch die Kunstszene Zürichs, seine Stadtgesellschaft und allerlei Journalisteneitelkeiten. Hegel und sein Kohlkopf inklusive. Das ist ein fulminantes Vergnügen! Natürlich funktioniert das alles nur so gut, weil Lanz mit Sarah Conti eine Empathie weckende musische Ermittlerin auf die Suche schickt, an deren Alltag und Seele die Leser ebenso teilhaben dürfen, wie an ihrem beruflichen Umfeld. Die Geschichte des geschilderten Mordes liegt angesichts des Romantitels „Das Fallbeil“ und des Ortes auf der Hand beziehungsweise unter der Guillotine. Bei diesem Sujet kann die Kunstgeschichte motivisch aus dem Vollen schöpfen, von Judith und Holofernes bis zu Johannes dem Täufer und Salome: „Die Kunst wimmelt von Blut und Tod. Und das hieß: Die Welt wimmelt von Blut und Tod“, lässt Lanz seine Ermittlerin feststellen.
Kriminalromane zeichnet von jeher ihre klare Struktur vom Mord bis zu seiner Aufklärung aus. Zugleich erweisen sie sich als Spiegel gesellschaftlicher Wirklichkeiten. Das alles funktioniert, weil das Unwahrscheinliche des permanenten Mordens in der Literatur in ein wahrscheinliches Umfeld des Alltäglichen eingebettet wird. Kein Wunder also, dass Kriminalromane eine realistische Szenerie benötigen. Mord braucht Ort: Paris bei George Simenon, Barcelona bei Manuel Vázquez Montalbán, Venedig bei Donna Leon, Edinburgh bei Ian Rankin und so weiter und so weiter. Bei Fabio Lanz spielt Zürich die heimliche Hauptrolle, auch wenn Sarah Contis zweiter Fall auf dem Bürgenstock am Vierwaldstätter See beginnt. Merke: Der Ausflug aus der gewohnten Szenerie ist ebenso wichtig wie die anschließende Rückkehr an den vertrauten Ort.

Fabio Lanz: Ein kaltes Herz. Kriminalroman. 336 Seiten, Kein & Aber, 2023. ISBN 978-3-0369-6155-2

Fabio Lanz: Ein kaltes Herz. Kriminalroman. 336 Seiten, Kein & Aber, 2023.
ISBN 978-3-0369-6155-2

Erzählte Welten

So führt uns Lanz en passant wie einst der Erfinder der Promenadologie, der Basler Lucius Burckhardt, durch seine Stadt und ihre Gesellschaft. Das beschränkt sich nicht auf Chipperfields Kunsthaus und jenen dramaturgisch relevanten Tunnel, der Alt- und Neubau verbindet. Er geleitet uns auch vorbei am Bellevue zum Bahnhof Stadelhofen und natürlich in die unverzichtbare Kronenhalle, die schon beim ersten Fall von Sarah Conti auftaucht. Der Abgleich von erzählter Welt des Autors und erlebter Welt der Leser wird zum Surplus der Geschichte. Die Bezugnahme auf die Regionalität zielt darauf ab, Leserinnen das Besondere an vertrauten Orten zu präsentieren. Jede Stadt habe die Morde, die sie verdiene, hatte Conti ein Vorgesetzter einmal erklärt. Welche Morde also entsprechen bitte Zürich? Für Lanz und Conti und Meyer sind das „Verbrechen mit Kalkül“: „..bösartig geplante und perfide vollstreckte Unternehmungen, die etwas von Transaktionen hatten. Das Geschäftliche, das in Zürich auf Schritt und Tritt zu spüren war, kam auch auf diesem Felde zur Geltung. Dazu gesellte sich die Kunst des Vertuschens. Eine Intelligenz, die damit rechnen wollte, dass man schlauer blieb als die Polizei. Mochte es für die Mörder von Zürich tausend Gründe geben, jemanden kaltzumachen, so bestand der Hergang der Tat nicht selten aus einer Mischung von Verstohlenheit, Heuchelei und Kalkül.“ Für die künftigen Morde, mit denen Fabio Lanz durch seine Stadt und ihre Masken, durch Zürich und seine Morde führen wird, klingt das äußerst vielversprechend.