„Alle reden über die Stadt, dabei entscheidet sich unsere Zukunft auch auf dem Lande“, war kürzlich in der FAZ zu lesen. Es ging um das oberfränkische Gundelsheim. Und um die – zurecht gelobte – Initiative der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr, die Gemeinde beim Umbau eines leerstehenden Hauses in der Ortsmitte zu unterstützen. Vier Tage vorher hatte Niklas Maak in der gleichen Zeitung die Befürchtung geäußert, Berlin könne ländlich werden, weil Herzog & de Meuron den Kulturforums-Wettbewerb mit einem Gebäudeentwurf gewonnen hatten, der sie selbst an eine Lagerhalle oder an einen Scheune denken lasse – sie nannten das einen „Archetypus“. In den sozialen Medien hieß es, man werde eher an einen Schweinemastbetrieb erinnert. Stimmt.
Wesentlich aber: In den beiden Artikeln bildet sich etwas ab, was man besorgniserregend finden darf: In die Stadt kommt das Land als veredelter landwirtschaftlicher Großbetrieb für das kunstbeflissene Publikum, während das, was sich auf dem Land jenseits von „Archetypen“ abspielt, kaum zur Kenntnis genommen wird.
Wer meint, dass man sich deswegen nicht gleich Sorgen machen müsse, dem kommen wir jetzt mit Marrakesch. Marrakesch? Da war doch was. Bis zum 18. November findet dort die UN-Klimakonferenz statt, inzwischen Ritual der zur Abwechslung mal nicht um ihre abendländische Identität besorgten Dumpfbacken, sondern der sich um die Erde sorgenden, innovationsfeindlichen Weltuntergangsmahner. Die Bundesrepublik Deutschland steht dort folgerichtig – innovativ, wie man sich gerne sieht – mit leeren Händen da. Der ehrgeizige Klimaschutzplan aus dem Ministerium von Frau Hendricks konnte nicht beschlossen werden. Konkrete Aussagen wurden gestrichen, und zwar, weil der Plan sonst, genau, wachstums- und innovationsfeindlich gewesen wäre. Angeblich. Der Beschluss wurde, nachdem das Wirtschaftsministerium schon froh und munter darin herumgestrichen hatte, man sich zum Kohleausstieg gerade mal auf einen Arbeitskreis geeinigt hat, von genau den Ministerien kritisiert, die dieser Klimaschutzplan dazu genötigt hätte, sich mal wirklich ernsthaft Gedanken darüber machen zu müssen, was Innovation eigentlich heißen könnte, angesichts all der Folgen, die uns der Klimawandel beschert. Es waren dies das Verkehrs- und das Landwirtschaftministerium. Der Klimaschutzplan, wie er zuletzt vorgelegt wurde, hatte von der Landwirtschaft und der Tierhaltung Emmissionssenkung um 50 Prozent erwartet, es sollten außerdem spätesten 2030 keine Benzin- und Dieselautos mehr neu zugelassen werden. Nun sind es bei der Landwirtschaft 15 Prozent geworden, außerdem heißt es: „Neuwagen sollten dann mit Technologien ausgestattet sein, die grundsätzlich dazu in der Lage sind, unabhängig von fossilen Kraftstoffen betrieben zu werden.“ Als würde man einem Orchester sagen, es sollte besser intonieren, auf Instrumenten, die das grundsätzlich ermöglichen.
Die Planverfasser hatten den notwendigen Mut gehabt, konkret zu werden. Das ging dann aber doch zu weit. Man hätte ja dann auch sagen müssen, was man von der Industrie und den Landwirten erwartet. Und man hätte sich Gedanken dazu machen müssen, wie man sie dazu nicht nur zwingt, sondern sie dabei auch unterstützt. Es wäre also Fantasie gefragt gewesen. Politik, die ihren Namen zurecht trägt.
Nicht einmal Lobbypolitik
Landwirtschaft und Verkehr, das sind zwei Politikfelder, in denen man nicht sehr lange nachdenken muss, um darauf zu kommen, dass sie ziemlich viel mit Architektur und Städtebau zu tun haben, und man muss nicht lange nachdenken, um zur Erkenntnis zu gelangen, dass sich auf diesen Feldern dringend etwas tun muss, das anderen Gedanken folgt als jenen, die sich in diesen Ministerien seit der Anbeginn der Bundesrepublik eingenistet hat. Wachstum, Effizienzsteigerung, neue Straßen, breitere Autobahnen, Nutzungsintensivierung, Monopolisierung. Das Ergebnis: Schweinemastbetriebe von der Größe einer Fabrikhalle (oder eines Hauptstadtmuseums) und Landschaften mit der ökologischen Vielfalt eines Schweinemastbetriebs.
Was hier als Lobbypolitik erscheint, die die Betroffenen vor unzumutbaren Härten zu schützen vorgibt, ist noch nicht einmal das. Es verweigert den von den unausweichlich kommenden Veränderungen Betroffenen Hilfestellung und Planungsperspektive. Es verweigert sich dem Erforschen dessen, wie sich der ländliche Raum gewandelt hat, wie der ländliche Raum gestaltet werden kann und wie er organisiert werden muss, um den Herausforderungen des Klimawandels gerecht zu werden. Wie produziert werden muss, wie die Logistik bewältigt wird, wie ökologische Vielfalt bewahrt werden kann. Was dann mit den Dörfern und den Kleinstädten passiert. Wie sie versorgt werden, wie sie angebunden sind. Wie dort in Zukunft Daseinsvorsorge, wie Schulen aussehen können. Was mit all den Gebieten geschieht, die nicht das schöne Land der Archetypen und nicht die schöne dichte Stadt des Blockrands sind. Das alles weiß man nicht, wenn man nicht testet, forscht, fördert, vermittelt, erprobt, bewertet, verwirft. Denkt man nicht über das nach, was sein könnte, kommen die Veränderungen, als seien sie Katastrophen, so wie wir es uns angewöhnt haben, von der Klimakatastrophe zu reden. Die Klimakatastrophe ist keine Katastrophe. Man hat es seit langem kommen sehen können, Stück um Stück, Jahr für Jahr. Man musste nur ab und zu mal die Augen aufmachen. Umweltschutz, Verkehr, Landwirtschaft, Bauen: Wenn man Wahlkampf treibt statt Verantwortung wahrzunehmen und zu einem gemeinsamen Handeln zu finden, kann man auch einfach weiterhin mit dem SUV zum Supermarkt fahren oder Selbsterfahrung in Volkshochschulkursen sammeln. Dann kann man Klimaschutzpläne aushöhlen und über die Architektur konstituierenden Elemente von Sockel, Eingang, Fassade und Dach meditieren. Auf dem Land entscheidet sich auch unsere Zukunft. Wohl war. Leider aber auch in den zuständigen Ministerien, die sich nicht um das kümmern wollen, was auf dem Land passiert und passieren wird. Die sich vielleicht um ihre abendländische Identität, vielleicht auch um irgendetwas anderes sorgen, aber nicht um das, was sie zu verantworten haben.