Stilkritik (44) | Gewiss, die SPD-Basis hat noch nicht entschieden, ob sie eine weitere Legislaturperiode lang in einer Groko mitmischen will. Personalien und der Koalitionsvertrag lassen aber nichts Gutes für architekturrelevante Themen ahnen. „Grokolores“ ist keine Worterfindung von Marlowes, sondern ein Wortfindling im Netz.
Frust – und Wut
Um mal nicht auf den Wankelmut des Martin Schulz zu kommen: Horst Seehofer soll laut F.A.S. vom 11. Februar 2018 in der Nacht vor der Koalitionseinigung gesagt haben: „Ich will der Regierungsbildung nicht im Wege stehen, dann trete ich eben nicht in die Bundesregierung ein“. „Das ist nicht akzetabel“ – soll Alexander Dobrindt dazwischengegangen sein. Die F.A.S. weiter: „Seine (Dobrindts) Überlegung: Wenn der Parteivorsitzende zurückzieht, konnte die CSU kein großes Ministerium mehr fordern. Der Knoten wäre zwar aufgelöst, aber zulasten seiner Partei“. Dass Parteiinteresse über Landesinteresse geht und ein Ministeramt fürs Altenteil missbraucht wird, ist leider symptomatisch – und auch nicht neu. (1) Es geht gewiss nicht um pauschal anhebende Politiker-Schelte. Aber was sich die Polit-Elite gerade erlaubt, ist haarsträubend.
So beschert das Berliner Geschacher uns jetzt einen in Bayern abgehalfterten, sachunkundigen und zudem unwilligen Minister als Leiter eines „Superministeriums“ für Inneres, Bau und Heimat, der in Berlin fern seiner bayerischen Heimat arbeiten muss. Derweil kann Barbara Hendricks wahrscheinlich Ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bleiben – aber den Bau verliert sie an eine bayerische Altlast.
Die Kultur bekommt kein eigenes Ministerium, doch die über den Stadtrand Berlins kaum hinaus kommende, aber fürs ganze Land verantwortliche Kulturbeauftragte Monika Grütters bleibt mutmaßlich im Amt. Verkehr und digitale Infrastruktur sind in ein eigenes Ministerium verbannt, das ebenfalls an die CSU gehen soll und personell noch nicht entschieden ist.
Nun muss man suchen, wer für was und warum und wofür niemand zuständig ist. Denn die wichtigen Themen des Regierens werden im Macht- und Zuständigkeitsgerangel alles andere als sinnvoll und effizient verortet.
Heimat, Digitalisierung und das Glück
Horst Seehofer hatte das erste „Heimatministerium“ bereits im Wahljahr 2013 in Bayern gegründet, maßgeblich profilierte Markus Söder dieses in Nürnberg angesiedelte Ministerium. Seit 2013 steht deswegen im Artikel 3 der bayerischen Verfassung: Der Freistaat „fördert und sichert gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land“. Auf der Website lesen wir: „Landesentwicklung und Breitbandausbau – das sind die zentralen Aufgaben des Heimatministeriums.“ Hier deutet sich eine erstaunliche Themendoppeldeutung an: Digitalisierung ist Heimatentwicklung? Es geht doch in erster Linie darum, dass ein leistungsfähiges Netz flächendeckend im ganzen Land eingerichtet und Bahn und ÖPNV funktionieren müssen.
Auch Nordrhein-Westfalen hat ein Ministerium für „Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung“ >, seine Website kündet daneben von Bau, Wohnen und Stadtentwicklung. „Heimat“ wird als eine Art Wohlfühl-Faktor benannt und Heino – ein Interpret deutscher Volkslieder – als „Heimatbotschafter“ präsentiert, der in der „Heimatluft“ der „glücklichste Mensch auf dieser Welt“ sei. Weil Stuttgarter und Münchner und Gelsenkirchener und Berlin-Neuköllner „Heimatluft“ vom Feinstaub belastet ist, können die Bewohner dieser Städte also gar nicht glücklich sein, ohne ihre Heimat zu verlassen?
