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2010 wurde das Centre Pompidou-Metz eröffnet. Der Wettbewerb hatte vor zwanzig Jahren stattgefunden, gewonnen und dann auch gebaut hatte Shigeru Ban. Der Autor erinnert sich an damalige Kritik-Usancen und nutzt einen „Urlaubstag“ für einen Wiederbesuch.


Was war das immer für ein Zirkus, wenn man als Redakteur für seine Zeitschrift zur Eröffnung eines Gebäudes fuhr und bei der Pressekonferenz und eiligen Besichtigung die Kolleginnen taxierte: Was würden die ZEIT, die deutsche bauzeitung – deren Serie „in die Jahre gekommen“ dem Zirkus endlich etwas entgegensetzte – und Hochparterre dazu kommentieren? Ha, bestimmt würde man doch die unverwechselbare, treffendere Kritik schreiben! Wie viel entspannter ist es inzwischen, einen Urlaubstag im Museum – lange nach seiner Fertigstellung – zu verbringen.

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Innen steht der „Turm“, der das Dach überragt, vergleichsweise frei. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Encore une fois?

Von der Stadt aus kann man es nicht sehen, nur die Trikolore flattert an einem Stahlfachwerkturm über dem Bahndamm und markiert, wo die Kunst zu finden ist: im Centre Pompidou-Metz im Quartier de l‘Amphithéâtre. Aber das namensgebende römische Theater wurde nie endgültig ausgegraben, besser in Erinnerung ist der Ort durch den 1997 abgerissenen Güterbahnhof. Stattdessen sollte ein „großes Informations-, Ausstellungs-, Forschungs- und Initiativenzentrum, das viele Bereiche des zeitgenössischen Kulturschaffens umfasst“ den Boden bereiten für ein neues Wohn- und Geschäftsviertel. Wir kennen vergleichbare Konversionen in Bilbao, Turin, London, Duisburg oder München.
Als das Pariser Mutterhaus von Richard Rogers und Renzo Piano, das 1977 eröffnet wurde, für seine Inhalte einen Ableger an diesem neuen Standort suchte, durfte man sicher sein, dass auch die Architektur eine maßgebende Rolle spielen würde. Schließlich war Rogers in der Jury vertreten, als ließe sich damit eine Kontinuität garantieren. Unter den 157 abgegebenen Entwürfen wurde schließlich der Vorschlag des japanisch-französischen Teams Shigeru Ban / Jean de Gastines / Philip Gumuchdjian ausgezeichnet.

Modell des 2010 preisgekrönten Entwurfs vom Team (Bild: Wolfgang Bachmann)

Modell des 2010 preisgekrönten Entwurfs vom Team Shigeru Ban / Jean de Gastines / Philip Gumuchdjian (Bild: Wolfgang Bachmann)

Weiches Dach über harten Räumen

Ihr Entwurf enthält eine Reihe kryptischer Anspielungen, etwa die Höhe des erwähnten Stahlturms, der mit seinen 77 Metern an das Baujahr des namensgebenden Centre in Paris erinnert. Und auch die Dependance in Metz wird unübersehbar von der Konstruktion geprägt. Innovativ und repräsentativ soll sie die Architektur des 21. Jahrhunderts abbilden.
Die (im Haus ausgestellten) Modellstudien lassen das Prinzip auf Augenhöhe erkennen: ein weit schwingendes Membrandach über einem Trägerrost, unter dem sich drei gegeneinander verschränkte rechteckige Galerietunnel stapeln. Zunächst hatten diese beiden Elemente nichts miteinander zu schaffen, dann führte die notwendige Doppelkrümmung der Brettschichtholzgitter zu der verwegenen Idee, mit den kantigen Betonquadern die ondulierte Dachform zu durchstoßen. Sie überspannt nun nicht mehr als Fläche das aufgeschichtete Innenraumgefüge, sondern wird selbst zum Tragwerk, indem sich ihre mächtigen verleimten Brettschichthölzer aus ihren sternförmigen Sechsecken lösen, als Reusen zum Boden fortsetzen und als Stützen dienen, ohne den harmonischen Schwung (und Kraftfluss) aus dem Flechtwerk des Dachträgerrosts aufzugeben.

Für die Tragwerksplanung waren Holzbau Amann und der Ingenieur Hermann Blumer zuständig. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Für die Tragwerksplanung waren Holzbau Amann und der Ingenieur Hermann Blumer zuständig. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Nachdem inzwischen die jahrelange Bewitterung dem Material zugesetzt hat, staunt man wie Holzbau Amann und der Ingenieur Hermann Blumer diese weichen Formen aus den störrischen Brettern sich nicht nur vorstellen, sondern auch herstellen konnten. Und weil wir gerade bei den Alterserscheinungen sind: Die weiße PTFE-Folie musste hier und da geflickt werden. Die gläsernen Köcher um die Fallrohrbündel in den Tragwerksreusen reizen dagegen manche Leute, mit ihren Bierdosen hineinzutreffen.

