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„Fragen Sie mal Ihre Töchter“. Um Probleme anschaulich, aber vergleichsweise unverbindlich ansprechen und delegieren zu können, eignen sich Begriffe aus den Bereichen Architektur und Stadt durchaus. „Brandmauer“ deutet beispielsweise Grenzen an, die es gar nicht gibt. Und nun das „Stadtbild“, mit dem Kanzler Merz eine problematische Gemengelage im urbanen Raum Richtung Migration deutet, ohne sie – die Probleme – kritisierbar zu benennen. Der politische Diskurs entkoppelt sich von der politischen Praxis mit schwerwiegenden Folgen für Planer und Planerinnen.

Ein ermüdeter Gast der Außenwirtschaft? Ein Obachloser? (Bild: Wilfried Dechau)

„Bei der Migration sind wir sehr weit. Wir haben in dieser Regierung die Zahlen August 24 – August 25 um 60 Prozent nach unten gebracht. Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“1) Sagte Friedrich Merz, neben ihm bei einem Termin mit Dietmar Woidke (SPD) in Brandenburg. Empörung allerorten ließ nicht auf sich warten, und Jens Spahn (CDU) setzte noch einen drauf, als im Bundestag Katherina Dröge (Grüne) die Reduktion des Stadtbilds auf Migrationsprobleme kritisierte. Jens Spahn entgegnete: „Ich weiß nicht, Frau Kollegin Dröge, wo in Deutschland Sie unterwegs sind. Aber an den Hauptbahnhöfen, auf den Marktplätzen dieses Landes sind natürlich die Folgen irregulärer Migration zu sehen, und natürlich beschäftigen sie die Menschen, und natürlich müssen wir darüber reden, was das mit diesem Land macht.“2)

Die Tücke des Bildes: haarsträubend

Kanzler Merz blies ins gleiche Rohr: »Alle bestätigen, dass das ein Problem ist, spätestens mit Einbruch der Dunkelheit.« Ach ja, die Drohkulisse der Finsternis. Wer Töchter habe, solle die einmal fragen.

Da waren die Katzen aus dem Sack: Am äußeren Erscheinungsbild von Menschen – nichts anderes ist mit der Merz-Spahn’schen Stadtbild-Metaphorik gemeint – Gefahrenszenarien für „Einheimische“ festzumachen, ist übler Rassismus. Auch mit „wohlwollender Hermeneutik“ ist hier nichts mehr zu umzudeuten.3)

Menschen mit Migrationshintergrund machen inzwischen 30 Prozent der Einwohnerschaft aus. Manche erkennt man als Migranten, manche aber ganz und gar nicht. Das wäre im Sinne der Menschenwürde auch egal. Ich habe Migrationshintergrund. Mein Mann hat einen Migrationshintergrund. Man sieht ihn uns nicht an. Menschen aus Asien haben ziemlich helle Haut, aber sehr dunkle Haare. Und Schlitzaugen. Was sieht man ihnen an? Die Kriminellen, so ließe sich ins Gedächtnis rufen, erkennt man nicht, mehr noch: Man sieht sie nicht. Getreu der Brecht’schen Erkenntnis: „Und der Haifisch, der hat Zähne / Und die trägt er im Gesicht. / Und Macheath, der hat ein Messer, / Doch das Messer sieht man nicht.“

Dass die CDU, durch Umfragewerte offenbar in Panik geraten, im Trüben der AfD fischt, überrascht nicht. Ärgerlich ist für die Planungsberufe obendrein, dass ein Begriff wie „Stadtbild“ missbraucht wird, um städtebauliche und sozioökonomische Probleme, die maßgeblich politisch verursacht sind, falsch adressiert sind. Denn was es mit dem Stadtbild auf sich hat, lässt sich nicht auf die singuläre Ursache „Migration“ zurückführen, nach dem Fingerzeig-Motto: Ich war’s nicht, der war’s. Es weiß Jeder, dass die Probleme andere sind. Und Feindbildkonstruktionen nie zu vernünftigen politischen Auseinandersetzungen führen. Heute (21.10.25) argumentierte der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, im Deutschlandfunk zustimmend zu Friedrich Merz‘ Analyse, kam aber peinlich ins Stammeln, als nachgefragt wurde, wem man denn was ansehe.4) Wie entlarvend ist das in der Einschätzung eigener Unzulänglichkeit.

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Leerstand als bedrohliche Kulisse – wer hat ihn verursacht? (Bild: Ursula Baus)

Welche Stadt, welche Stadteile?

