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Kurz waren alle erschrocken. Haben händeringend nach Erklärungen gesucht, was denn schief gegangen ist, in den USA, dass Donald Trump nun doch die Wahl gewinnen konnte. Nach Trump, dem Brexit und vor Österreich schwinden die Gewissheiten, dass es verlässliche Sicherheiten geben könne, dass zumindest die Prognosen der Wahlforscher Sicherheit geben. Das ist kein Grund zu resignieren.

Vom postfaktischen Zeitalter ist neuerdings oft die Rede. Unter anderem, weil die Menschen sich in sozialen Netzwerken verstricken, wo sie Nachricht und Gerücht nicht mehr voneinander unterscheiden und nur noch zu lesen bekommen, was sie in ihrer Meinung bestärkt. Das ist sicher richtig, aber grundsätzlich ja nicht erst so, seit man weiß, dass Algorithmus anders als Rhythmus geschrieben wird und beide nichts miteinander zu tun haben. Auch früher waren Gerüchte mächtig und Menschen glaubten lieber, was sie schon zu wissen meinten. Die Wirkung der Algorithmen sollte man nicht verharmlosen, aber ihnen die Schuld am Wahlausgang in den USA und dem Erstarken des Populismus zu geben, ist dann doch zu einfach.

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Man muss sich nur vergegenwärtigen, wie schnell man sich den Staub wieder aus den Kleider geklopft, in die Hände gespuckt hat und wieder zur Tagesordnung übergegangen ist, die schon vor Trump unappetitlich war. Horst Seehofer möchte die grundgesetzwidrige Obergrenze für Asylsuchende als Bedingung für eine Koalition mit der CDU. Christian Lindner lässt, wie es heißt unter tosendem Applaus, verlauten, dass es die Wirtschaft sei, „die die Pflöcke einschlägt, an denen dann nachher die sozialen Netze aufgehängt werden.“ (1) Und eine, wenn auch sicher schon lange (also seit 2010, als die Elbphilharmonie ja eigentlich schon fertig sein sollte) geplante Anzeige von Engel&Völkers stößt dieser Tage dann doch sehr auf: „Wohnen in der Elbphilharmonie. Einzigartig, unverbaubar, spektakulär – in Hamburgs neuem Wahrzeichen gehören Glücksgefühle zur Grundausstattung.“

Weiter, immer weiter


Es setzt sich fort, was die Trumpwahl allenfalls kurz unterbrochen hatte, und was nur der für grundsätzlich unvergleichbar mit der Schlammschlacht halten kann, die auf der anderen Seite des Atlantiks getobt hatte, bei dem die Rhetorik der Verachtung nicht schon angeschlagen hat. Bald werden wieder in den Quartieren der Benachteiligten die Salafisten und Terroristen gesucht oder vermutet. Bald wird wieder nach Überwachung und Kontrolle gerufen, ohne dass man auf die hörte, die belegen können, wie wenig das hilft und wie viel Schaden es anrichtet, so dass man das dafür verwendete Geld besser anders investieren sollte.(2) In Stuttgart sollen Bänke am Beginn der Königsstraße, wie der Konsumschlauch Fußgängerzone dort heißt, abgeschraubt werden, weil sich auf ihnen Obdachlose gerne länger aufhalten.(3) Das stört das Geschäft. Keiner kommt auf die Idee, dass die nur wenige Meter entfernt stehende, raumgreifende Straßenbestuhlung eines Cafés andere stören könnte, etwa die, die den Raum der Stadt nicht nur als einen verstehen, der möglichst geschmeidig dazu animieren soll, Geld auszugeben. Die Bezirksbeiräte seien auf ihrer Besichtigung vor Ort angepöbelt worden, stand in der Zeitung noch zu lesen. Darf es wundern, dass man aggressiv wird, wenn man wie in einem Zoo besichtigt wird, um daraufhin überprüft zu werden, ob man sich auch ordnungsgemäß verhält? Muss man sich diese Menschen so stumpfsinnig vorstellen, dass sie nicht merkten, was man ihnen unterstellt?
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„Mangelnde Vorstellungskraft und Empathie aber sind mächtige Widersacher von Freiheit und Gerechtigkeit“, hatte Carolin Emcke in ihrer Rede zum Friedenspreis des deutschen Buchhandels gesagt.(4) Sie hat für diese Rede, die so vieles enthielt, was man noch zitieren könnte, erstaunlich viel Häme einstecken müssen. Auch das ist bezeichnend für das Klima, das offensichtlich herrscht. Ich habe nichts dagegen, wenn jemandem die Rede von Emcke nicht gefällt oder sie sachlich kritisiert, auch wenn ich sie für großartig halte. Aber warum muss man jemanden, der sich um andere Menschen, der sich um Verständnis bemüht, gleich öffentlich lächerlich machen, wie das einige versuchten? (5)
In den soziologischen Stichworten zur Großstadt, die Hartmut Häußermann 1998 herausgegeben hat, ist unter „Armut, Ausgrenzung, Unterklasse“ ein Beitrag von Martin Kronauer zu lesen: „Studien zur Langzeitarbeitslosigkeit haben in verschiedenen Ländern gezeigt, wie Ausschluss am Arbeitsmarkt mit einer zunehmenden Konzentration der Sozialkontakte auf andere Arbeitslose einhergeht. Damit verringern sich die Möglichkeiten, materielle Unterstützung, aber auch Hilfen bei der Arbeitssuche zu erhalten, und die Tendenz zur Isolation verstärkt sich.“ (6) Die Stigmatisierungserfahrung gesellschaftlicher Marginalisierung erzeugt demnach das Verhalten, mit dem man dann erst recht die Stimatisierung der Marginalisierten für gerechtfertigt hält.
Niklas Maak hat in London entdeckt, dass das Vulgäre eine Form des Widerstands gegen repressiven Eliten ist: „Hört man im Geschimpfe des deutschen Bürgertums über die Proleten mit Migrationshintergrund auch ein schlechtes Gewissen heraus darüber, dass man sie ohne Aufstiegsperspektiven allein ließ? Jetzt kommen sie in ihren Sportwagen auf uns zu wie das verdrängte Eigene bei Freud: Das Vulgäre klagt Teilnahme am großen Fest des Kapitalismus ein. Es glaubt aber nicht, durch unauffällige Anpassung Teil einer bestehenden Elite zu werden, sondern demütigt diese Elite durch die schrille Verfremdung ihrer Statussymbole.“ (7)

