Stilkritik (61) | Die Nachricht, dass am Bauhaus in Dessau aus Furcht vor rechter Randale der Auftritt einer linken Punk-Band verhindert wird, sorgt in der deutschen Kulturdebatte, gelinde gesagt, für schwere Irritationen. Als die entsprechenden Pressemitteilungen auf seinen Tisch flatterten, meinte auch unser Autor Wolfgang Kil erst einmal, seinen Augen nicht trauen zu dürfen…
„Das Bauhaus war immer ein Ort der Grenzüberschreitung, ein Fest des Denkens, des Versuchens, der Künste. Wenn die Freiheit der Kunst, des Wortes und der Musik unter der Vorhaltung des politischen Extremismus beschnitten wird, […] ist man natürlich versucht, Zensur oder zumindest Hosenscheißerei zu wittern.“ *)
Zur Sache
Ein Obdachloser, eine Oma vor abgefackeltem Mietshaus, ein Flüchtling in seiner Container-Bleibe – die alle vor laufender Kamera beschreiben, was ihnen ein „Zuhause“ bedeutet. Oder ein Vater, der seinen schmächtigen Sohn am liebsten zum Seemann erziehen möchte und dann trostlos das Sterben des Jungen in der Krebsklinik begleiten muss. Schließlich: Zugriff einer SEK-Truppe auf einen von Helfern versteckten Flüchtling bis hin zur Abschiebung am Airport, gesehen aus der Perspektive eines beteiligten Polizisten, der nach dem Einsatz, privat ein sympathischer Langhaar-Schluffi, an seinem Job sichtlich zu (ver)zweifeln beginnt. Wer hätte solche Szenen auf Musikvideos vermutet? Ich habe sie auch erst vor wenigen Tagen entdeckt. Produziert und via Youtube ins Netz gestellt von der Band „Feine Sahne Fischfilet“. Ja, von jener Punkband, deren Name seit der Chemnitzer Großdemo „Wir sind mehr“ vom 3. September 2018 immer öfter in den Medien auftaucht. Und die nun im Dessauer Bauhaus nicht auftreten darf.
Politics matter
Zur Erinnerung: Das Konzert der Mecklenburger Punker, das vom ZDF Anfang November auf der historischen Bauhaus-Bühne live aufgezeichnet werden sollte (und nach wenigen Minuten im Netz ausverkauft war), hatte die Stiftung Bauhaus Dessau unter Berufung auf ihr Hausrecht abgesagt. Eine erste Pressemitteilung verwies sorgenvoll auf eine „Mobilisierung rechter Kräfte in sozialen Medien“. Zudem wolle die Stiftung generell politisch extremen Positionen – „ob von rechts, links oder anderen“ – keine Plattform bieten, „da diese die demokratische Gesellschaft […] spalten und damit gefährden“. Zur Untermauerung der Entscheidung gab es noch ein Zitat aus frühen Weimarer Tagen (Januar 1920), als ein in Bedrängnissen taktierender Direktor Gropius versicherte, „die Leitung und der Meisterrat [hätten] schon mehrfach mit der Erklärung Stellung genommen, daß jede politische Tätigkeit im Bauhaus von jeher untersagt war“.
Wer auch nur den geringsten Schimmer von der Geschichte der legendären Schule besitzt, wer mal vom Arbeitsrat der Kunst gehört hat, an Feiningers Manifest-Grafik „Kathedrale des Sozialismus“ denkt oder gespannt auf neue Forschungsfunde zum Schicksal des zweiten Direktors Hannes Meyer und seiner „roten Bauhaus-Brigade“ wartet, der kann sich angesichts solcher Ansagen nur die Augen reiben: In den wilden Jahren der Weimarer Republik und der Weltwirtschaftskrise sollen diese tolldreisten, radikalen Weltverbesserer nichts als apolitische Traumtänzer gewesen sein? Und als solchen sei ihrer heute zu gedenken?
Offenbar kalt erwischt vom spontanen Entrüstungssturm legte die Stiftung tags darauf sogar noch einmal nach: Ihr sei vor allem daran gelegen, „keine erneuten medialen Bilder einer gespaltenen zerrissenen Gesellschaft zu ermöglichen. Dies steht auch im Kontext jener polarisierten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die in den vergangenen Monaten das Bild Ostdeutschlands geprägt haben.“ Du lieber Himmel! Bloß keine neuen Bilder von den Hässlichkeiten des Alltags! Wenn so der Wirklichkeitsbegriff der heutigen Bauhaus-Erbeverwalter beschaffen ist, wozu dann deren Summer-Schools für Nachwuchs-Planer oder Wanderausstellungen und großartige Symposien über Wesen und Wirkung der Moderne in globalen Zusammenhängen?
