Jährlich treffen sich bei „Quo Vadis“ die „Entscheider“ der Immobilienbranche. Banker, Investoren, Developer, Makler, Baubürgermeister – was Rang und Namen hat, kommt zusammen und „netzwerkt“. Architekten sind rar, sie trauen sich selten ins Gehege der Immobilienwirtschaftslöwen. Ursula Baus besuchte Quo Vadis und berichtet zum Auftakt eines dreiteiligen Beitrags von einer Welt, in der von Architektur kaum die Rede ist, aber über Architektur entschieden wird. Der Immoblienbranche geht es – Krise hin und her – so gut wie lange nicht.
Immobilie und Architektur
Am geselligen, ersten Abend, an dem unter anderem Renate Künast als Gastrednerin zur Jahrestagung der Immobilienwirtschaft Quo Vadis (http://www.heuer-dialog.de/quovadis) eingeladen war, fragte ich jeden, der mir über den Weg lief, nach dem Unterschied zwischen Immobilie und Architektur. Und warum die Zeitungsrubrik „Immobilien“ heißt und nicht „Architektur und Stadtplanung“. Um eine Antwort verlegen, schweift man gern in Plauderei über das konkrete Ambiente ab: die Parlamentarische Gesellschaft oder das Hotel Adlon. Tatsächlich geht es in der Immobilienbranche um Wirtschaft und Finanzen und nichts anderes. In dieser Branchenwelt hat sich Architektur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zur „Immobilie“ verselbstständigt – eine abstruse Entwicklung, an der Banker, Investoren, Developer, Politiker, Architekten, Bauingenieure und Geld anlegende Bürger alle ihren Anteil haben. Es geht hier jährlich um dreistellige Milliardenbeträge. Und mit knapp 20 Prozent Anteil am Bruttosozialprodukt wird auch gerechtfertigt, dass man der Politik gern „darstellt“, was für die Branche wichtig ist. Die Branche kennt die Branche, aber nicht den gesamtgesellschaftlichen Diskurs darüber, in welchen Städten, Dörfern und Landschaften wir wie leben wollen. Im druckfrischen Frühjahrsgutachten Immobilienwirtschaft 2013 des „Rates der Immobilienweisen“, der bei Quo Vadis vorgestellt wurde, heißt es: „Der Immobilienwirtschaft geht es gut“, sie sei „Stabilitätsanker der deutschen Volkswirtschaft“, besonders die Wohnimmobilien stünden in der Gunst der Anleger ganz oben. Das Zinsniveau bleibe voraussichtlich niedrig, doch: Grund- und Grunderwerbssteuer vermasseln womöglich das Geschäft, die Bundestagswahl 2013 werde für die gesamte Immobilienwirtschaft richtungsweisend sein. Aus der Sicht der Immobilienwirtschaft, muss man einschränken, wird „richtungsweisend“ anders bewertet als aus derjenigen der Benutzer.
Entscheider
So suchen die „Entscheider“ der Immobilienbranche denn auch den Kontakt zur Politik, um über die „Rahmenbedingungen“ zu sprechen, die man für den „Erfolg“ braucht. Eingeladen werden bei Quo Vadis auch Kommunalpolitiker, zum Beispiel Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter. Es treffen sich Vertreter des Finanzmarktes, der Immobilienwirtschaft und der Politik, wobei man sich schon fragen darf, was mit der Selbstbezeichnung „Entscheider“ denn gemeint ist. Wer entscheidet hier worüber? In der Immobilienwirtschaft werden Bauvorhaben finanziert und gemanagt, die derzeit ab einer Größenordnung von etwa 300 Millionen Euro erst anfangen. Eine kleinteilige und damit aufwändige Quartiersentwicklung kann nicht im Interesse von Developern sein, weswegen in den gerade angesagten Innenstadtquartieren eine überaus fragwürdige Tendenz zu beobachten ist: In Stuttgart beispielsweise werden ganze, eigentlich passabel erhaltene, stadtverträglich gewachsene Quartiere dem Erdboden gleichgemacht und viel zu große Einheiten hochgezogen und klangvoll City Gate, Caleido, Milaneo und wer-weiß-wie getauft – wir berichteten (http://www.german-architects.com/de/pages/page_item/21_12_stadtzerstoerung). Es ist falsch, allein der Immobilienbranche solche Fehlentwicklungen vorzuwerfen. Denn die Politik muss all diesen Bautätigkeiten zustimmen, mehr noch: Sie initiiert sie. Sie könnte aber „nein“ sagen und mehr auf andere Strategien setzen. Auch Architekten, wenn sie denn der Meinung wären, dass eine andere Quartiersentwicklung einer Stadt und ihren Bewohnern gut täte, dürfen: nein sagen. Sie tun es nicht. Und so sind die „Entscheider“ auch andernorts zu finden als auf Immobilienwirtschaftstagungen.
Divergenzen in drei Teilen
Zu beachten ist hier eine Systemschwäche, die weder in der Architekturkritik, noch in der Architekturtheorie je hinreichend ernst genommen worden ist. Man empört sich gegenseitig mit Vokabeln wie „realitätsfern“ und „gewinnsüchtig“ – und regt sich auch wieder ab. Kommt aber viel zu selten zusammen. Wir widmen dem Zusammenspiel von Kapital und Architektur, Wirtschaftssystem und Stadtplanung in den folgenden Wochen deswegen drei dicht folgende Beiträge. Denn in nur einem Magazinbeitrag lässt sich kaum vermitteln, warum der Unterschied zwischen Immobilie und Architektur nicht begriffen wird, welche Beteiligten welche Rolle spielen und welche systemrelevanten Aspekte berücksichtigt werden müssen, damit unsere gebaute Umwelt eben doch besser wird. Wenn man das „besser“ denn auf eine Verantwortlichkeit für die gesamte Gesellschaft betrachtet. Veranstaltungen wie Quo vadis bieten willkommen offene Foren, in denen diese Themen auch sehr kontrovers debattiert werden können. Es geht ganz einfach darum, dass alle Beteiligten in einen Prozess einbezogen werden müssen, der letztlich das Gefüge einer liebens- und lebenswerten Stadt und Landschaft bestimmt. Immobilie und Architektur erweisen sich, wie hier beschrieben, als Begriffe aus zwei grundverschiedenen Welten.
Nichts ist gut
Wie unterschiedlich die Perspektiven auf Immobilie und Architektur sind, sei an einem Beispiel kurz und krass verdeutlicht: Die Immobilien-Zeitung (http://www.immobilien-zeitung.de/) titelte in der Ausgabe 4/2013: „Risiko Studentenbude“. Dort (siehe Bild oben) heißt es: „So viele Studenten wie nie zuvor, dazu in vielen Hochschulstädten ein geringes Angebot an kleinen Wohnungen bei deutlich steigenden Mieten – da preist der eine Bauträger 20 m als ‚Rendite-Turbo unter den Wohn-Immobilien‘ an, der andere legt sie als ‚Top-Kapitalanlage‘ ans Herz. 5,4 % Rendite in München? Soll’s noch geben. 4.000 Euro für den Quadratmeter in Berlin Dahlem? Gibt es. Kann das für Anleger gut gehen?“ Dazu muss die Frage aus anderer Perspektive gestellt werden: Kann das für Studenten gut gehen, wenn 5 und mehr Prozent der Budenmiete erstmal auf bereits vollen Konten landen?