• Über Marlowes
  • Kontakt

Im Mauerpark wird die Offenheit des ehemaligen Grenzraums seit Jahren spontan gefeiert. (Bild: Wolfgang Kil)
Keine Angst vor symbolischen Gesten: An jenem Tag, an dem die Mauer solange „weg“ war, wie sie zuvor bestanden hatte, stellten GRAFT Architekten zusammen mit Marianne Birthler ihr Konzept zur Architekturbiennale 2018 vor. Exponate gab es so gut wie keine zu sehen. Dafür kamen viele allgemeine Anmerkungen zu Geschichte und Gegenwart, politischen Umständen und mentalen Befindlichkeiten zur Sprache. Wolfgang Kil saß unter den Zuhörern und hoffte auf eine Ahnung, was die Biennale-Besucher ab Mai im deutschen Pavillon erwarten wird.

"Unbuilding Walls" – ab 26. Mai auf der Biennale gezeigt (https://www.unbuildingwalls.de)

„Unbuilding Walls“ – ab 26. Mai auf der Biennale gezeigt (https://www.unbuildingwalls.de)

„Unbuilding Walls“

Es ist ja nicht so, dass bei den Architekturbiennalen in Venedig ausschließlich „Architektur pur“ verhandelt würde. Auch unter den deutschen Beiträgen könnten einem Themenschauen von erheblichem gesellschaftstheoretischen oder kulturkritischen Anspruch einfallen – etwa Karl Gansers „Wandel ohne Wachstum“ (1996), Muck Petzets „Architektur als Ressource“ (2012) oder last not least die Frankfurter DAM-Equipe mit ihrem Statement zu urbanen Willkommenskulturen „Making Heimat“ (2016). Ob nun das Büro GRAFT in Zusammenarbeit mit Marianne Birthler als Kuratoren des diesjährigen Beitrags „Unbuilding Walls“ den selbstgesetzten Anspruch erfüllen und mit ihrer Ausstellung auf aktuelle politische Großdebatten über „Nation, Protektionismus und Abgrenzung“ reagieren können, musste nach der Pressevorstellung am 6. Februar im Besucherzentrum der Berliner Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße offen bleiben.

Lückenschließung in der Brunnenstraße von Brandlhuber Architekten (Bilder: Wolfgang Kil)

Nicht grenznah, aber zweifellos Resultate des Mauerfalls. Rechts Lückenschließung Brunnenstraße, Atelierhaus von Brandlhuber+Emde, ERA, Burlon (2010); links Wohnhaus, Fassadengrafik Autor unbekannt. (Bild: Wolfgang Kil)

Zufall und Notwendigkeit

Das Datum der Veranstaltung war kein Zufall, bezeichnete es doch exakt jenen Tag der Zeitgleiche, an dem die Berliner Mauer genauso lange „weg“ war, wie sie zuvor als unüberwindliche Systemgrenze des Kalten Krieges bestand. 28 Jahre sind seit den einprägsamen Szenen der Grenzöffnung vergangen, und an 28 Projekten wollen nun die Kuratoren zeigen, was in dieser Zeitspanne rund um die zurückgebliebenen „beispiellosen Leerräume“ passiert ist. Wenn im Presse-Handout dabei von „der Heterogenität verschiedenster Ansätze, Typologien, Akteure und Resultate“ die Rede ist, dann klingt das erst einmal schwammig, aber es weckt doch Erwartungen – auf Widersprüche, Konflikte, urbanistische Innovationen. „Der Todesstreifen wurde frei und konnte nun bespielt werden.“ In Lars Krückebergs etwas salopper Formulierung schien ziemlich genau die kuratorische Perspektive auf.

Vereinigungsquerelen weitab vom Grenzverlauf. "Wildes" Plakat am Potsdamer Platz, März 2006 (Bild: Wolfgang Kil)

Vereinigungsquerelen weitab vom Grenzverlauf. „Wildes“ Plakat am Potsdamer Platz, März 2006 (Bild: Wolfgang Kil)

Auch die zwei vorab gezeigten Beispielexponate – zum einen die bombastische Erweiterung des Axel-Springer-Verlages, von Rem Koolhaas präzis mittig auf den einstigen Mauerverlauf gesetzt, zum anderen das Gewusel aus geplatzten Investorenträumen und wildwest-kapitalistischer Spontanwucherung rings um den weltberühmten Checkpoint Charlie – lassen eines erwarten: Weniger um Moral soll es gehen, eher um das, was einfach geschah. Denn anders als beim Errichten einer Grenze geht es bei deren Aufhebung meistens reichlich chaotisch zu. Für die oft hastig ergriffenen „Maßnahmen“ des Jahres 1990 lagen nirgends Masterpläne bereit. Was letztlich zu einer wichtigen Einsicht führte: Wo immer Improvisation und experimenteller Übermut sich der Freiräume nicht nur temporär bemächtigten, sondern neuer Status sich auf Dauer gewinnen ließ, überraschende Orte und unkonventionelle Nutzungen sich fest etablierten, entstanden jene Kreativzonen, die bis heute von Neugierigen aus aller Welt belagert werden. Wo schlicht „repariert“ und also die vom Weltgeschehen aufgerüttelten Verhältnisse zurück in vermeintlich gesunde Vor-Mauer-Zustände „normalisiert“ wurden, regieren nun Geschäftemacherei und Langeweile.