Spuren des Reparierens: Wo die Dachhaut geflickt werden musste, bleiben Nahtstellen sichtbar. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Spuren des Reparierens: Wo die Dachhaut geflickt werden musste, bleiben Nahtstellen sichtbar. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Die weiche Dachform, die sich wie ein Omelett über den Spargel um die gestapelten Betonröhren legt, dient nicht nur als Architektursignet für das Gebäude, sondern erfüllt auch energetische Funktionen: Sie hält im Winter kalte Nordwinde ab und kühlt im Sommer durch Brisen aus dem Süden. Der weite Überstand spendet Schatten vor den öffenbaren hohen Glaselementen der Fassade. Aber entstand dadurch ein erlebbarer Architekturraum?
Eher nicht. Die drei gut 80 Meter langen Galerien bilden einen neutralen Hintergrund für die Kunst, sie erfüllen die Bedingungen, die der Schweizer Kurator Jean-Christoph Ammann einmal für Ausstellungsarchitektur gefordert hat – man vergisst dabei allerdings, wo man sich befindet, vor allem, wenn die aussichtsreichen Fenster an den Stirnseiten durch die jeweilige Inszenierung verschlossen sind. Auch der Außenraum unter dem spektakulären Dach bietet keine räumlichen Erlebnisse. Die Galeriedächer sind nicht zu betreten, man gleitet in einem gläsernen Aufzug im Tour Hexagonale an ihnen vorbei und kann dann von einem Balkon auf der oberen Ebene nach unten schauen. Dabei entdeckt man die Haustechnik, die sonst irgendwo versteckt wird. Und neben dem unvermeidlichen Altern dieser Konstruktion fragt sich der kleinliche deutsche Besucher, wer diese technischen Traggerüste putzen soll. Kommen Bergsteiger und klettern innen die Fassade hoch, um die verstaubten Stahlsprossen abzufegen?

Das große Ganze und funktionale Bauteile wie Fassaden und Decken und Wände – eine Bricolage (Bild: Wolfgang Bachmann)

Das große Ganze und funktionale Bauteile wie Fassaden und Decken und Wände – eine Bricolage (Bild: Wolfgang Bachmann)

Die Kunst der Montage

Bleiben wir bei der Konstruktion. Den Modellen hat man nicht angesehen, wie die widersprüchlichen Materialien, Hüllflächen und Tragwerke miteinander verbunden sind. Das geht auch gar nicht. Die mit Acrylwelltafeln verkleidete Pfosten-Riegel-Fassade endet ein Stück unter dem herabschwingenden Dach. Maschendraht verhindert, dass Tauben hereinfliegen. Die Kubatur entsteht nicht aus der lastabtragenden Verbindung der Begrenzungsflächen, sondern aus ihrem arrangierten Nebeneinander. Die Konfusion beginnt schon mit der Semantik. Man versuche einmal seiner Begleitung zu erläutern, dass der Fachwerkgurt, nein, nicht der Binder, sondern oben, dort wo die Rohrpfette an den Stahlrahmen stößt, neben der Traverse, direkt an dem Lüftungskanal… – hast du’s? Selbst wenn man es von Gehry, Behnisch oder Coop Himmelb(l)au kennt, dass Silikonbatzen die von wärmebrückenden Zugbändern durchstoßenen Glasscheiben abdichten – hier gewinnt die Bricolage eine andere Dimension. Es gibt Partien auf der stadtabgewandten Seite, da trifft sich ein ziemlicher Verhau. Man kann das so machen, wenn die große Geste wichtiger ist als die handwerkliche Seriosität. Nur sich selbst darf man das Haus nicht überlassen, hier wird es immer etwas zu tun geben. Dass gerade das Restaurant umgebaut wird, einige Bauschäden Zuwendung verlangen und die Skandinavier Elmgreen & Dragset im Grande Nef unter der Dachlandschaft die „narrative Sequenz“ Bonne Chance aus überdimensionalen Skulpturen, Installationen und Performance einrichten, passt wunderbar. Das Unfertige, der Blick auf den Rohbau der offenen Stellwände zeigt, dass Kunst nichts ist, was nur als museale Konserve existiert.

Es bleibt schwierig: Weiche, freie Formen in Einklang mit Bauproukten zu bringen, die für das Bauen im rechten Winkel gemacht sind. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Es bleibt schwierig: Weiche, freie Formen in Einklang mit Bauproukten zu bringen, die für das Bauen im rechten Winkel gemacht sind. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Das Original

Shigeru Ban, der zur Freude der Architekturstudenten mit seiner Zeichenrollen-Architektur berühmt geworden ist, hat im Foyer seine Urheberschaft beweiskräftig bestätigt: Da marschiert eine Patrouille aus Pappröhren die Wände entlang, überwältigt einen Heizkörper, borgt massiven Tischplatten die Beine und Bänken die Sitzfläche. Wir haben verstanden.

Aktuell zu sehen ist eine Erinnerung an Suzanne Valadon (1865-1938), die als Aktmodell den Pariser Malerfürsten diente und sich in dieser Umgebung so viel aneignete, dass sie schließlich selbst als Künstlerin reüssieren konnte. Außerdem die lehrreiche Ausstellung La Répétition, die erzählt, dass die Moderne durch Vervielfachen, Anhäufen, Versuchen und Reproduzieren bestimmt wird (ein Prinzip, was auch manche Architekten verfolgen). Was dabei fehlt, ist das Phänomen der Fälschung (Beltracchi!). Es hätte zum Parcours in diesem Haus gepasst.

Centre Pompidou in Metz > Website