• Über Marlowes
  • Kontakt

Fragen zur Architektur (13): Alle diskutieren über die Wohnungsnot. Dass der Klimawandel erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität unserer Städte haben wird, scheint derzeit zweitrangig. Für Städtebau und Architektur stellen sich dabei allerdings zu grundsätzliche Fragen, als dass man diese Auseinandersetzung vernachlässigen könnte.

Die Stadt besteht zum kleinsten Teil aus verdichteten Zentren mit mittelalterlichem Flair und Blockrandbebauung. Das müsste eigentlich auch in den Diskussionen über die Anpassung der Städte an die zu erwartenden Klimaveränderungen eine Rolle spielen.

Die Stadt besteht zum kleinsten Teil aus verdichteten Zentren mit mittelalterlichem Flair und Blockrandbebauung. Das müsste eigentlich auch in den Diskussionen über die Anpassung der Städte an die zu erwartenden Klimaveränderungen eine Rolle spielen.

Christian Lindner würde, wenn er könnte und dürfte, den mühsam ausgehandelten Klimaschutzplan 2050 „sofort“ wieder einstampfen. Allerdings nicht, weil der Plan zu wenig dazu beiträgt, für eine auch in etwas fernerer  Zukunft bewohnbare Erde zu sorgen. Dies hatte der Klimaökonom Edenhofer kritisiert, Lindner hingegen ist gegen den Plan, weil er zu weit vorprescht; die von Europäischen Union ausgegebenen Ziele seien völlig ausreichend. Man könnte also sagen, dass Lindner gegen den Klimaschutzplan ist, weil es ein Plan ist. (1) Nun ist angesichts dessen, was dem Umweltschutz in Zukunft aus den USA droht, das Gepoltere eines FDP-Vorsitzenden die wahrscheinlich etwas weniger beunruhigende Nachricht der letzten Tage. Nimmt man aber Lindners Äußerungen mitsamt dem vor der Industrielobby eingeknickten Sigmar Gabriel und der ohnehin unter Politikern erkennbaren Abneigung gegenüber einem Klimaschutz, der von Altbekanntem abweicht, dann darf man darin mehr als nur Wahlkampfgetöse sehen: Es ist die grundsätzlich fehlende Bereitschaft, selbst mehr als andere für eine Sache zu tun, auch wenn sie noch so sinnvoll ist. Die anderen machen nichts, warum also sollten wir etwas unternehmen? Man muss Lindner immerhin zugestehen, dass dieses Denken politisch sanktioniert ist – der Emissionshandel, in dem so mancher ein Vorzeigeinstrument europäischer Klimapolitik sieht, sorgt dafür, dass die hier eingesparten Kohlendioxidtonnen woanders in die Luft geblasen werden dürfen. Umgekehrt hat sich die Bundesarchitektenkammer in einer Pressemeldung am 16. November beschwert: „Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte in der vergangenen Woche noch einen Rabatt für die Industrie ausgehandelt – und diesen muss die Bundesumwelt- und Bauministerin nun im Bau wieder ‚rausholen‘.“ (2) Das Bauen von Wohnungen werde unweigerlich erneut teurer. Das stimmt wahrscheinlich. Aber kommt man so weiter?

1646_hb_klimawandel_holl3

Denkblockaden

Was wir hier vorgeführt bekommen, ist nicht nur Wahlkampf, nicht nur knallharter Lobbyismus, nicht nur ein Streit um die Verteilung von Lasten. Es ist die fehlende Bereitschaft, sich tatsächlich grundsätzlich über die Tauglichkeit von erprobten Routinen und festgefügten Vorstellungen Gedanken zu machen. Und hier stellen sich die Fragen zur Architektur und zum Städtebau. Denn selbst wenn es uns gelingt, die von der EU ausgerufenen Klimaschutzziele zu erreichen, wird sich das Klima ändern. Es wird deutlich wärmer werden, die Sommer von längeren und extremen Hitzeperioden geprägt sein. Die Vorstellung der guten Stadt, wie sie im Diskurs über die Gestaltung der Städte gepflegt werden, sind bekannt: Es ist die der dichten, kompakten Stadt. Nachverdichtung, Aufstockung, Innenentwicklung sind die Wege, mit denen man zu meistern hofft, was uns herausfordert: die Wohnungsnot, den Verkehr, den Energiebedarf. Wie aber wird in immer stärker verdichteten Städten sich im Sommer die Hitze stauen? Welcher Art sind die Aufenthaltsräume im Freien, in denen diese Hitze noch zu ertragen sein wird? Ist unser Bild der Stadt, dem ohnehin nur einem kleinen Ausschnitt der Siedlungsfläche nahekommt, das richtige Ideal? Steinerne Plätze nach dem Vorbild mittelalterlich-mediterranen Städtebaus, Blockrandbebauungen nach dem des Investorenstädtebaus des 19. Jahrhunderts, Altstädte, die seit dem 20. Jahrhundert so homogen konstruiert werden, wie sie es in ihrer Geschichte nie gewesen sind – und das alles einfach nur noch dichter als wir es bisher kannten?

