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Eiermanns Erbe

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Stück um Stück muss Egon Eiermanns Gebäudensemble am Berliner Breitscheidplatz saniert werden. Verbunden mit schadensbedingter Materialforschung zeichnet sich ab, dass Eiermanns Art des Fügens von Bauteilen das Ende einer bautechnischen Epoche kennzeichnet. Die Digitalisierung seines Nachlasses lässt auf neue Erkenntnisse hoffen.


Blick vom Kapellenumgang aus die Ruine des alten Kirchturms (Bild: Ursula Baus)

Blick vom Kapellenumgang aus die Ruine des alten Kirchturms (Bild: Ursula Baus)

Bedeutung und Gedächtnis

Aleida Assmann formulierte es in ihrer Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2018 in der Paulskirche so: „Die Nation ist kein heiliger Gral, der vor Befleckung und Entweihung – Stichwort ‚Vogelschiss‘ – zu retten ist, sondern ein Verbund von Menschen, die sich auch an beschämende Episoden ihrer Geschichte erinnern und Verantwortung übernehmen für die ungeheuren Verbrechen, die in ihrem Namen begangen wurden. Hier ist ein wichtiger Unterschied zu beachten: beschämend ist allein diese Geschichte, nicht aber die befreiende Erinnerung an sie, die wir mit den Opfern teilen. Deshalb entsteht Identität nicht durch Leugnen, Ignorieren oder Vergessen, sondern braucht ein Erinnern, das Zurechnungsfähigkeit und Verantwortung ermöglicht und einen Wandel der Werte und des nationalen Selbstbildes stützt (…).“(1)

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Genauer kann man kaum erklären, warum das Ensemble der Gedächtniskirche am Berliner Breitscheidplatz zu einem der bedeutungsvollsten Orte der Nachkriegsepoche reift. Im Land der Kriegsverursacher, in der von den Siegermächten geteilten Stadt, erinnert es daran, dass nach Alternativen zu einem totalitären politischen System gesucht wurde. Dieser Wert der Gedächtniskirche ist unumstritten – zudem ihr „Schöpfer“ Egon Eiermann als Architekt des Abgeordnetenhauses in Bonn, der international gefeierten deutschen Pavillons auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel (mit Sep Ruf, der den von der Wüstenrot Stiftung sanierten Kanzlerbungalow baute) und des Kanzleigebäudes der Deutschen Botschaft in Washington eine prägende Gestalt war.

Aber bemerkenswert ist doch, wie sich die Prioritäten im Selbstverständnis der Hauptstadtplanung in den letzten Jahren verändert haben. Das von Eiermann mit der Gedächtniskirche zunächst nicht beabsichtigte, aber letztlich charmante, einzigartige, weil historisch verortete Zusammenspiel von Alt und Neu erweist sich als Zeitbrücke, als vielschichtig lesbarer, unaufdringlicher Erinnerungsort. Dem steht derzeit ein selbstgefälliger Rekonstruktionsfuror gegenüber, der nicht auf Kontinuität, sondern auf selektivem Geschichtsverständnis fußt. Rückblickend möchte man angesichts dessen auch immer wieder Gottfried Böhm, Karljosef Schattner oder Hans Döllgast in Erinnerung bringen.

Neue Hochhaus-Eitelkeiten am Breitscheidplatz: links das knapp 120 m hohe "Upper West" von Christoph Langhof mit Hotel- und Büroetagen, rechts der gleichhohe "Zoofenster"-Turm von Christoph Mäckler für das Hotel Waldorf-Astoria (Bild: Ursula Baus)

Neue Hochhaus-Eitelkeiten am Breitscheidplatz: links das knapp 120 m hohe „Upper West“ von Christoph Langhof mit Hotel- und Büroetagen, rechts der gleichhohe „Zoofenster“-Turm von Christoph Mäckler für das Hotel Waldorf-Astoria (Bild: Ursula Baus)

Das Herz des Westens

Auch rund um die Gedächtniskirche verändert sich die Stadt rasant. Am Breitscheidplatz deuten zwei neue Hochhäuser darauf, dass man hier, wo das Herz des Westens schlägt, Solvenz und Wohlstand wieder unbeschwert zeigen kann und will. Daneben ist mit der Sanierung des > Bikini-Hauses die Ästhetik der 1950er Jahre nicht gerade auf Hochglanz poliert, aber doch ansehnlich geadelt worden. Zugleich irritiert aber doch, dass das Ensemble der Gedächtniskirche in seinem nicht kommerzialisierbaren Zustand erstaunlich lang vor sich hin dümpelte. Banale Kioske und Trödelverkaufsbuden verschlimmern den Charakter der Vernachlässigung – auch wenn mit 1,4 Millionen Besuchern im Jahr die Eiermann-Kirche die meistbesuchte in Berlin ist. Alte Abbildungen belegen, welche Rolle die konsistente Gestaltung des Außenraumes spielte – siehe das Schwarzfoto weiter unten.

