„Der jetzige Bau ist, ganz höflich ausgedrückt, unangemessen und ein Zeichen von Brutalismus“ – so adelte Frankfurts Kulturdezernent Felix Semmelroth 2007 das Historische Museum in Frankfurt von 1972, ohne es zu wissen. Und ohne wissen zu wollen, worum es beim Brutalismus überhaupt ging. Die Inkubationszeit, bis Häuser als bauhistorisch kanonisiert gelten, wird immer kürzer. Inzwischen wissen Architekten deswegen recht gut, dass sie am besten wegkommen, wenn sie zu ihrer Architektur gleich eine Art „Labelisierung“ mitliefern.
Was ist Brutalismus?
Gemeinhin wird der „Brutalismus“ auf Peter und Alison Smithson und Reyner Banham zurückgeführt, der 1955 mit einem Aufsatz in der Architectural Review den Begriff lancierte und in seinem 1966 erschienenen Buch „New Brutalism“ einen fulminanten publizistischen Erfolg hatte – obwohl er in eben diesem Buch den britischen Brutalismus bereits beendet sah. Noch im gleichen Jahr erschien die von Jürgen Joedicke herausgegebene deutsche Übersetzung bei Karl Krämer in Stuttgart – zur Publikationsgeschichte siehe die Literaturhinweise unten. Die Smithsons hatten sich in den 1950er-Jahren, zunächst im Team X, gegen CIAM, gegen die formale Erstarrung der Vorkriegsmoderne gewandt und waren der Ansicht, dass das Bauen wieder künstlerisch, unmittelbar, echt im Umgang mit Material und Konstruktion sein solle. Es kursierten Mythen, wie der Begriff Brutalismus überhaupt in Umlauf kam: Was war mit Hans Asplund, den die Engländer besucht hatten und der schon vorher vom Brutalismus sprach? Wie ist die Episode zur Mischung von Peter Smithsons Spitzname „Brutus“ und dem Vornamen „Alison“ zu deuten? Welche Rolle spielt das französische Wort „brut“, das wir hierzulande eher als Kennzeichen von Getränken denn als Charakterisierung von Beton kennen? Ein Begriff wie der „béton brut“ meint eben nichts anderes, als dass der Beton materialgerecht eingesetzt sein möge – das deutsche Adjektiv brutal, das Substantiv Brutalität und schließlich auch ein Begriff wie Brutalismus sind mit ganz anderen, negativen Werten konnotiert.
Rehabilitierung einer Epoche