Unser Verhältnis zur Gartenpflege ändert sich im Laufe der Jahre. Der Natur ist das egal. Oder doch nicht, wenn wir an die armen Insekten denken?
Wenn mein Vater das Gartengrundstück unseres Ferienhauses pflegte, war das jedes Mal ein Leistungsbeweis. Die Wiese wurde wie ein Golfrasen geschoren, das Moos in den Terrassenfugen vergiftet und die Hecke gnadenlos in ein ordentliches Profil gefräst. Danach zündete er sich eine Zigarette an und sah, dass es gut war. Als meine Frau und ich das Haus übernommen haben, wollten wir Frieden schließen und Wiedergutmachung leisten. Wir pflanzten Birken, ließen Efeu über die Hauswände klettern und die Beete verkrauten, die Wiese mähten wir achtsam mit der Sense. So stellten sich Öko-Berliner in den 1970er-Jahren die Rückkehr zur Natur vor.
Rückkehr zur Natur
Heute wohnen wir auf dem Land. Da ist immer Natur – oder das, was wir dafür halten. Man staunt, wie robust sie ist, dass nach dem Winter aus den toten Knorzen tatsächlich wieder zarte Blättchen sprießen. Erst geht es viel zu langsam, so dass man an Ostern noch unter kahlen Baumkronen sitzt, dem Frühjahrsmarketing zum Trotz. Dann kann man beobachten, wie sich das grüne Geschling entwickelt, an Spalieren und Mauern zur Sonne strebt, bloß nicht in die Richtung wachsen mag, die man ihm ausgesucht hat. Bei manchen Pflanzen lässt sich fast zusehen, wie sie jeden Tag größer werden, andere verweigern sich, leiden unter ihren Schattenplätzen oder quälen sich mit ungeliebten Nachbarn, zum Beispiel mit dem Nussbaum und seinen Gerbstoffen. Man beobachtet die Botanik mit Ungeduld wie Kinder bei den Hausaufgaben. Und dann kehrt man aus dem Urlaub zurück und sieht, dass die Weinrebe den Dachfirst erreicht hat. Teufel, dieses Gestrüpp ist unverwüstlich, soll ja bis zu 30 Metern lang werden!
Wo Lücken sind, wird nachgepflanzt, braune Krume mag man keine sehen. Auch Blütenfarben werden diskutiert. Manche Blumen gelten als spießig, dafür können sie gar nichts. Eigentlich wächst nicht viel in unserem kleinen Hof. Aber man lebt mit jedem Stock und Strauch, wünschte sich nur, dass alles etwas architektonischer gedeihen möge, Flächen bedecken, Räume bilden, Kanten markieren. Und dennoch ungeniert wuchern. In so einer Art Jugendstil. Das mag einer Berufskrankheit geschuldet sein.
Jetzt müssen wir aber erst mal durch den Herbst. Bevor sich die Blätter färben, werden sie stumpf und hart wie Pergament, man entdeckt auf einmal dürre Äste und fahle Sprieße, die ihr Ziel nicht erreicht haben. Der Nachbar läutet die Saison mit dem Laubpuster ein. So kündigt sich die große Pause an, es wird lange nichts mehr wachsen, vielleicht kommt einiges gar nicht durch den Frost. Gottlob gibt’s bald Kaminholz zu hacken. Die Natur verlässt uns nicht.