Nun ist auf Bundesebene aber vorgesehen, dass Digitalisierung als „Heimat-Thema“ zwar nicht bei Horst Seehofer, aber gleichfalls bei der CSU gelandet ist, die „Verkehr und digitale Infrastruktur“ unter ihre Fittiche nahm. Welchen Heimatbotschafter sich Horst Seehofer wohl sucht? Vielleicht den Franz Beckenbauer. Der is zwoa a bisserl älter, hot aber a Lebenserfahrung, in Katar koan Sklaven g’sehn und woas, wos des hoast: Hoamat.
Wirtschaft und Energie
Um dieses Themenpaar, das man scheidungsverdächtig wähnt, soll sich nun Peter Altmeier kümmern. Energie hat verflixt viel mit Digitalisierung und Verkehr zu tun. Und noch mehr mit Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wenn sie primär mit Wirtschaftsinteressen zusammengeführt wird, rücken Aspekte von Umwelt und Naturschutz – wenn sie überhaupt auftauchen – in die zweite Reihe. Also: Ärger vorprogrammiert.
Der Vertrag 2018
Die kausalen Zusammenhänge zwischen architektur-, stadt und landschaftsrelevanten Themen sind weitgehend auf fünf Ministerien verteilt und geraten dadurch aus dem Blick- und damit Handlungszusammenhang. Es müssen wohl viele Ausschüsse tagen, um etwas Brauchbares auf die Beine zu stellen.
Menschen und Monster
Im Koalitionsvertragsentwurf werden vor allem Umwelt- und Ökologiethemen appell- und gebetsartig als Marginalien behandelt. Zugleich bestätigt sich ein Mal mehr, dass unser Land als Unternehmen und nicht als Gemeinwesen geführt wird. So lesen wir: „Digitalisierung ist der ökonomische Basistrend unserer Zeit“ – als ob das der wichtigste Aspekt dieser gesellschaftsverändernden Technologie sei (Seite 56). Die Kanzlerin mag ein Handy bedienen können – aber ahnt sie, dass mit dem unkontrollierten Einzug von Apples oder Microsofts Hard- und Software in die Schulen erst kleine und später große, programmierbare Menschenmonster herangezogen werden?
Diskussionen über werteorientierte Bildung, die junge Menschen nicht für die Wirtschaft, sondern für ihr gesamtes Leben und die gesamte Gesellschaft reifen lässt: Auch sie kommen in den profipolitischen Koalitionskreisen kaum vor. Die Rede ist lediglich davon, dass ein „nationaler Bildungsrat“ gegründet werde und eine „Investitionsinitiative“ geplant ist.
Von den 14 Kapiteln des Vertrags betreffen die Kapitel IX („Lebenswerte Städte, attraktive Regionen und bezahlbares Wohnen“), XI („Verantwortungsvoller Umgang mit unseren Ressourcen“) und XIII („Zusammenhalt und Erneuerung – Demokratie beleben“) mit den Unterpunkten Bürgerbeteiligung und Kunst, Kultur und Medien die unmittelbar planungsrelevanten Bereiche.
Flächenfraß und Einfamilienhausgebiete – Umweltschutz war gestern
Im zwölfseitigen Kapitel “IX. Lebenswerte Städte, attraktive Regionen und bezahlbares Wohnen“ ist u. a. von einer „Wohnraumoffensive“ zu lesen (Hervorhebungen von der Autorin): „Wir wollen die Gewinnung von Wohnbauland von Landwirten durch steuerlich wirksame Reinvestitionsmöglichkeiten in den Mietwohnungsbau nach einer verfassungsrechtlichen Prüfung verbessern. (…) Wir werden nach einer verfassungsrechtlichen Prüfung den Kommunen durch Schaffung der rechtlichen Grundlagen die Möglichkeit einräumen, die Baulandmobilisierung durch steuerliche Maßnahmen zu verbessern. Durch die Einführung einer Grundsteuer C ermöglichen wir den Städten und Gemeinden die Möglichkeit, die Verfügbarmachung von Grundstücken für Wohnzwecke zu verbessern. (…) Wir werden die Kommunen bei der Aktivierung von Bauland und Sicherung bezahlbaren Wohnens unterstützen und streben dazu weitere Verbesserungen im Bauplanungsrecht an.“ (…) „Wir wollen das Engagement von Genossenschaften, kommunalen und kirchlichen Wohnungsunternehmen, nicht gewinnorientierten Initiativen und Stiftungen für den Neubau und eine sozialverträgliche Sanierung im Sinne einer Gemeinwohlorientierung unterstützen.“ Es ist außerdem ein Baukindergeld in Höhe von 1200 Euro pro Kind vorgesehen – Wohnungsbauprämien bleiben erhalten. Billiger wird das Bauen durch all das nicht.