Empathie und eine Provokation


Worum also geht es? Es geht vielleicht einfach darum, sich weiter und immer wieder darum zu bemühen, zu verstehen. Eine Symposium am 3. Dezember, das Berliner Gespräch des BDA, widmet sich der Bedeutung dieses Versuchs, der für die sozialen Netze und für lebenswerte Städte vielleicht doch mindestens genauso viele Pflöcke einschlägt wie „die Wirtschaft“.

1648_at_holl_empathie4„Glaube Liebe Hoffnung – Empathie als Grundlage der Gesellschaft und ihrer Architektur“ heißt das Berliner Gespräch dieses Jahr ohne Scheu vor Pathos, derer die Empathie offensichtlich gerade bedarf, damit man auf sie aufmerksam wird. (8) Als Bild für die Einladung haben die Organisatoren Michelangelos Fresko der Sintflut gewählt, was nicht einer gewissen Dramatik entbehrt; ist dies als Mahnung zu verstehen? Wohl sieht man im Vordergrund, wie sich Menschen gegenseitig helfen, um dem Unentrinnbaren zu entkommen. Doch im Hintergrund sieht man auch, wie sich wenige auf das Podest retten, das die Arche umgibt. Viel Platz ist dort nicht. Mit der Axt bedroht und wieder verjagt werden die, die sich noch zu retten hoffen.

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Michelangelos Sintflut ist Teil seiner Fresken für die Sixtinische Kapelle. Sie wurde als Bild für die Einladung des Berliner Gesprächs gewählt

Empathie hat offensichtlich ihre Grenzen, aber vielleicht muss sie auch nicht überstrapaziert werden. „Verschiedenheit“, so noch einmal Emcke, „ist kein hinreichender Grund für Ausgrenzung. Ähnlichkeit keine notwendige Voraussetzung für Grundrechte. Das ist großartig, denn es bedeutet, dass wir uns nicht mögen müssen. Wir müssen einander nicht einmal verstehen in unseren Vorstellungen vom guten Leben. Wir können einander merkwürdig, sonderbar, altmodisch, neumodisch, spießig oder schrill finden.“ Das ist keine Binsenweisheit, sondern eine Provokation, die vielleicht die Häme erklärt, die die Rede hervorrief. Man darf diese Provokation ruhig ernst nehmen. Ob das gegen Populismus hilft, wissen wir nicht, aber haben es denn wirklich schon ernsthaft und oft genug versucht? „Wir können immer wieder anfangen“, hatte Emcke gesagt. Die Provokation könnte so auch Teil unsere Auseinandersetzung um gute Architektur sein.

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Alle Fotos: Christian Holl

Wenige Wochen vor seinem Tod kehrte Alberto Giacometti auf dem Schiff von Amerika nach Frankreich zurück; an Bord sagt er zum Bildhauer, Hugo Weber, er wolle wieder „wie seinerzeit (…) neu beginnen.“ An den Rand einer Zeitschrift schreibt er ein kleines Gedicht.


„Das alles bedeutet nicht viel,
die ganze Malerei, die Skulptur, das Zeichnen,
Schreiben, oder vielmehr: die Literatur.
Das alles hat seinen Ort
und mehr nicht.
Der Versuch ist alles,
Wie wunderbar.“ (9)

(Tout cela n`est pas grand`chose,
toute la peinture, sculpture, dessin,
écriture ou plutôt littérature,
tout cela a sa place
et pas plus.
Les essais c`est tout,
Oh merveille!)
 

(1) Kölner Stadtanzeiger, 19. November 2016

(2) „Wenn man das ganze Geld, das jetzt in die Sicherheit gesteckt wird, in die Viertel investieren würde, wo die Terroristen herkamen, hätte man einen sehr viel größeren Effekt.“ Beton ist unschuldig. Alfredo Billembourg und Hubert Klumpner im Interview mit Laura Weissmüller. Süddeutsche Zeitung vom 1. Dezember 2015

(3) Stuttgarter Zeitung, 25. November 2016

(4) Online: >hier

(5) Zum Beispiel: Thomas Fischer: „Sie blickte auf sich, und sie blickte in sich, und sie blickte um sich herum. Und überall erblickte sie sich selbst: als Opfer. Ein paar Hungerleider waren auch da. Die sagten: Danke, danke! “ Die Zeit, 1. November 2016

(6) Martin Kronauer: Armut, Ausgrenzung, Unterklasse. In: Hartmut Häußermann: Großstadt. Soziologische Stichworte, Wiesbaden 1998, S. 13–27, hier S. 25

(7) FAZ vom 21. November 2016

(8) 21. Berliner Gespräch des BDA am 3. Dezember: „Glaube, Liebe, Hoffnung – Empathie als Grundlage der Gesellschaft und ihrer Architektur“
Weitere Information: >hier

(9) Vladimir Vogelsang: Lebenschronik. In: Alberto Giacometti. Ausstellungskatalog. Herausgegeben von der Nationalgalerie Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, München 1987, S.9–51, hier S. 49 ff.


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