Niemand bestreitet, dass es in deutschen Innenstädten keineswegs nur idyllisch zugeht. Doch muss, um daran etwas zu ändern, differenziert und der Handlungsbedarf klaren Verantwortlichkeiten zugewiesen werden. Neukölln ist nicht Rottach-Egern, der Stuttgarter Marktplatz nicht der Wochenmarkt am Einkaufszentrum in Oberhausen. Die Diversifizierung von Städten hängt an deren wirtschaftlicher Kraft, ihrer politischen Führung, an ihrem regionalen Umfeld, an ihrer historisch gewachsenen Bedeutung und vielem mehr. All das wird ignoriert, wenn die eigene Verantwortlichkeit in Feindbildkonstruktionen umgelenkt wird.

Und um welche Teile der Stadt geht es überhaupt? Nicht Grunewald, sondern Neukölln? Nicht Bogenhausen sondern Hasenbergl? Die soziale Distinktion von Stadtteilen, von guten und schlechten „Adressen“ ist uralt, und sie weist auf gesellschaftliche Unterschiede, die mit Migration nun mal gar nichts zu tun haben.

Sind die Innenstädte gemeint? Sie wurden über Jahrzehnte zu reinen Konsumzonen – Wohlstand hat seinen stadträumlichen Preis. Und wenn die Stadtzentren jetzt darben, wenn in den Erdgeschossen blinde Fenster vor Leerstand zu beklagen sind, dann resultiert das Problem aus dem geänderten Kaufverhalten der gesamten Gesellschaft: Erst geht es mit dem Auto zum billigen Supermarkt extra muros, und inzwischen kommt der Plunder immer öfter via Internet bis zur Haustür. Daran ist die gesamte Gesellschaft selber schuld. „Migranten“ nicht.

Geht es um herabgewirtschaftete Wohngebiete? Heruntergekommene Bausubstanz? Ärmere Menschen wohnen anders als Reiche. Diese haben Geld genug, um Bausubstanz zu pflegen. Wer aber hat zu verantworten, dass beispielsweise der „Weiße Riese“ in Duisburg so runtergekommen ist, dass zwar noch Reibach zu machen war, die Häuser aber jetzt gesprengt wurden?5) Obdachlosigkeit und Drogenkonsum sind im übrigen gesamtgesellschaftliche Probleme – und nicht auf Fehlverhalten Einzelner zu reduzieren.

So muss man auch feststellen, dass die soziale Infrastruktur desolat ist. Es fehlen Jugendhäuser, Sprachzentren, Stadtteilzentren und Gemeindehäuser. Vom entsprechenden Personal ganz zu schweigen. Und wenn es um die Bahnhöfe und ihr Umfeld geht: Das ist Sache der Bahn, die bundespolitisch in den letzten Jahrzehnten bis zu globalen Lachnummer zusammengespart worden ist. Von der jetzigen Bahnchefin ist immerhin erkannt, dass Bahnhöfe als Teil des öffentlichen Raums mehr gepflegt werden müssen.

Wo lauert die Gefahr für die junge Frau im öffentlichen Raum? (Bild: Ursula Baus)

Wo lauert die Gefahr für die junge Frau im öffentlichen Raum? (Bild: Ursula Baus)

Milliarden für Kommunen – aber wofür?

Folgerichtig haben sich daraufhin BürgermeisterInnen zu Wort gemeldet. Den Kommunen fehlt das Geld, das sie brauchen, um ein funktionierendes, sicheres Stadtgefüge zu pflegen und weiter zu entwickeln. Sie müssen derweil für Hauptstadtentscheidungen geradestehen, die ihnen – den Kommunen – Kosten verursachen. Alles nicht neu, aber die Ignoranz und Panik, mit denen derzeit Bundespolitik „gemacht“ wird, verschlimmert alles. Dabei wissen alle Beteiligten, was alles zu tun ist – oder sie könnten und sollten es wissen. Darauf werden wir Anfang November zurückkommen.

Um es einmal mehr klar zu benennen: „Rückführungen“ lösen die Probleme mit und im öffentlichen Raum nicht.

Perfide finde ich, dass Friedrich Merz, der hierzulande zwischen seinem heimatlichen Sauerland, Berliner Regierungsviertel und Tegernsee pendelt, die „Töchter“ ins Spiel bringt, diese ach so schwachen, schützenswerten Objekte aller Begierden. Er verhilft mit seiner vermeintlich markigen Sprache allen Themen der AfD zur Aufmerksamkeit. Wie kann man politisch nur so daneben liegen, ungeschickt oder: doof sein.


Alle Links wurden am Tag der Veröffentlichung geprüft.

2) ebda.

3) SWR Kultur, Forum, 20. 10. 2025, 17:05 Uhr