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Punitzer, Roxy?


Martin wer bitte? Martin Punitzer? Nie gehört! Im bauhausfixierten Kanon der modernen Architektur fand der 1927-29 in Berlin gebaute Roxy-Palast des jüdischen Architekten Martin Punitzer (1889-1949) bisher keinen Platz. Vielmehr sind Gebäude und Architekt nahezu unbekannt. Solche Lücken in der kanonisierten Baugeschichte werfen Fragen zu einer geisteswissenschaftlichen Disziplin auf, die ihrer Bedeutung im akademischen Betrieb nicht gerecht zu werden scheint.


Aus dem besprochenen Band

Aus dem besprochenen Band

Wolfgang Schäche, Brigitte Jacob, David Pessier: Das Meisterwerk. Der Architekt Martin Punitzer und der Roxy-Palast. 21 × 29,7 cm, 128 Seiten, 130 Abbildungen. Berlin, Jovis 2020,42 €. ISBN 978-3-86859-647-2

Wolfgang Schäche, Brigitte Jacob, David Pessier: Das Meisterwerk.
Der Architekt Martin Punitzer und der Roxy-Palast. 21 × 29,7 cm,
128 Seiten, 130 Abbildungen. Berlin, Jovis 2020,42 €.
ISBN 978-3-86859-647-2

Mit seiner dunkelroten Fassade und den schier endlos langgezogenen Fensterbändern gehört der Roxy-Palast in der Friedenauer Hauptstraße zu den wichtigen Beispielen jener Berliner Moderne, die sich noch nie auf weiße Bauhaus-Kuben reduzieren ließ. Mit einer feinen Kombination aus Werkschau, Biographie und Gebäudemonographie entreißen die Autoren um Wolfgang Schäche, den Doyen der Berliner Architekturgeschichte, Punitzer endlich dem Vergessen. Bebildert ist das Buch nicht zuletzt aus den Beständen des Architekturmuseums der TU-Berlin, das den > Nachlass Punitzers verwahrt.

 

Punitzer wuchs in einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Berlin-Moabit auf. Nach dem Besuch der Baugewerkschule in Stettin und der Technischen Hochschule in Berlin arbeitete er im Büro des (heute nicht weniger zu Unrecht vergessenen) Architekten Moritz Ernst Lesser. Zu Beginn der 1920er Jahre machte sich Punitzer selbständig und profilierte sich zunächst mit Umbauten. Immer stärker rückte die Großstadtarchitektur einer moderaten Moderne in seinen Fokus. Das gilt für sein Geschäftshaus (1927) in der Charlottenburger Bismarckstraße, den Roxy-Palast sowie für mehrere (neu-) sachliche Wohnhäuser und Villen. Seine Fabrikbauten für Robert Abrahamsohn in Lankwitz (1928/30) und Herbert Lindner in Wittenau (ab 1932) sind durch eine schwungvoll dynamische Architektursprache gekennzeichnet.

Martin Punitzer (Bild: Gedenktafel in Friedenau)

Martin Punitzer (1889-1949) (Bild: Gedenktafel in Friedenau)

Als Jude wurde Punitzer nach 1933 faktisch mit einem Berufsverbot belegt, da er nicht in die „Reichskulturkammer“ aufgenommen wurde. Die Fertigstellung der Lindner-Fabrik übernahm daher sein Bauleiter Hans Simon. Simon, der nach 1945 etliche zauberhafte Projekte in Berlin verwirklichte, gehört ebenfalls zu Berlins vergessenen Architekten der Moderne (siehe dazu > Baunetz, 2013). Zur Jahreswende 1938/39 verließen Punitzer und seine Ehefrau Berlin. In Santiago de Chile entstanden noch einige Entwürfe aus seiner Hand, doch konnte er dort keine Bauten mehr verwirklichen, ehe er 1949 einem Herzinfarkt erlag.

Es ist das große Verdienst der Autoren, Licht in Werk und Biographie Punitzers gebracht zu haben und seine architektonische Haltung zu charakterisieren: „Da ist zum einen der klare, scharfe und wache Blick auf die Notwendigkeiten und Bedürfnisse, die gegebenen baulichen Bedingungen und Umstände, auf das Vorhandene und seine Entfaltungsmöglichkeiten. Und es ist zum anderen seine ausgesprochen entspannte und unangestrengte Art, mit Material und Oberfläche umzugehen, die der Betrachter als eine bereichernde Differenzierung des architektonischen Gestaltungsrepertoires erlebt.“ Mit der Publikation zu Punitzer wird zudem deutlich, wie viele Lücken es bei der Erforschung der Berliner Architektur und ganz besonders ihrer jüdischen Vertreter noch immer zu füllen gilt. Städte wie Hamburg sind da dank der Arbeit der dortigen Architektenkammer und ihres Architekturarchives wesentlich weiter. Nachdem sich die Nebelschwaden des Bauhausjubiläums verzogen haben, ist es an der Zeit, den Kanon der architektonischen Moderne endlich einer grundsätzlichen kritischen Revision zu unterziehen und die unterschiedlichen Strömungen des Neuen Bauens in ihrer Vielgestaltigkeit zu würdigen. Dann finden auch Architekten wie Martin Punitzer dort jenen Platz, der ihnen unbedingt zusteht.

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