Fortschreiben von Fehlern
All dies lässt im Ganzen befürchten, dass die jahrzehntelang erkämpfte Einschränkung des Flächenverbrauchs ein Ende hat. Und zwar nur, weil durch die politisch kurzsichtige Vernachlässigung von Infrastruktur und Breitbandausbau ländlicher Räume (um den hier untauglichen Begriff „Heimat“ zu vermeiden) eine beklagenswerte Schieflage entstanden ist, die den Metropolen derzeit erdrückenden Zulauf beschert und Mittelstädte sowie ländliche Regionen verwahrlosen lässt. Obendrein wird hier nicht im geringsten differenziert, dass es immense regionale Unterschiede in der Republik gibt.
Die (Wohnungs-)Bauwirtschaft reibt sich jetzt die Hände, ihre Lobbyisten haben gut gearbeitet.
Klimaschutz – ein Hobby
Kurz und wenig gut: Hier liest sich vieles wie ein altbekanntes Bauwirtschaftsförderprogramm. Was Klimaschutz und ökologisch verantwortungsvolles Ressourcenschonen angeht, verlieren sich die Vereinbarungen im Belanglosen: „Wir wollen für die Erreichung der Klimaziele und zur Beschleunigung der Energiewende im Wärmesektor die Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien im Gebäudebereich weiter voranbringen. Dabei gelten für uns weiterhin die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, der Technologieoffenheit, der Vereinfachung sowie der Freiwilligkeit.“ Die Betonung liegt auf „Freiwilligkeit“ – so what?
Man schinkelt …
Abschnitt 3 dieses Kapitels befasst sich mit „Stadtentwicklung und Baukultur“ – und da steht dann, dass „zwischen Städten und ländlichen Regionen keine Kluft“ entstehen solle. Und es taucht der vernünftige Vorschlag auf: „Vor allem zur Unterstützung von Wohnungsbau prüfen wir die Sanierung und Herrichtung von Industriebrachen als eigenen Förderschwerpunkt.“ Wohlgemerkt: Hier wird nur „geprüft“. Und ansonsten wird die „Bundesregierung zusammen mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden eine Kommission ‚Gleichwertige Lebensverhältnisse‘ einsetzen, die bis Mitte 2019 konkrete Vorschläge erarbeitet.“
Die Bundesstiftung Baukultur soll „als wichtige Institution zur Förderung der Baukultur“ ausgebaut werden – so weit, so gut. Aber mit der Maßgabe, die Schinkel‘schen Bauakademie wiederzuerrichten und damit „ein nationales und internationales Schaufenster für Architektur, Baukunst, Handwerk und Stadtentwicklung schaffen“, schießt die Koalition über ihre Kompetenzen allerdings hinaus.
Alles – aber keine Groko
Über die Hälfte dessen, was auf deutschen Autobahnen transportiert wird, ist Bauschrott. Von einem verantwortungsvollen Umgang mit allem, was uns lieb und teuer und künftigen Generationen lebensnotwendig sein wird, kann ich in diesem Koalitionsvertrag kaum etwas erkennen. Und so komme ich zum Schluss: Eine große Koalition lähmt das Land – eine Minderheitenregierung belebt die politische Bühne. Eine Neuwahl wäscht uns die Köpfe.
(1) Zu danken habe ich für den Hinweis auf die lesenswerte Publikation: Hans Magnus Enzensberger: Erbarmen mit den Politikern. Eine Handreichung. In: ders., Zickzack. Aufsätze. Frankfurt am Main 1997