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Antonio Hernandez (1923-2012) | Kari Jormakka (1959-2013) – Zum Tod eines homme de lettres, Architekturhistorikers und -theoretikers sowie eines anregenden Architekturtheoretikers.

Antonio Hernandez (hockend) bei einer Exkursion in Arc-et-Senans (Bild: ifag, Uni Stuttgart)  

Bereits Ende 2012 starb der in Stuttgart lehrende Kunst- und Architekturhistoriker sowie -theoretiker Antonio Hernandez. Vom Beginn der 1970er Jahre bis 1988 leitete Antonio Hernandez das Institut für Baugeschichte an der Stuttgarter Universität – als erster Kunsthistoriker, lag das Institut doch bis dahin fest in den Händen von Architekten. Wessen Sache ist die Architekturgeschichte in einer überkommenen Wissenschaftslandschaft?
Während meines Studiums an der Universität Stuttgart in den 1980er Jahren waren die Vorlesungen von Antonio Hernandez Sternstunden: Der bisweilen dogmatischen und zusammenhangslosen Konstruktionslehre bei Peter von Seidlein und anderen entronnen, lernten wir bei Hernandez, Architektur- und Stadtentwicklung als komplexes Gefüge zu begreifen, das unterschiedlichen politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen Einflüssen unterliegt, die es zu erforschen und kennen gilt. Außerdem lernte man auf den Exkursionen zu sehen und zu erkennen – ein Vergnügen, das man hier erlebte und dem man ein Leben lang frönen sollte. Bei Antonio Hernandez durfte ich auch meine Dissertation beginnen, die Gespräche mit ihm sind das Anregendste, was mir aus dem Studium in Erinnerung geblieben ist – wofür ich nicht dankbar genug sein konnte.
Hernandez wurde als Sohn eines Arztes in Leverkusen geboren, die Familie zog 1938 in die Schweiz, nach Basel, wo Hernandez zunächst Medizin und dann Kunstgeschichte studierte. Seine Dissertation (bei Gantner) zum Thema Grundzüge einer Ideengeschichte der französischen Architekturtheorie von 1560-1800  – eine herausragende, nur 188 kleine Seiten dünne Schrift – erschien 1965: Klar gegliedert, messerscharf und doch elegant formuliert, blieb dieses Werk bis heute relevant, nicht zuletzt, weil mit Boullée, Ledoux und Durand die (Architektur-)Revolutionsepoche erstmals untersucht worden war und in einen Zusammenhang mit  Schriften und Werken von Aldo Rossi und Oswald Mathias Ungers gebracht werden konnte. Ungers war es, der Hernandez 1967 für einen Vortrag nach Berlin einlud. Hernandez war auch im Werkbund aktiv, vereinte Wissen und Engagement und konnte in den turbulenten Jahren der Studentenunruhen als überraschend offene, ausgleichende und glaubwürdige Persönlichkeit überzeugen.

Moderne und Semiotik

Als Professor für Baugeschichte bestach Hernandez zugleich mit einer umfassenden, humanistischen Bildung und vernunftgeleiteter, unprätentiös vertretener Weltanschauung. Mit Stilkunde konnte er sich nicht im geringsten begnügen, jegliche akademische Standesdünkel waren ihm fremd. Er pochte jedoch immer wieder auf den Wert der Vernunft, nachvollziehbarer Gedankengänge und wohlüberlegter Argumente. Die Baugeschichte endete für ihn nicht etwa bei Schinkel, sondern bezog selbstverständlich die Moderne mit ein. Kollegen kaprizierten sich damals noch mit Vorliebe auf das Mittelalter. An die Moderne knüpfte in Stuttgart damals nahtlos Jürgen Joedicke mit seinen Vorlesungen – auch zur Semiotik – an, so dass wir als Studenten alles erfahren konnten, was zu debattieren war. Lehre hatte nicht den Zweck, uns up to date zu halten, sondern die Aufgabe, in uns die Lust am selber Denken und fairen Streiten zu wecken.
Sicher waren diese Jahre auch noch schöne Jahre in der Wissenschaft. Man musste noch nicht mit ellenlangen Publikationslisten und eindrucksvollen Drittmittelbeträgen auftrumpfen, musste auch noch keine Pausenclown- oder Starqualitäten entwickeln, um Studenten überhaupt von ihren Bildschirmen wegzulocken. Im Nachruf des ifag ist von der Noblesse von Hernandez‘ Umgangsformen die Rede – zu dieser Noblesse gehörten auch sein bescheidenes Auftreten und sein feiner Sinn für Humor. Nach der Emeritierung von einem frühen Herzinfarkt geschwächt, zog sich Hernandez ins Tessin zurück, wo er in Calezzo Intragna Ende 2012 starb.

Kari Jormakka im Gespräch mit dem Mies-Magazin (Bild: Mies Magazin)

Kari Jormakka im Gespräch mit dem Mies-Magazin (Bild: Mies Magazin)

Am vergangenen Sonntag erlag Kari Jormakka einem Herzinfarkt. Zuletzt lehrte Kari Jormakka, der 1959 in Finnland geboren wurde, an der TU Wien, wo man betroffen über den überraschenden Tod des Architekturtheorie-Lehrers ist. Gerade hatte er gegenüber dem Mies-Magazin erklärt, was seine Lehrintention charakterisiert – siehe 8 1/2-Minuten hier. Als Architekturtheoretiker zeichnete Kari Jormakka sich immer wieder durch originelle Denkansätze vor allem zur Formfindung aus, die nicht unumstritten waren, aber nie langweilig. In Publikationen wie seiner Geschichte der Architekturtheorie (Wien, 2003) schieden sich die Geister, weil darin das Diskontinuierliche auch in die Vergangenheit zurück projiziert war und es mit manchen Analysen auch nicht so genau genommen war. In seinem jüngsten Buch „Eyes that do not see“ widmete sich Jormakka den Theorien des Funktionalismus in einer kritischen, romantischen Revision. Zu verfolgen, welchen Themen sich Jormakka seismographisch zuwandte, barg per se Anregungen, die den Architekturtheorie-Debatten fehlen werden.