Hamburg soll bekanntlich dank der großzügigen Spende der Milliardärs Klaus-Michael Kühne an prominenter Stelle im Hamburger Hafen eine neue Oper bekommen. Wir haben darüber berichtet. Aber es läuft nicht so glatt, wie der „Spender“ und die politisch Zustandigen sich gedacht haben mögen.
Zur Erinnerung: Die Stadt stellt ein lukratives Grundstück in prominenter Lage in der HafenCity zur Verfügung und finanziert die baulichen Vorbereitung, insbesondere die Flutsicherung mit knapp 150 Millionen Euro. Bei der jetzt auf 330 Millionen Euro veranschlagten Bausumme macht das etwa ein Drittel der Gesamtkosten aus. Das ist nicht unerheblich. Auch wenn der Bau privat finanziert wird und der Stifter auftretende Mehrkosten bis zu einer Milliarde Euro übernehmen will, bleibt es ein öffentlich-privates Projekt. Schließlich soll die Oper nach ihrer Fertigstellung in die öffentliche Hand übergehen und von der Stadt betrieben werden. Davon abgesehen ist die eine Investition dieser Größenordnung und Prominenz in der Stadt eine öffentliche Angelegenheit, für die eine Diskussion im Vorfeld angemessen wäre. Sie konnte bislang nicht stattfinden. Alles wurde im stillen Kämmerlein zwischen Der Kühne-Holding, der Kühne-Stiftung sowie der Stadtverwaltung ausgemacht und in einer Verhandlungspause der Öffentlichkeit bekannt gegeben. Ein breitangelegter Architektur-Wettbewerb war in dem Vertrag nicht vorgesehen. Fünf Architekturentwürfe sollten angefragt und von einem Begleitgremium bewertet werden. Dem Stifter Klaus-Michael Kühne sollte dabei das letzte Wort zur Entscheidung über den Entwurf vorbehalten bleiben.
Es hagelt Kritik in der Öffentlichkeit
Das ist für ein solches Bauvorhaben nicht passend. Darauf haben nicht nur Matthias Alexander im Februar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder wir bei marlowes.de hingewiesen. Auch die Hamburgische Architektenkammer hat das von der Kühne-Stiftung und der Stadt vorgesehene Konkurrenzverfahren zur Architektur der Oper in einer ausführlichen Stellungnahme kritisiert. Sie bemängelt, dass es im Vorfeld keine öffentliche und politische Debatte um das Projekt gegeben habe, in der unter Umständen auch ein multifunktionaler Ansatz für das Gebäude gefunden worden wäre. So etwas würde der HafenCity am geplanten Standort gut anstehen. Die Kammer betont, dass das Projekt mit einem öffentlichen Betrag von mindestens 150 Million zuzüglich des Grundstückes keine privates Geschenk mehr ist. Zudem würde: „Das festgeschriebene ‚Qualifizierungsverfahren‘ (als) nicht ausreichend erachtet. Es entspricht in keiner Weise den in der Richtlinie für Planungswettbewerbe (RPW) festgelegten Regeln, die für die Stadt Hamburg die Grundlage bilden für Wettbewerbsverfahren.“ Diese Richtlinien gelten selbstverständlich nicht nur für öffentliche Auftraggeber, sie sind auch privaten empfohlen. Die Kammer hält einen Wettbewerb mit einer den Richtlinien entsprechenden Jury für angezeigt. Bei der Zusammensetzung des Begleitgremiums sei keine ausreichende Kompetenz vertreten, wenn darin weniger als die Hälfte der Personen Fachleute seien. Außerdem untergrabe das „Vetorecht“ des Stifter-Ehepaares das fachliche Urteilsvermögen des Gremiums. In der Stellungnahme heißt es: „Hierdurch ist eine unabhängig gefällte und allein nach fachlichen und sachlichen Kriterien ausgerichtete Entscheidung nicht mehr gewährleistet.“
Die Architektenkammer bezweifelt auch, dass das Opernhaus in ausreichender nachhaltiger und gestalterischer Qualität erstellt werde. „Es muss sichergestellt werden, dass nicht ein abgespecktes ‚Opernhaus light‘ entsteht, sondern ein vollwertiges Gebäude, das zukunftssicher und nachhaltig ist und höchste gestalterische Güte und Ausführungsqualität besitzt“ – heißt es in der Erklärung.