Blick vom Umgang der Kapelle zur Turmruine (Bild: Ursula Baus)

Blick vom Garten-Umgang der Kapelle zur Turmruine; Holz, Stahl, Beton und Glas sind in der Umfassungswand meisterhaft gefügt. (Bild: Ursula Baus)

Während nun im alten, einstigen Berliner Machtzentrum viel Geld in die Rekonstruktionen von Schloss und Bauakademie fließt – der Kulturausschuss des Bundestages (Besetzung > hier) lenkte 200 Mio ins Schloss und 60 Mio in den Wiederaufbau der Bauakademie –, wurde der Erhalt der Gedächtnis-Kirche trotz ihrer internationalen Wahrzeichenhaftigkeit unzureichend unterstützt. Auch wenn es inzwischen einen vom Kulturrat mitberufenen Beirat gibt. Das Land Berlin hatte den Bau der Kirche aufgrund ihrer internationalen Bedeutung immerhin noch zur Hälfte übernommen, die Kapelle und Foyer hatte überwiegend der Bund finanziert. Jetzt, beim Erhalt des Ganzen, sieht es anders aus. Es ist der Wüstenrot Stiftung, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, der Eiermann-Gesellschaft, der Pfarrei und anderen Initiativen zu danken, dass ein exzellenter Anfang mit bislang etwa 3,8 Mio Euro gelungen ist.

Die Kapelle wurde 2015-17 saniert. Sie kann auch profan genutzt werden. (Bild: Wüstenrot Stiftung, Thomas Wolf)

Die Kapelle wurde 2015-17 saniert. Sie kann auch profan genutzt werden. (Bild: Wüstenrot Stiftung, Thomas Wolf)

Fügen statt Bauschaum

Egon Eiermann bedachte beim Konstruieren einen möglichen Abbruch stets mit (2) – und erweist sich rückblickend als weitsichtig beim Thema Recyclen. 1957 hatte er den Architekturwettbewerb in zweiter Runde gewonnen, 1959-63 einen geänderten Entwurf gebaut. Wenig mit Architekturgeschichte im Sinn, hatte er zunächst die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, die Franz Schwechten 1890-95 in neoromanischem Stile gebaut hatte, genauer gesagt: die Ruine derselben nicht erhalten wollen; er musste sich aber den Wünschen aus unterschiedlichen Kreisen beugen, die an deren Erhalt festhielten. Schließlich entstand ein Ensemble aus einer Turmruine, einem separaten Glockenturm über sechseckigem und einer Kirche über achteckigem Grundriss, einer Kapelle und einem „Foyer“.

Die Aufnahme aus den frühen 60er Jahren offenbart den räumlichen Sinn des "Podiums", mit dem die verschiedenen Baukörper zusammengefasst und im Straßenraum verankert waren. (Bild: gedaechtniskirche-berlin.de)

Die Aufnahme aus den frühen 60er Jahren offenbart den räumlichen Sinn des „Podiums“, mit dem die verschiedenen Baukörper zusammengefasst und im Straßenraum verankert waren. (Bild: gedaechtniskirche-berlin.de)

Kleinere Reparaturen und funktionale Änderungen gab es mehrfach. Bereits 2017 konnte die Sanierung der Kapelle abgeschlossen werden, die von einem zauberhaften, schmalen Gartenstreifen umgeben ist. Derzeit wird das „Podium“ erneuert. Von Beginn an hatte Eiermann dieses Plateau vorgesehen, das mit runden Betontalern und roten und schwarzen Tonzylindern jenen Böden verwandt war, die in den Innenräumen mit Keramik verlegt wurden. Bei einer Reparatur 1981 waren die runden Tonteile des Podiums durch Pflastersteine ersetzt worden. Heute sieht man, wie banal dieses ubiquitäre Ausbesserungsmaterial wirkt.

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Baustelle: Nicht etwa ein Algorithmus, sondern das Ermessen und die Vorliebe der Ausführenden entscheiden über die Anordnung der „Betontaler“ und Tonzylinder. (Bild: Ursula Baus)

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Deutscher Standard für den Außenraum: Zum Glück waren keine Knochensteine eingebaut worden; die Pflastersteine entsprechen allerdings auch nicht annähernd dem, was ursprünglich Innen- und Außenraum zusammenführte und vom Straßenraum unterschied. (Bild: Ursula Baus)

Derzeit wird der ursprüngliche Zustand des Außenbereichs wiederhergestellt, und erste Teilstücke lassen ins Auge springen, wie wichtig die Gestaltung dieser Flächen für die heitere, ansprechende und Schwellenängste ausschließende Zugänglichkeit des ganzen Bereichs geworden ist.
Die Einrüstung des fast 60-jährigen Glockenturms weist nicht auf eine aktuelle Sanierung. Eiermanns ausgeklügeltes Tragsystem aus Stahlskelett und Betonwaben unterschiedlicher Machart und Dickglasfüllung litt unter Witterung und Verkehrsbelastungen. Kleinteile drohen gerade aus dem oberen Glockenbereich abzufallen, so dass das Gerüst schützende Funktion erfüllt.

