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Nach dem Bauhaus-Jubiläumsjahr wird endlich wieder breiten, historischen Entwicklungsthemen gebührende Aufmerksamkeit geschenkt – wie in Sankt Gallen, wo die Zeit vor dem Bauhaus ins Gedächtnis gerufen wird.

Vom Jugendstil zum Bauhaus. Bis 31. Mai 2020 im Historischen und Völkerkundemuseum Sankt Gallen.

Es ist eine kleine, aber feine Ausstellung über den bedeutendsten Abschnitt der Designgeschichte. Man benötigt keinen Katalog. In knappen, klar formulierten Texten wird der Besucher mit den Überschriften Arts and Crafts, Jugendstil, Werkbund, Bauhaus, de Stijl, Le Corbusier und Sophie Täuber-Arp über die einzelnen Entwicklungsphasen informiert. Im Original heißt es wie folgt: „Mit dem Beginn der Industrialisierung um 1800 veränderten sich Wirtschaft, Gesellschaft und Lebenswelt grundlegend. Maschinen ersetzten zusehens die Handarbeit und das Einzelstück wurde von der Massenware verdrängt. Aus verschiedenen Kreisen regte sich Widerstand. Es wurde auf die sozialen und ökologischen Probleme hingewiesen aber auch die schlechte Qualität der billigen Massenprodukte kritisiert. In England, wo die Industrialisierung etwa eine Generation früher einsetzte, formulierte sich die erste Reformbewegung, das Arts and Crafts Movement, das auf dem europäischen Festland bald sein Pendant im Jugendstil fand“.

Arts and Crafts wandte sich mit handwerklichem Ethos gegen die industrielle Massenproduktion. (Bild: HVMSG)

Arts and Crafts wandte sich mit handwerklichem Ethos gegen die industrielle Massenproduktion. (Bild: HVMSG)

Zwischen den mächtigen Stützen der überwölbten Halle im Untergeschoß ist es den Ausstellungsmachern gelungen, in einzelnen Inseln zwischen den Bögen und an den Säulen mit geschickt inszenierten Ensembles aus Mobiliar, Gerät, Textilien und Plakaten den Texten unmittelbar Leben einzuhauchen. Auf durchgehend weißem Grund kommen die Objekte gut zur Geltung. Die Gestaltung macht es dem Besucher leicht, sich auf das jeweilige Thema zu fokussieren. Trotz chronlogisch konzipierter Abfolge ist es möglich den Blick schweifen zu lassen, neugierig vorauszuschauen, Querbezüge auszumachen oder im Rückblick die enorme Vielfalt der rasanten Entwicklung im Nachgang noch einmal Revue passieren zu lassen.

Schaukelfauteuil Nr. 8 von Michael Thonet, 1890 (Bild: HVMSG)

Schaukelfauteuil Nr. 8 von Michael Thonet, 1890 (Bild: HVMSG)

Da das Museum selbst über eine ansehnliche Sammlung von Möbeln und Alltagsgegenständen des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges verfügt, war es möglich mit einzelnen Leihgaben aus bedeutenden Schweizer Sammlungen diese veritable Übersicht über eine so wichtige Phase in der Entwicklung des Designs zu gestalten. Mit der St. Gallerin Maria Geroe-Tobler gelingt es zudem, noch einen schönen örtlichen Bezug zum Bauhaus herzustellen. Die Künstlerin studierte am Bauhaus in Dessau. Sie besuchte dort den Vorkurs und die Weberei bei Gunta Stölzl. Alles in allem wird hier eine kleine Wunderkammer der Designgeschichte und ein schöner Nachklang zum großen Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 angeboten. Ich bin sicher: Die Ausstellung hätte auch dem kürzlich in München verstorbenen, ungekrönten König der Designvermittlung Florian Hufnagl gefallen.


https://hvmsg.ch