Dass Zweifel daran gerechtfertigt sind, macht auch ein Passus im Vertrag deutlich, den die Kammer ebenfalls anführt. Demnach soll die Qualität der neuen Oper lediglich der der bestehenden Opern entsprechen. Die Kritik der Hamburgischen Architektenkammer ist sachlich, nicht „erbost“. Sie hat weder einen „Brandbrief“ geschrieben, noch ist sie auf den Barrikaden, wie manche populistisch meinenden Medien es kolportieren. Ihre vorgetragenen Argumente sind stichhaltig, und sie haben Gewicht. Die Kammer ist schlicht ihrem gesetzlichen Auftrag zur Qualitätssicherung der Baukultur nachgekommen. Aber die Auslober haben offenbar andere oder ungenauere Vorstellungen von „Qualität“ als die Kammer.
Keine Debatte gewünscht?
Weder Kultur Senator Carsten Brosda noch Jörg Dräger, der geschäftsführende Stiftungsrat der Kühne-Stiftung, sehen sich bemüßigt, zu den Kritikpunkten Stellung zu nehmen. Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen und der Oberbaudirektor schweigen ebenfalls. Stattdessen lanciert man tapfer gewogenen Presseorganen die Ausgabe eines „Aufgabenheftes“ an die fünf ausgewählten Architekturbüros, die das „Hamburger Abendblatt“ dann brav bekannt gibt. Demnach sind die auserwählten Büros
Snøhetta,
Jörg Friedrich/PFP,
gmp, mit Diller, Scofidio & Renfro,
BIG – Bjarke Ingels und
Sou Fujimoto.
Die Riege der eingeladenen Büros ist imposant. Dennoch sind Fragen offengeblieben. Öffentliche Pressekonferenzen finden zwar nicht statt, aber der Kultursenator Carsten Brosda und Stiftungsrat Jörg Dräger geben Interviews, die entlarvend sind. Sie antworten nicht auf die Kritik der Architektenkammer, sondern reden sich stattdessen damit raus, dass ein privater Bauherr die Entwürfe entgegennehme, nach denen dann ein öffentliches Gebäude auf einem Filetgrundstück der Stadt geplant werde. Das ist nicht mehr als ein Taschenspielertrick, um die von der Kammer bei jedem Architekturwettbewerb geforderte Einhaltung der Richtlinie zu umgehen.
In baukulturellen Fragen nicht sattelfest
Die Abgabe der Entwürfe ist auf den 22. September festgelegt. Das ist nicht nur eine „sportliche“ Vorgabe, denn die Büros müssen die Sommerpause durcharbeiten, es behindert auch eine öffentliche Debatte. Wenn die öffentliche Aufmerksamkeit gerade wieder nach der Urlaubsphase aufflammt, ist schon alles erledigt, und der prämierte Entwurf kann präsentiert werden, ohne dass eine öffentliche Diskussion stattgefunden hat. Das ist vielleicht „juristisch sattelfest“, wie der Kultursenator betont, aber es ist weder demokratisch, noch baukulturell akzeptabel. Die Hälfte der Mitglieder im Begleitgremium seien doch Vertreter öffentlicher Interessen, betont er, unterschlägt dabei aber, dass gleichzeitig weniger als die Hälfte fachkundig ist – wie die Architektenkammer es für eine Qualitätssicherung eingefordert hatte. Der Kultursenator zeigt sich hier, wie sein privater Partner Jörg Dräger in baukulturellen Fragen als nicht sattelfest. Das wird auch an anderen Stellen des Interviews deutlich. Brosda betont, dass alle Architekturbüros die „theaterfachliche Vorplanung“ berücksichtigen müssen, so dass diese „hochgradig technisierte Maschine (…) im Idealfall noch eine attraktive architektonische Einkleidung bekommt.“. Das bestätigt Jörg Dräger an anderer Stelle. Den beteiligten Büros seien „Beratungstermine mit theaterfachlichen Vorplanern“ angeboten worden.