Bei der Sanierung erweist sich Eiermanns Architektur als vergleichsweise harmlos: Weil die Bauteile alle gefügt und konstruktiv ordentlich durchdacht und nicht verklebt und an ungenauen Stellen ausgeschäumt sind, lassen sie sich vergleichsweise gut austauschen.

Die komplexe, funktional gut durchdachte Geometrie für die Turmfassade darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Oberflächen des Betons das eigentliche bautechnische Problem sind. (Bild: Wüstenrot Stiftung)

Die komplexe, funktional gut durchdachte Geometrie für die Turmfassade darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Oberflächen des Betons das eigentliche bautechnische Problem sind. (Bild: Wüstenrot Stiftung)

Drahtbewehrung der Dickglasscheiben (Bild: Steffen Obermann)

Drahtbewehrung der Dickglasscheiben (Bild: Steffen Obermann)

Es fehlt jetzt: Geld für die Turmsanierung. Bund, Land und die Stadt Berlin sind gefordert, ein ähnliches finanzielles Engagement wie beim Hohenzollernschloss und der Bauakademie zu zeigen. Zudem dürfen gerade Architekten, die im Kontext der Bauakademie von den Segnungen guten Bauens schwärmen, begreifen, dass der Erhalt des Ensembles am Breitscheidplatz wichtiger ist als die Rekonstruktion respektive der Neubau einer Bauakademie.

Die „City-Kirche“

Für das gesamte Ensemble am Breitscheidplatz entwickelte die Pfarrei beziehungsweise Pfarrer Martin Germer nun ein Konzept.(3) Grundsätzlich ist dies zu begrüßen, weil eine Sanierungsplanung ohne ein Gesamtkonzept schwierig ist. Nicht ganz nachvollziehbar ist, warum die Ausstellung in der Kirchenruine – 1986 anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins unter anderem mit Senatsmitteln, aber ohne fachliche Expertisen eingerichtet – jetzt zweigeschossig werden soll, denn damit sind erhebliche, substanzielle Eingriffe verbunden. Bleibt zu klären, was in den nahezu fensterlosen, aber in der Holzeinrichtung sehr gut erhaltenen Räumen des Foyers passiert. Beichte bei Kaffee und Kuchen? Eine kleine, thematisch eingegrenzte Ausstellung könnte hier ihren Ort finden. Wenn es daneben um Orte der Seelsorge, des Austauschs, der Information geht, wären schließlich auch Räume im Bikini-Haus sinnvoll, weil die fußläufige Verbindung der verkehrsumtosten Gedächtniskirche in diverse Richtungen gestärkt werden müsste – alles Themen, die in Workshops und oder Tagungen sorgsam diskutiert werden könnten. Nicht zuletzt wirkt der Terroranschlag auf den hier aufgebauten Weihnachtsmarkt am 12. Dezember 2016 im öffentlichen Gedenken nach.

(Bild: Ursula Baus)

(Bild: Ursula Baus)

Eiermann digital

In diesem Kontext sei ein Projekt des saai am KIT in Karlsruhe erwähnt: die Digitalisierung des Nachlasses von Egon Eiermann. Seine Bedeutung für die Architekturentwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann kaum hoch genug bewertet werden. Er war 1947-70 Professor in Karlsruhe, und kaum ein Student, der sich später nicht als „Eiermann-Schüler“ brüstete. Als viel beschäftigter Architekt trug Eiermann zum Renommee der Bundesrepublik als baukulturell offenes Land bei. Und nicht zuletzt als Jurymitglied – er war Vorsitzender beim Olympiapark-Wettbewerb 1967 in München – nahm er vielfältigen Einfluss.

Die Digitalisierung seines Nachlasses bietet per se die Chance, neue Erkenntnismethoden zu konzipieren, die dem Gedächtnisverlust an der Schwelle vom Analogen zum Digitalen entgegenwirken.


(1) Aleida und Jan Assmann: Dankensrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, Frankfurt, 14. Oktober 2018
(2) Bettina Vaupel: Taler und Wabe. Egon Eiermann und die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. In: Monumente, April 2018, Seite 31-37
(3) Martin Germer: Eine Kirche für die City West. Vortrag beim Studientag der Evangelischen Akademie zu Berlin, 29.6.2018


www.gedaechtniskirche-berlin.de
www.denkmalschutz.de/gedaechtniskirche
www.wuestenrot-stiftung.de
www.betreten-erbeten.de
https://www.saai.kit.edu/358.php