Baugruppensiedlung in der Strelitzer Straße 53 (2004-2007, Architekten: FAT Koehl in Kooperation mit Anna von Gwinner (Bild: Wolfgang Kil)

Baugruppensiedlung zwischen Bernauer- und Strelitzer Straße 53 (2004-2007, Architekten: FAT Koehl in Kooperation mit Anna von Gwinner (Bilder: Wolfgang Kil)


Nationen, Protektionismus und Abgrenzung

Aber war die Aufhebung der deutsch-deutschen Teilung nicht eigentlich Indiz für eine viel gewaltigere Epochenwende? Am Ende der weltweiten Nachkriegsordnung ist die von vielen erhoffte Friedensdividende ausgeblieben, stattdessen bekamen wir es mit hartnäckigeren Dissonanzen und Verwerfungen zu tun, als sich allein anhand einer zivilen (architektonisch möglichst vorzeigbaren) Neubebauung aufgelassener Grenzbrachen erzählen ließe. Selbst wer da über Häuser redet, redet ja immer auch über Verhältnisse, nicht selten fragwürdige. Man sollte also das „Zusammenwachsen der schmerzlichen Bruchkanten“ nicht feiern, ohne auch mal über mögliche Kollateralschäden zu reden: Über die illustre, jeden Kontext verlachende Baugruppensiedlung hart auf der Kante zur Gedenkstätte Bernauer Straße etwa, oder erst recht über das letzte vom Bund zum Höchstgebot verscherbelte Mauergrundstück im alten Zeitungsviertel hinter der Leipziger Straße, auf dem nun protzige „Fellini-Residences“ seifigen Superkitsch für Scheichs und Oligarchen annoncieren.

Gebaute Wiedervereinigung? Band des Bundes von Schultes + Frank. Mit dem „Spreesprung“ verbindet Stefan Braunfels West- und Ostufer. (Bild: Wikimedia Commons – User: My name)

Gebaute Wiedervereinigung? Band des Bundes von Schultes + Frank. Mit dem „Spreesprung“ verbindet Stefan Braunfels West- und Ostufer. (Bild: Wikimedia Commons – User: My name)

Und während in Venedig – zu Recht! – das von Axel Schultes und Charlotte Frank absichtsvoll definierte „Band des Bundes“ als grenzüberwindende Stadtfigur einer neuen Berliner Republik zu sehen sein wird, bleiben für den fast drei Jahrzehnte tobenden Streit um Palast-Abriss versus Schloss-Wiederaufbau nur ein paar Sätze im Katalog. Zwar gehe es ihnen durchaus darum, „die gebaute Debatte der Vereinigung zu dokumentieren“ (O-Ton GRAFT), aber Palast bzw. Schloss lägen leider nicht grenznah genug. „Dieses Haus stand früher in einem anderen Land“ – der abgründige Hintersinn, mit dem jene Fassadeninschrift auf einschneidende Lebenserfahrungen in den heute brutal gentrifizierten Hinterländern der einstigen Frontlinie verweist, findet unter den 28 für Venedig ausgewählten Objekten und Orten also leider auch keinen Platz.

Lars Krückeberg, Thomas Willemeit, Marianne Birthler, Wolfram Pütz (Bild: GRAFT)

Lars Krückeberg, Thomas Willemeit, Marianne Birthler, Wolfram Pütz (Bild: GRAFT)

Die Drei-Minuten-Schau

Immerhin gibt es in der Bauwelt (Ausgabe 3.2018) ein ausführliches Interview mit dem Kuratorenteam zu lesen, in dem die nach vielen Richtungen ausufernde Thematik von Grenzen, ihrer Überwindung und übrigbleibenden Differenzen, Narben und Chancen in manch nachdenklichem Statement aufscheint. Wenn solch komplexe Sicht den zu erwartenden Katalog bestimmt, könnte auch vom diesjährigen Biennale-Jahrgang etwas Handhabbares übrigbleiben. Womöglich gar Leuchtspuren in kommenden Debatten? Die Ausstellung selbst wird wahrscheinlich wie auch jede reale „Mauer“ zu betrachten sein – je nachdem, aus welcher Richtung man an sie herantritt. Altbekanntes Kuratorenrisiko, zumal bei einer statistischen Verweildauer des Durchschnittsbesuchers von etwa drei Minuten.