Keine zweite Elbphilharmonie?
Innovative Entwürfe, wie sie für die Elbphilharmonie in Hamburg durch das Büro Herzog & de Meuron oder durch Hans Scharoun beim Entwurf der Philharmonie in Berlin entstanden sind, können also nicht erwartet werden, denn die haben die „theaterfachlichen“ Entscheidungen selbst getroffen. Der Architekturkritiker Hermann Funke lobte 1963 in der ZEIT: Scharoun habe hier nicht nur ein neues Gebäude geplant, sondern eine neue Art erfunden, Menschen mit Musik und miteinander zusammenzubringen. In der Tat ist die Berliner Philharmonie ein Meilenstein der Konzerthausarchitektur geworden. Für die Elbphilharmonie wurde zwar weder ein Wettbewerb noch ein Gutachterverfahren ausgelobt. Der Entwurf von Herzog & dem Meuron überzeugte aber sofort und wurde hartnäckig von den Architekten gegen alle Verwässerungsversuche verteidigt und damit die Grundlage für den heutigen Erfolg des Hauses gelegt. Mit den im vorgesehenen Opernentwurfsverfahren geforderten Restriktionen, insbesondere dem Vetorecht des Stifters ist dagegen lediglich ein „Opernhaus light“ zu erwarten. Das befürchtet die Architektenkammer wohl zu Recht. In einem Beitrag in sozialen Medien unterstreicht Jörg Dräger, man wolle keine Kostenexplosion wie bei der Elbphilharmonie. Es ist löblich, aus vorangegangen Fehlern lernen zu wollen. Doch ob dies mit den geplanten Vorgehen gelingen wird, und ob nicht vielmehr „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird“, ist zumindest fraglich. Die Publikation „Das ungebaute Hamburg“ der Hamburgischen Architektenkammer und Ullrich Schwarz hat unlängst gezeigt, wie viele Chancen Hamburg gerade mit unqualifizierten politischen Debatten vergeben hat. Auf dem Domplatz, dem heutigen Hammaburg-Platz, könnte schön längst ein richtungweisendes, hybrides öffentliches Bibliotheksgebäude stehen, hätte dies nicht das „Veto“ eines Altkanzlers verhindert. Die eindimensionale Opernhausplanung verwirkt diese Chance ein zweites Mal. Ein monofunktionaler Ansatz, betont Frank Schmitz, Professor für Kunstgeschichte und Spezialist für die Geschichte des Theaterbaus an der Uni Hamburg im Hamburger Abendblatt, sei bereits seit den 1970er Jahren mit dem National Theatre in London obsolet geworden, das Gastronomie, Theater und Kultureinrichtungen verschiedenster Art unter einem Dach vereint: „Es braucht Bienenkörbe, in denen von morgens bis abends etwas los ist: Vorträge, Veranstaltungen, Bibliotheken, Gastronomie, Familienangebote. Es ist ein städtebaulicher Fehler, eine monofunktionelle Struktur an diese prominente Stelle an die Elbe zu setzen (…).“ Ein multifunktionales Kulturgebäude hat im Übrigen der Architekt Murat Tabanlioglu vor wenigen Jahren mit dem Atatürk Kulturzentrum mit dem Herzstück einer Oper in Istanbul realisiert. Er ist nicht zu einem Entwurf aufgefordert worden.