Die steinere Stadt. In Hitzeperioden von begrenztrer Aufenthaltsqualität, auch dann, wenn das Bäumchen etwas größer sein wird.

Die steinere Stadt. In Hitzeperioden von begrenztrer Aufenthaltsqualität, auch dann, wenn das Bäumchen etwas größer sein wird.

Was diese Bilder so merkwürdig weltfremd erscheinen lässt, ist nicht nur der große Teil der Wirklichkeit, der von ihnen nicht erfasst wird, all die Wohnsiedlungen und Gewerbegebiete, Konglomerate und Mischgebiete, die mit „Rändern“ nur allzu sehr in ihrer tatsächlichen Dimension verniedlicht werden. Es ist auch isolierte Betrachtung, die unsere Art zu leben, zu arbeiten und zu wirtschaften, die unser Mobilitätsverhalten ausblendet. Symptomatisch dafür ist die viel beachtete Studie, die an der TU Darmstadt in Zusammenarbeit Eduard Pestel Institut für Systemforschung erstellt worden ist und das Wohnraumpotenzial ermittelte, das durch Aufstockung erschlossen werden könnte. (3) Etwa 1,5 Millionen zusätzliche Wohnungen ließen sich durch Aufstockung gewinnen, so ist in der Studie zu lesen. Es liegt mir nicht daran, die Forscher anzugreifen, die die Studie erstellt haben. Es geht vielmehr darum, den Auftrag den sie erfüllt haben, in Frage zu stellen, weil er nur eindimensional gedacht ist. Er berücksichtigt nicht, wie sich eine groß angelegte Aufstockungsinitative beispielsweise stadtklimatisch auswirken würde, er lässt die Frage außen vor, wie man beispielsweise den Wohnflächenbedarf je Person senken könnte. Wir trauen uns nicht an die Frage heran, wie man vom Energiebedarf je Quadratmeter auf den je Person umjustieren könnte.

1646_hb_klimawandel_holl5

Wenn der Wert von Siedlungen wie der Frankfurter Nordweststadt für das Stadtklima geschätzt wird, werden in ihnen vielleicht nicht mehr nur Baulandreserven gesehen. (Alle Bilder: Christian Holl)

Das Denken, das eine solche Art der Auseinandersetzung mit der Architektur und der Stadt prägt ist eines, das auf die Objekte fixiert ist, weniger auf die Art, wie sie genutzt werden, und noch weniger, auf den Austausch, der durch diese Objekte organisiert wird oder durch sie organisiert werden könnte: das ist nicht nur der Verkehr, das sind vor allem auch die Organisation von Energiegewinnung und Verbrauch im Verbund von mehreren Häusern oder im Quartier, die Nahversorgung, die technische Infrastruktur. In dem wir uns mit den Bildern von der guten Stadt immer noch an dem orientieren, was unter völlig anderen Rahmenbedingungen entstanden ist, wird eine Auseinandersetzung mit dem blockiert, was unser Leben bestimmt und im Bauen Berücksichtigung finden muss. Die Struktur der Besiedlung jenseits der Zentren ist Ergebnis dieser Rahmenbedingungen. Es stellt sich die Frage, warum sie in der Auseinandersetzung darüber, wie unsere Städte auf die Änderungen des Klimas eingestellt werden könnten, so wenig eine Rolle spielt, hat sie doch möglicherweise gerade mit ihrem Grünanteil, mit den Flächen, die für die Kühlung der Luft eine Rolle spielen oder eine Rolle spielen könnten, ein Potenzial, das genutzt werden könnte, wenn man gleichzeitig in den Blick nimmt, wie Austauschprozesse und Verkehr in dieser Struktur organisiert werden müssten, um deren positive Wirkungen nicht sofort wieder aufzuheben. Dieses Potenzial anschaulich zu machen und für es zu werben ist eine Art, wie Architektur und Städtebau ihre Verantwortung auch wahrnehmen könnten. Es kann dann immer noch auf die Politiker geschimpft werden, die sich nicht der Komplexität und Drastik des Klimawandels stellen.

(1) Mehr zum Klimaschutzplan >>>

(2) Die vollständige Pressemitteilung finden Sie >hier

(3) Die vollständige Studie als pdf online: >>>

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht auf frei04-publizistik.de