Und was sollen uns dann die „Bauhaus-Agenten“! Mit Blick auf das kommende Jubiläumsjahr wurden extra Animateure trainiert, die in ausgewählte Schulklassen gehen und dort Kenntnis und Enthusiasmus für die Beschäftigung mit dem Bauhaus und seiner Ideenwelt wecken sollen. Wissen die eigentlich, welcher Jugend sie da begegnen? Musikvideos von „Feine Sahne Fischfilet“ haben laut Youtube-Statistik jeweils anderthalb bis zwei Millionen Aufrufe. Damit zählen sie zum Kernbestand heutiger Jugendkultur. Und die den Videos angehängten Fan-Eintragungen enthüllen ein – naja, sehr junges – Publikum, dem nichts ferner liegt als Hass oder kalte Aggression. Da wird gehofft, gesehnt, auch mal verzweifelt und, klar, dem System nicht allzu sehr getraut. Vermutlich genau so, wie die Eleven einst nach Weimar oder Dessau kamen, um sich am Bauhaus einzuschreiben.
Ein deutscher Herbst
Wo immer also die Bauhaus-Agenten an den Schulen auftauchen, sollten sie wissen – „Feine Sahne Fischfilet“ waren schon da. Und wenn man mich fragt: Besser, die Jungs aus Mecklenburg waren da, als jene anderen Zu-Wort-Melder, die in Internet-Foren vornehmlich Gehässigkeit absondern, diesen bösartigen Grundton aus den Schattenlagen der Gesellschaft. Der schon damals das Bauhaus gejagt und schließlich zur Strecke gebracht hatte: „Herrlich wie sie kläffen, die Linksradikalen. Wenn es ihnen hier nicht gefällt, sollten sie in eine rote Diktatur auswandern!“ Sich mit solcherart Netz-„Diskursen“ offensiv auseinanderzusetzen, stünde der Stiftung mindestens genauso an wie gegen ein vors Haus geschmiertes Hakenkreuz zu klagen. So sieht er nämlich aus, der Herbst in Deutschland 2018. Und wenn alles, was da in Dessau an Häusern und Objekten und Schriften und Memorabilien jeglicher Art vorhanden ist, was da sortiert, inventarisiert und aufwändig gepflegt wird, um es demnächst in einem neuen Museum an kommende Generationen weiterzureichen – wenn man das Ganze nicht als Nachlass oder „Erbe“, sondern als lebendiges Vermächtnis betrachten würde, dann wäre doch eines klar: Als politikfreier Raum ist das Bauhaus schlicht nicht zu denken. Selbst ein massiv abwiegelnder Mies van der Rohe hat als letzter Direktor die Schule gegen den Druck der politischen Verhältnisse nicht abschirmen können. Und auch in späten DDR-Jahren war gerade die Bauhaus-Bühne ein beherzter Tummelplatz für den künstlerischen Underground, bis dessen eskalierende Radikalität ein allerletztes Mal die Kulturwächter auf den Plan rief.
Bauhaus – degradiert zur „Marke“
Heute nun moniert die Stiftung, „dass das Bauhaus mehr und mehr zur Projektionsfläche rechtspopulistischer Aktionen wird. In den sozialen Netzwerken wird das Bauhaus zunehmend instrumentalisiert.“ Kurz gesagt: Man möchte Nazi-Randale rund ums Weltkulturerbe vermeiden. Nach Auskunft der Hannoverschen Allgemeinen gibt es in Magdeburgs Staatskanzlei und Kulturministerium Befürchtungen, „dass die Marke Bauhaus beschädigt werden könnte.“ Das Bauhaus als „Marke“? Da wird dann aber doch die Frage unausweichlich: Welches Weltkulturerbe soll hier eigentlich verteidigt werden? Eine Ansammlung ästhetischer Hochglanzprodukte, hübsch angerichtet in einer gleißenden Architekturvitrine? Oder nicht doch die visionäre Idee von einer besseren Welt, die auch jenseits ihrer gefeierten Vorgeschichte sich ständig neu am realen Leben abarbeitet, ganz besonders in ungewissen Zeiten wie heute, und auf alle möglichen Zukünfte hin?
Nach dieser skandalösen Abwehrschlacht gegen die „Zumutungen“ unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit kann man der Stiftung Bauhaus Dessau nur einen möglichst geräuscharmen Umzug ins neue Museum wünschen. Da gehört sie dann nämlich auch hin.
*) Thomas Martin, vorm. Chefdramaturg der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, in einem Brief an den Autor
Youtube Videos von „Feine Sahne Fischfilet“:
https://www.youtube.com/watch?v=QmHTcxY0S8Y
https://www.youtube.com/watch?v=2gFV-YVhJjg
https://www.youtube.com/watch?v=qa74_WvLX1E
https://www.youtube.com/watch?v=g8yR2ZA9OIs
Nikolaus Bernau: Feine Sahne Fischfilet. Kultursenator Lederer bietet Auftritt in Berlin an. In: Berliner Zeitung, 21. 10. 2018:
https://www.berliner-zeitung.de/kultur/musik/-feine-sahne-fischfilet–kultursenator-klaus-lederer-bietet-auftritt-in-berlin-an-31471160
Hannoversche Allgemeine vom 18. 10. 2018:
http://www.haz.de/Nachrichten/Kultur/Uebersicht/Bauhaus-Dessau-verlangt-Absage-von-Feine-Sahne-Fischfilet-Konzert
Der Autor ist einer der Erstunterzeichner einer Petition, die das einfordert, was groß am Bauhaus plakatiert wurde: Das Bauhaus als eine Haltung zu verstehen. >>>