Stattdessen soll das Haus in Hamburg in einen öffentlichen Park eingebunden und begehbar sein – so wie das Opernhaus von Snøhetta in Oslo. Es ist das einzige dieser Art. Zur gleichen Zeit, in der der Vertrag mit der Stadt geschlossen wurde, befleißigte sich der Stifter Klaus-Michael Kühne zu betonen, dass ihm bereits ein Entwurf vorliege. „Es gibt den schönen Entwurf eines ausländischen Architekten, der wunderbar zu dem Standort passt.“ Diese Aussage beförderte die Vermutung, dass es bereits eine Favoriten gibt. Das Abendblatt vermeldet, Jörg Däger und Carsten Brosda hätten bestätigt, dass Snøhetta bereits vor der Ausgabe der Aufgaben Vorüberlegungen angestellt habe. Die Gerüchte kommen also nicht von ungefähr, sind alles andere als „Quark“ – wie Brosda es im Interview mit dem Hamburger Abendblatt formulierte.
In den Medien bricht sie eine brisante Diskussion Bahn
Mittlerweile hat sich auch Lutz-Matthias Keßling, der 1. Vorsitzende des BDA Hamburg, im Hamburger Abendblatt zu Wort gemeldet und bemängelte wie die Hamburgische Architektenkammer das Verfahren. Ihm fehlten zudem Hamburger Architektinnen oder Architekten in der Jury, die die Situation vor Ort kennten – er fordert ebenfalls eine Diskussion über das Thema in der Stadt. Das entspreche seinem demokratischen Verständnis und dem des BDA.
Daran hapert es in der Tat. Immerhin bemüht sich das Hamburger Abendblatt und zeitweise auch der Norddeutsche Rundfunk in ihren Lokalmedien Gegenstimmen einzufangen, und langsam bricht sich hier eine Diskussion Bahn. Ob deren Verlauf aber dem Stifter genehm ist, dürfte zu bezweifeln sein. Schließlich bleibt auch der schale Geschmack, den die noch immer nicht aufgearbeitete Geschichte des Unternehmens Kühne & Nagel im Nationalsozialismus hinterlässt. Mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte des Fuhrunternehmens Kühne & Nagel während des Nationalsozialismus, das damals der Vater und der Onkel von Klaus-Michael Kühne betrieben haben und dabei offenkundig von den Deportationen jüdischer Menschen aus Deutschland und dem Einziehen von deren Hab und Gut profitierten, ist es nicht gut bestellt. Immerhin war dieses Kapital eine Grundlage für Kühnes heutiges Vermögen. Dieser fördert die Aufarbeitung dieser Geschichte nicht gerade – in Gegenteil. Das fällt nicht nur der taz auf, die ein langes Interview mit Henning Bleyl, dem Geschäftsführer der Heinrich-Böll-Stiftung, in ihrem Hamburg-Teil abdruckt, der ein „Arisierung“-Mahnmal vor dem Hauptsitz von Kühne & Nagel in Bremen initiierte, nach dem er die Geschichte des Unternehmen recherchiert hatte. Auch die New York Times hat dieses Thema bereits in ihrer Ausgaben vom 22. Juli diesen Jahres aufgenommen: „As Billionaire Funds an Opera House, Nazi-Era Questions Linger Over His Company“.
Jörg Dräger und Carsten Brosda halten solche Fragen für geklärt. Diese Ignoranz, das Vermeiden-wollen einer öffentlichen Debatte um das Opernhaus und das Beharren auf einem „Scheinwettbewerb“, wie er jetzt stattfindet, ist ein Problem für die Stadtgesellschaft. Dabei könne man aus einer solchen Debatte einige Vorteile ziehen, betont Frank Schmitz. Hamburg habe nicht nur eine große Tradition edler Stiftungen, sondern auch der bürgerlichen Mitbestimmung in öffentlichen Angelegenheiten, zu denen auch die neue Oper und die Reputation der Stadt im Ausland zählen.